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Nachricht zu hinterlassen – wieso war ihm das nicht gleich klargewesen? Aber er hatte ja wieder einmal nur an sich gedacht und sich geärgert, daß sie nicht erreichbar gewesen war, als er das Bedürfnis gehabt hatte, mit ihr zu sprechen. Was für ein dämlicher Egoist bin ich doch! dachte er, aber das half ihm natürlich auch nicht weiter.

      »Lukas?« fragte Marianne Markwart beunruhigt. »Bist du noch dran?«

      Er mußte ihr die Wahrheit sagen, alles andere hatte keinen Zweck. »Ja, bin ich. Entschuldige bitte, Marianne. Ich habe eigentlich bei euch angerufen, weil ich hoffte, daß Feli bei euch ist. Es ist nämlich so, daß ich sie von Frankfurt aus nicht erreicht habe – und seit ich zurück bin, erreiche ich sie auch nicht. Sie ist nicht zu Hause, im Büro ist man schon sauer, weil sie nicht auftaucht, und ihr Handy ist abgeschaltet.«

      Für einige scheinbar endlose Sekunden war es totenstill in der Leitung. Dann fragte Felis Mutter mit völlig veränderter Stimme: »Was hat das zu bedeuten, Lukas?«

      »Ich weiß es nicht«, antwortete er, und die Verzweiflung, die er empfand, war seiner Stimme deutlich anzuhören. »Vielleicht gar nichts. Vielleicht hat sie einen wichtigen Termin und hat nur vergessen, im Büro Bescheid zu sagen. In zwei Stunden ist sie wieder da, ruft an und hat eine einleuchtende Erklärung. Und wir haben uns ganz umsonst Gedanken gemacht.«

      »Aber du glaubst nicht, daß es so ist.« Es war keine Frage, sondern eine Feststellung.

      »Stimmt«, gab er zu. »Ich glaube nicht daran. Aber bevor wir uns verrückt machen, rufen wir zuerst noch ein paar Leute an, die wissen könnten, wo sie ist. Vielleicht hat sie auch plötzlich schreckliche Angst vor der Hochzeit bekommen und heult sich bei einer Freundin aus.«

      »Daran glaubst du auch nicht«, sagte Marianne Markwart. »Und ich tue es genausowenig. Wenn ihr nur nichts passiert ist, Lukas. Das alles sieht ihr gar nicht ähnlich – einfach zu verschwinden, meine ich.«

      »Ich weiß.« Seine Stimme klang rauh, und er räusperte sich, als es ihm auffiel. »Ich weiß«, wiederholte er, »aber laß uns Ruhe bewahren. Ich werde jetzt ein paar Telefonate führen und wenn niemand etwas von ihr gehört hat, überlegen wir, wie wir weiter vorgehen.«

      »Ich werde Gerd noch nichts sagen«, meinte sie ängstlich.

      »Das würde ich auch nicht tun an deiner Stelle, das würde seinem Herzen sicher nicht gut bekommen«, sagte Lukas mit erzwungener Ruhe. »Wenn dir noch jemand einfällt, bei dem sie sein könnte, dann ruf bitte dort an. In einer halben Stunde spätestens melde ich mich wieder bei dir.«

      »Ist gut, Lukas.« Er hörte die Tränen in ihrer Stimme und legte rasch auf. Es fiel ihm auch so schon schwer genug, sich zu beherrschen. Eine weinende Schwiegermutter konnte er jetzt nicht gebrauchen.

      Er griff zu einem Block und fing an, ihn mit Namen von Personen zu füllen, bei denen sich Feli eventuell aufhalten könnte. Aber plötzlich hielt er inne. Das war doch alles Unsinn! Es war Mittwochnachmittag, da arbeiteten fast alle Leute, die sie kannten. Wenn Feli irgendwo war, dann mußte es mit ihrem Beruf zusammenhängen. Seufzend griff er zum Telefon, um erneut in dem Architekturbüro anzurufen, in dem Feli seit einem Jahr arbeitete.

      *

      »Bitte, Frau Willbrandt, sagen Sie mir jetzt, wo Sie versichert sind. Und dann brauchen wir noch Ihre Adresse in Hamburg. Es ist doch auch in Ihrem Interesse, daß die Formalitäten möglichst schnell geregelt werden.«

      Sie wandte der Schwester ihr Gesicht zu und gab ihr mit klarer Stimme Auskunft. Die Überraschung war der anderen deutlich anzusehen. Sie hatte offenbar erneut damit gerechnet, keine Auskunft zu bekommen. Eifrig schrieb die junge Schwester alles auf, was sie ihr diktierte, und dann verließ sie sehr zufrieden das Zimmer.

      Das war’s also. Erleichtert sah sie ihr nach. Sie war froh, wieder allein zu sein. Es gab soviel, worüber sie nachdenken mußte. Dieser Krankenhausaufenthalt war in ihrem Plan nicht vorgesehen gewesen, aber jetzt mußte sie eben sehen, wie sie mit der Situation zurechtkam.

      Ihr war in der vergangenen Nacht einiges klargeworden, und deshalb hatte sie beschlossen, diesmal auf die Fragen Antwort zu geben. Es war nicht in ihrem Interesse, in dieser Klinik besondere Aufmerksamkeit zu erregen. Im Gegenteil. Und zum Glück ging es ihr bereits bedeutend besser. Von einer Lungenentzündung war nicht mehr die Rede, man würde sie ohnehin bald entlassen. Sie würde mit Frau Dr. Martensen heute darüber reden. Die resolute Ärztin, die gerade Dienst in der Notaufnahme hatte, nahm sich die Zeit, immer mal wieder bei ihr vorbeizukommen und sie zu fragen, wie es ihr ging.

      Als hätte sie geahnt, was die junge Frau gerade dachte, betrat Dr. Julia Martensen das Zimmer genau in diesem Augenblick. »Nun, Frau Willbrandt?« fragte sie freundlich. »Wie fühlen Sie sich jetzt?«

      »Ganz gut«, antwortete sie, und das entsprach sogar der Wahrheit.

      Die Ärztin nickte, fuhr aber fort, sie prüfend anzusehen. Das war sehr unangenehm, am liebsten hätte sie sich versteckt, doch das ließ sich natürlich nicht machen.

      »Ich bin froh darüber«, sagte Dr. Martensen schließlich. »Wir haben uns große Sorgen um Sie gemacht, aber das wissen Sie ja schon. In einigen Tagen werden Sie sich wieder ganz gesund fühlen, hoffe ich. Aber ich möchte noch über etwas mit Ihnen reden.«

      Sie konnte sich schon denken, worüber, aber ihr Gesicht blieb völlig unbewegt.

      »Warum wollen Sie nicht, daß wir ein CT machen?« fragte die Ärztin ruhig. »Es geschieht doch auch zu Ihrer eigenen Sicherheit. Man wird nicht einfach aus heiterem Himmel ohnmächtig, Frau Willbrandt. Es ist wichtig, der Sache auf den Grund zu gehen, glauben Sie mir das.«

      Sie nickte. Auch über dieses Problem hatte sie in der vergangenen Nacht nachgedacht. »Ich bin einverstanden«, sagte sie leise. »Aber frühestens morgen. Ich… also, ich brauche noch etwas Zeit, bevor ich mich freiwillig in so eine Röhre begebe.«

      »Ich verstehe, daß einem der Gedanke daran unangenehm sein kann«, sagte Julia Martensen ruhig. »Aber Sie können Musik hören während der Zeit oder sich auf andere Weise ablenken. Es ist gar nicht so schlimm, wenn man sich erst einmal klarmacht, wie wichtig die Erkenntnisse sind, die eine solche Aufnahme bringen kann.«

      »Ist mir klar.« Ihre Stimme klang gelassen, und das war gut so. Nur nichts von dem durchblicken lassen, was in ihr vorging.

      »Dann sind wir uns ja einig. Ich bin froh, daß Sie sich nun doch dazu entschlossen haben, Frau Willbrandt. Bis morgen, ich sehe wieder nach Ihnen.«

      »Bis morgen.«

      Als sie wieder allein war, schloß sie die Augen. Wenn jetzt noch jemand kommt, wollte sie nicht mehr reden. Sollten sie denken, daß sie schlief – das war ihr recht. Sie hatte genug gesagt. Mehr als genug.

      Tränen wollten ihr in die Augen steigen, aber sie hielt sie mit Gewalt zurück. Sie würde jetzt nicht weinen, nein, das würde sie ganz bestimmt nicht tun.

      *

      »Wir bekommen Besuch, Adrian!« Es war Dr. Bernd Schäfer, Assistenzarzt der Chirurgie, der diesen Satz flüsterte. Er tat es gerade noch rechtzeitig, um Adrian die Gelegenheit zu geben, die Augen unwillig zusammenzukneifen und zu knurren: »Was will der denn hier?«

      Die Rede war von Thomas Laufenberg, dem Verwaltungsdirektor, der sich gerade höchstpersönlich in der Notaufnahme blicken ließ. Ein seltener Besuch, obwohl sich »der Neue«, wie selbst Adrian zugeben mußte, seit seinem Amtsantritt vor etlichen Wochen schon öfter hier hatte sehen lassen als sein Vorgänger während mehrerer Jahre. Doch das reichte nicht, um Adrians Urteil über Thomas Laufenberg günstig zu beeinflussen. Für ihn war Laufenberg ein Paragraphenreiter, der nichts anderes im Sinn hatte, als den Ärzten an der Kurfürsten-Klinik das Leben schwerzumachen.

      Es gab mittlerweile etliche Kollegen, die mit Thomas Laufenberg sehr zufrieden waren – zu diesen gehörte auch Julia Martensen. Sie mied jedoch dieses Thema, wenn Adrian und sie zusammen Dienst hatten. Es war sinnlos, darüber mit ihm zu diskutieren, er konnte außerordentlich stur sein, wenn er einmal von etwas überzeugt war. Es würde ein Wunder geschehen müssen, um ihn dazu zu

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