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      Über Mynes und Lyrnessos wäre damit wohl alles gesagt. Was sollte ich dort machen. Außer weiter. Immer weitermachen. Ich transitierte haufenweise Protokolle im Apollon-Katalog. Ich konnte protokollieren, was ich wollte. Die ständige Frage, was halte ich wie fest, wenn mir irgendwo etwas auffällt. Damit ich möglichst viele Kommentare erhalte. Die Frage blieb. Und dann immer wieder nachschauen. Gibt es schon Reaktionen? Kommentarskommentare? Und wenn, welche Bewohnerin oder Bewohner schreibt da eigentlich? Ich kenne schon so viele, organisiere sie extra in speziellen Listen und Unterlisten. Aber trotzdem. Irgendwann verliert man den Überblick. Aber alles läuft nur noch über die Protokolle, Kommentare und Kommentarskommentare. Und alles in verschiedenen Listen. Man arbeitet permanent. Ihr kennt das ja selbst. Zweifel. Was ist noch normal? Verblöden wir nicht irgendwann, wenn das so weitergeht [Darstellung eines Pygmaíos mit einem zugekniffenen Auge] … Aber was blieb mir übrig, außer weiterzumachen [Darstellung eines Pygmaíos, der beide Augen zusammenkneift]. Und bei Achilleus waren die Arbeitsbedingungen besser als bei Mynes.

      Ich lag also an Deck. Achilleus kehrte von Verhandlungen mit Agamemnon zurück auf sein Schiff. Ich hatte es mir ähnlich wie jetzt auf einer Liege bequem gemacht und tippte gerade ein Protokoll in mein Artemis-Gerät, als ich bemerkte, wie er neben mich trat, seine Uniformjacke über die Schulter geworfen, die er mit dem gebogenen rechten Daumen am Kragen hielt. Unter der verspiegelten Pilotenbrille, deren Rahmen von den Brauen bis an die Nasenflügel reichte, verschwanden seine Lippen zu einer Linie. Die Kraft, mit der er sie aufeinanderpresste, verriet, wie unbefriedigend an diesem Tag das Gespräch mit Agamemnon für ihn verlaufen sein musste. Seine Jacke warf Achilleus über die Lehne der Liege, auf der er Platz nahm, den Körper leicht vorgebeugt, die Ellbogen auf die Oberschenkel gestützt. Dann drehte er ruckartig seinen Kopf nach links und blickte nach wie vor stumm zum Bug und in Richtung Meer. Ich hatte das Gerät neben mich gelegt und beobachtete ihn, ebenfalls ohne etwas zu sagen. Man musste schweigen können in seiner Gegenwart.

      Das mit Mynes tue ihm leid, presste er schließlich hervor. Ich versicherte ihm, dass ihm das überhaupt nicht leid tun müsse, alles sei juristisch zu einhundert Prozent legitimiert, außerdem habe er das schon so häufig gesagt, und jedes Mal, bestärkte ich ihn, habe ich meine Unterstützung zugesichert bei allen seinen Entscheidungen. „Du hattest keine andere Wahl, mein Süßer“, lächelte ich.

      Er drehte das Gesicht zu mir und riss seine Brille runter. In der Sonne waren seine Augen zu schmalen Schlitzen geworden. Er blinzelte.

      „Seine Bilanzen waren im Grunde hervorragend, er expandierte, ohne leichtsinnig zu werden. Mynes hatte immer klug und vorausschauend investiert. Aber dann hat es ihn einfach erwischt, weißt du? Ich hatte ja keine andere Wahl.“

      „Das weiß ich doch, mein Süßer. Du hast absolut richtig gehandelt.“

      „Ich musste ihn zwangstransmittieren.“

      „Sicher.“

      „Ich tat es ungern.“

      „Das ehrt dich.“

      „Sonst hätte ja ich am Ende. Wer weiß.“

      „Mach dir keine Gedanken.“

      „Ich denke dabei nur an dich. Ich mag dich wirklich gerne. Weißt du.“

      Und so weiter. Mit blicklosen Augen sah Achilleus in meine Richtung. Wie er auf der Liege neben mir saß. Seine Ärmel aufknöpfte. Und sie langsam und umständlich über den Unterarm zum Ellbogen rollte. Reglos blieb.

      Ich wollte etwas sagen. Aber ich hatte das Gefühl, einer Erwartung entsprechen zu müssen, etwas ganz Bestimmtes zu sagen, von dem ich auch ganz genau wusste, was es war, genau deswegen es jedoch nicht sagen konnte. Ich spürte etwas wie einen Nebel in meinem Körper aufsteigen. Es fühlte sich grau und schwer an. Aber wenn man es hätte beiseite schieben wollen, wäre die Hand wirkungslos hindurchgefahren, und es wäre einfach dageblieben. In mir. Schwitzend stand ich auf und ließ Achilleus weinend auf der Liege zurück.

      Er konnte es nicht verbergen. Aber wozu auch. War er nicht eine Frau geblieben? Seit er sich früher einmal bei Lykomedes in Skyros versteckt gehalten hatte. Um sich vor dem Krieg zu schonen. Auch damals schon war der Krieg wie heute ins Stocken geraten. Warum auch immer Achilleus davon ausging, unentdeckt zu bleiben. Es war eine Frage der Zeit, und im Katalog tauchte schließlich ein Bild von ihm auf: mit Strümpfen, Schleifchen, hohen Schuhen. Eine Bewohnerin von Lykomedes hatte es in einem Protokoll transikoniert. Man schickte Odysseus, ihn zu holen. Zwar war Achilleus zu nichts verpflichtet. Er war frei. Aber es gab einen offiziellen Beschluss: Ohne ihn kein Sieg. Aber woher kommt so ein Beschluss. Wer verfasst den denn. Warum können wir uns denn nicht anders entscheiden. Wir sind frei. Das Kostüm des Zweifels hat er immer noch unter seiner Uniform getragen. Jetzt versteckt er sich zum zweiten Mal und geht nicht mehr von Bord.

      Ein Militärarzt hat letztlich eine Bestätigung ausgestellt, wofür es öffentlich keine Erklärung geben konnte. Einer der Kommandeure verlässt sein Schiff nicht mehr? Will vom Kampf nichts mehr wissen? Wie bitte?! Sagt nichts? Schweigt? Was war denn da los? Armes Griechenland. Früher hätte es so was nicht gegeben … Man konnte sich wohl wegen nichts mehr sicher sein. Nichts zählte mehr. Und was man eben noch sein Eigen nennen durfte, das gehörte im nächsten Augenblick einem anderen. Und aus der Bewohnerin von Achilleus war per Beschluss die Bewohnerin Agamemnons geworden.

      Zwei Bedienstete kamen und stellten sich höflich, dabei mit einem seltsam flach wirkenden Gesichtsausdruck, nahezu papieren, als Talthybios und Epeios vor. Sie baten mich, sie zu begleiten und führten mich vom Schiff in ein kleines, motorisiertes Schlauchboot, mit dem sie zu Agamemnons Schiff übersetzten. Dort stieg ich mit ihnen an Deck, wo Agamemnon mich bereits erwartete. Seine verspiegelte Pilotenbrille nahm er nicht ab, als ich auf ihn zuging und er mir ein amorphes Lächeln zeigte, das seine Zähne plötzlich freilegte wie ein Reptil den Stein, auf dem es sich gerade noch in der Sonne gewärmt hatte, so lagen nun auf einmal glänzende, stumme Felsen in Agamemnons Mund. Er behielt die Hände in seinen Hosentaschen und ohne das übliche hummerscherenartige Umarmungsritual, mit dem sonst nach einem gegriffen wird, als versuche man, einen Aal zu fassen, ging er voraus, und ich folgte ihm unter Deck. In den schmalen Fluren nahm er seine Brille ab, und ich sah ihm zum ersten Mal in die blinzelnden Augen. Agamemnon zeigte mir alles. Ich gab mich imponiert und betete routiniert ein paar Komplimente im Stile irgendwelcher Design-Magazine runter, die vielleicht in der Saison 3270/711

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