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über mich erzählte. In den Pausen stand ich bei Max und seinen Freunden. Die Gemeinheiten von Christina prallten an mir ab. Die Zeit blieb stehen, wenn ich mit Max eng umschlungen auf dem Schulhof stand. Ständig klebten unsere Lippen aneinander. Als er das erste Mal bei mir zu Hause war, saß ich auf seinem Schoß und spürte seine Erregung. Mit einem großen Fragezeichen im Kopf fand ich keine Worte, um mit Max darüber zu reden. Er küsste mich auch ständig, so dass ich gar nicht dazu kam. In der Zwischenzeit glitten seine Finger unter meine Jeans und fanden den Weg zu der Stelle, an der ich definitiv empfindlich war. Ich war erregt, aber gleichzeitig versteifte ich mich und bekam innerlich Panik, weil ich nicht wusste, wie ich ihm erklären sollte, dass ich dafür noch nicht bereit wäre. In diesem Moment ging die Zimmertür auf und meine Mutter sagte: „Es ist spät. Musst du nicht nach Hause?“ Sie stemmte ihre Arme in die Taille und sah Max streng an. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich nur noch die Hälfte meiner Klamotten an und Max lag auf mir – auf dem Fußboden. War das peinlich. „Ja, ich wollte gerade gehen.“ Max griff nach seinen Sachen und verließ fluchtartig das Haus. Ich wollte auf der Stelle in Grund und Boden versinken und wusste, dass er nie wieder zu mir nach Hause kommen würde. Ein paar Tage nach diesem Vorfall kamen die großen Sommerferien. Max litt an einer Hautkrankheit und fuhr deswegen sechs Wochen lang auf eine Nordseeinsel, um eine Kur zu machen. Die gesamten Sommerferien sahen wir uns nicht. Er schrieb mir einen einzigen Brief, in dem er mir mitteilte, dass er wieder mit seiner Exfreundin zusammen sein wollte. Noch nie in meinem Leben hatte ich mich so allein gefühlt. Ich kam in die 10. Klasse und hätte vor Enttäuschung am liebsten um mich geschlagen. Mein Herz war gebrochen: Meine Freundin hasste mich, meine große Liebe wollte mich nicht mehr sehen und mein Bruder hatte bereits vor einem Jahr die Schule verlassen, um sein Glück auf einer anderen Schule zu versuchen. Er hatte ein paar Lehrer verärgert, die mich nun in den Hauptfächern unterrichteten. Mein Name war bekannter, als mir lieb war. Seine früheren Lehrer fingen an, mich zu prüfen, und ich hatte es schnell satt, ihnen etwas zu beweisen. Ich mutierte zu einem rebellischen Mädchen, das nicht mehr lernen wollte, keinen Kontakt zu anderen pflegte und in den Pausen weglief, weil es die Einsamkeit zwischen Hunderten von Schülern nicht ertragen konnte. Ein ganzes Jahr quälte mich dieser Zustand. Am Ende stand ich mit einem Viererzeugnis da – mein erweiterter Realschulabschluss. Verzweifelt wandte ich mich an meine Eltern und bettelte sie an, mich auf der gleichen Schule anzumelden wie meinen Bruder. Sie konnten nicht mit ansehen, wie unglücklich ich war, und taten alles dafür, dass ich die Schule wechseln konnte. Es sollte mein Geheimnis bleiben – bis zum letzten Tag. Meinen Mitschülern erzählte ich nichts, aber meiner größten Feindin – einer Lehrerin, die mich ständig vor der Klasse bloßstellen wollte – sagte ich am letzten Tag: „Sie sind das größte Arschloch, das mir je begegnet ist!“ Frau Mittenhuber rang nach Luft. Zum ersten Mal fehlten ihr die Worte und ich ließ sie einfach stehen, drehte mich um, lächelte siegessicher und ging – für immer. Mein Bruder klatschte in die Hände, als ich ihm zu Hause davon erzählte: „Wow, Karla. Du bist cool. Ich hätte mich nie getraut, so böse Worte zu der Mittenhuber zu sagen!“ Ich sah die Bewunderung in seinen Augen und es machte mich stolz.

      Tatsächlich dachte ich, dieses Kapitel aus meinem Leben wäre damit abgeschlossen. Ich hatte alles verdrängt, was mit Gefühlen der Einsamkeit, dem Ablehnen und Ausschluss von anderen Menschen zu tun hatte. Nachdem ich mich bewusst daran erinnerte, sah ich Nick. Wir fuhren oft mit mehreren über eine Brücke zur Schule. Manchmal machten wir einen Wettkampf daraus. Die meiste Zeit beachtete ich ihn allerdings nicht, sondern unterhielt mich mit seiner älteren Schwester, während Nick mich beobachtete. Instinktiv wich ich seinem Blick aus. Was wäre wohl passiert, wenn ich ihm in die Augen geschaut hätte? Diese Frage ließ mich nun nicht mehr los. Hätten wir beide uns erkannt, geheiratet und Kinder bekommen? Oder wären wir vielleicht gar nicht füreinander bereit gewesen? Die Vergangenheit hatte mich eingeholt. Nun stand ich auf einmal schüchtern vor ihm und schaute zu ihm auf. Nick ist mittlerweile zwei Köpfe größer als ich. Von dem kleinen Jungen von damals ist nichts mehr übriggeblieben. Während des Wiedersehens in meinem Reisebüro erzählte mir Nick, dass er als IT-Manager arbeiten würde. Auf Facebook stellte ich den dauerhaften Kontakt zu ihm her und fragte, ob er nicht in Zukunft öfter eine Reise über mich buchen wollte. Eine Woche später antwortete er mir und schrieb, dass er sich über meine Nachricht gefreut hätte. Das Glücksgefühl in den folgenden Tagen war wie ein Rausch. Die Zeit blieb stehen. Ich hätte vor Glück abheben und durch den Raum schweben können. Träumend lief ich durch den Wald und stellte mir eine schöne Zukunft mit Nick vor, in der wir auf rosa Wolken schwebten. So stellte ich mir vor, wie wir uns küssten, uns in den Arm nahmen und zusammen durch die Welt reisten. Die rosarote Brille vor meinen Augen sollte jedoch schon kurze Zeit später in tausend Einzelteile zerbrechen. Unsere Begegnung wurde eine noch schmerzhaftere Beziehungskiste als all die anderen zuvor. Manchmal kam mir in den Sinn, dass ich mit meiner Biografie nur auf diese eine Begegnung vorbereitet wurde. Nick war genau wie ich verheiratet und hatte einen Sohn. Dazu zeigte er öffentlich, was für ein verantwortungsvoller Vater er sei und wie sehr er seine Familie schätzte. Nick war zu diesem Zeitpunkt ein Mensch, der sich selbst einem hohen Erwartungsdruck aussetzte und in der Außenwelt gut angesehen werden wollte. In mir kam Verzweiflung auf und Traurigkeit, weil ich diesen Mann so sehr liebte, dass mein Herz schmerzte. Wir sahen uns in den folgenden Monaten sehr selten für wenige Minuten und hatten kaum Zeit, private Worte miteinander zu wechseln. Ich weinte viel, weil ich diese schreckliche Sehnsucht in meinem Herzen spürte. In diesen Momenten spürte ich ihn, als wäre er bei mir. Er legte von hinten seine starken Arme um mich, hielt mich fest und flüsterte in mein Ohr: „Alles wird gut. Gib nie die Hoffnung auf.“ Ein Gefühl zwischen Wahnsinn und Realität überkam mich: Ich spürte einen Mann, der nicht da war, hörte seine Stimme und vernahm auf der Gefühlsebene, dass auch er eine tiefe Liebe für mich empfand. Mein Körper nahm Dinge wahr, die eigentlich nicht sein konnten. Ich taumelte, verlor die Balance und schlug mit meinen Emotionen wie ein extremes Pendel aus. Die Intensität dieser Liebe ängstigte mich. Sogar Tausende Kilometer voneinander entfernt spürte ich Nick im Urlaub täglich in meinem Herzen. Das Gefühl war so intensiv, dass ich mir nicht sicher war, ob es schön oder schmerzhaft war. Am nördlichsten Punkt Europas stand ich am Hafen einer kleinen Insel und wartete mit meiner Familie auf unsere Fähre, während ich in den Sternenhimmel schaute, den vollen Mond bestaunte und Nick spürte. Ein paar Monate vergingen, dann fragte mich Marcel: „Was ist mit dir los? Du hast dich verändert. Ich erkenne dich kaum wieder.“ Auf seine Frage wollte ich ihm eine ehrliche Antwort geben: „Ich bin einem Mann begegnet. Wir haben uns in die Augen geschaut und plötzlich empfand ich diese tiefe Liebe. Ich glaube, dass es für mich an der Zeit ist, mich weiterzuentwickeln, aber ich weiß nicht, wie sehr es unsere Ehe belasten wird.“ Vielleicht war Marcel mit mir nicht glücklich? Marcel musste sich setzen. Damit hatte er nicht gerechnet. „Warum, Karla? Bist du mit mir nicht glücklich?“ Ich sah die Verzweiflung in seinen Augen und es tat mir in der Seele weh. Wir hatten uns versprochen, immer ehrlich zueinander zu sein. Die Wahrheit war das Einzige, was sich in diesem Moment richtig anfühlte, aber mir war auch bewusst, dass die Wahrheit Marcel sehr wehtun würde. Doch genau das war ich ihm schuldig – alles, was unausgesprochen blieb oder verheimlicht wurde, stand wie eine unsichtbare Wand zwischen uns. Das wollte ich nicht mehr. Der Kampf um unsere Ehe begann. Marcel hat von diesem Zeitpunkt an versucht, meine neue spirituelle Liebe zu verstehen und zu akzeptieren. Auch ihm ist eine Frau begegnet, die sich für ihn interessierte. Aber er hat sie nicht beachtet, weil er nicht ein einziges Mal an unserer Liebe gezweifelt hatte. Es hätte mich sicherlich auch wie ein Schlag getroffen und ich hätte ihm verletzt gesagt: „Geh, wenn du gehen willst.“ Aber er sagte diesen Satz nicht zu mir. Im Gegenteil. Marcel kämpfte um mich. Er schenkte mir auf einmal mehr Aufmerksamkeit, entführte mich an schöne Orte, brachte mir Blumen mit oder machte mir Komplimente. Ich genoss die Zweisamkeit mit ihm – es war die erste intensive Zeit als Paar, nachdem wir unsere Kinder bekommen hatten. Dann begann ich innerlich und äußerlich aufzuräumen. Dabei fand ich in meinem Zimmer einen alten Liebesbrief von Marcel, in dem er mir seine Gefühle gestand. Der letzte Satz brachte mich zum Weinen: „Liebe Karla, ich habe nur ein Herz zu verschenken. Bitte gib gut acht darauf!“ Ich hatte es ihm damals versprochen und wusste um den Schmerz, betrogen zu werden. Nie hätte ich ihm das angetan. Daraufhin habe ich krampfhaft versucht, wieder mehr in Gedanken bei ihm zu sein. Doch ich konnte nicht, so sehr ich es mir wünschte. Die Nähe zu Marcel ging mit jedem weiteren Tag verloren. All die Jahre mit ihm führte ich ein

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