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sagte er, ohne den inneren Türgriff loszulassen.

      »Ich … ähm.« Sie musste sich räuspern. Abwartend betrachtete er sie. Er sah unverschämt gut aus und war mindestens einen Kopf größer als sie. Da ihr ein Schritt nach hinten wegen der Treppe nach wie vor verwehrt war, musste sie den Kopf in den Nacken legen, um ihn richtig anzusehen.

      »Mein Name ist Emily Cooper. Ich bin die Nichte von Matilda Davies. Also, eigentlich die Großnichte …« Sie brach ab, und ihr wurde heiß. Der Mann verzog keine Miene und ließ sie nicht aus den Augen. Das machte sie unsicher, und dies wiederum machte sie ärgerlich. Was fiel ihm ein, sie derart zu begutachten?

      »Und?«, sagte er schließlich. Ihr Puls beschleunigte sich vor Ärger.

      »Wissen Sie vielleicht, wo meine Tante steckt?«, platzte sie heraus, wobei sie spürte, dass ihre Wangen sich röteten. Der Koffer, den sie eisern umklammert hielt, schien immer schwerer zu werden.

      »Sie möchten damit sagen, sie ist nicht zu Hause?«, erkundigte er sich.

      »Genau.« Allmählich wurde aus ihrem Ärger Wut. Machte sich der Kerl über sie lustig? Unerwartet hielt er ihr die Hand hin.

      »Tyler Roberts«, stellte er sich vor. Zögernd schlug sie ein.

      »Emily Cooper.«

      »Das sagten Sie schon.« Der Hauch eines Lächelns umspielte seine Mundwinkel. Emily presste die Lippen zusammen und entzog ihm ihre Hand. Sie fühlte sich wie ein Schulmädchen. Hilflos, beschämt und ratlos gleichermaßen. Aber auch voller Hoffnung, er könnte und würde ihr helfen. Dabei kannte sie ihn ja gar nicht.

      »Ihre Tante ist also abgängig. Waren Sie verabredet?«, fragte er.

      »Ja. Nein.« Wurde das jetzt ein Verhör? Sie hatte doch nur wissen wollen, ob er etwas wusste!

      »Was denn nun?« Jetzt lehnte er im Türrahmen, lässig, als habe er jede Menge Zeit. Entnervt stellte sie ihren Koffer neben sich. Das hätte sie eigentlich gleich tun sollen. Ihr Arm war schon ganz taub.

      »Ich wollte meine Tante mit meinem Besuch überraschen. Aber nun scheint sie nicht da zu sein. Das ist ungewöhnlich. Ich mache mir Sorgen«, erklärte sie ihm und hatte das Gefühl, wirr durcheinanderzusprechen.

      »Aha.«

      »Ja!« Fast hätte sie mit dem Fuß aufgestampft. »Ich telefoniere mehrmals in der Woche mit Tante Matilda. Samstagnachmittag ist sie immer zu Hause. Das letzte Mal habe ich sie gestern angerufen. Sie hat nichts davon gesagt, dass sie heute etwas vorhat.«

      »Nun, es kann sich ja überraschend etwas ergeben haben. Ich nehme an, Ihre Tante hat kein Handy, auf dem man versuchen könnte, sie zu erreichen?«, erkundigte er sich.

      »Da nehmen Sie richtig an.« Am besten, sie ließ ihn stehen und klingelte beim nächsten Nachbarn. Hier kam sie nicht weiter.

      »Möchten Sie bei mir auf Ihre Tante warten?«, schlug er unvermittelt vor.

      »Nein, nein.« Sie erschrak, ohne es sich erklären zu können. Er zuckte mit den Schultern. »Wie kann ich Ihnen dann helfen?«

      Emily hatte das Gefühl, innerlich zu schrumpfen.

      »Ich weiß es doch auch nicht.« Unglücklich sah sie zu Boden. »Ich dachte nur, Sie wohnen gleich nebenan. Vielleicht wissen Sie irgendwas. Vielleicht haben Sie sie weggehen sehen. Oder vielleicht hat sie Ihnen irgendwas erzählt, was sie heute vorhat.«

      »Nein, das hat sie nicht. Ich habe Ihre Tante vor ein oder zwei Tagen das letzte Mal gesehen. Wir haben uns nur zugewunken.« Er schien nachzudenken.

      »Was mach ich denn jetzt?«, jammerte sie.

      »Lassen Sie mich überlegen.« Er stieß sich mit der Schulter vom Türrahmen ab und hängte die Daumen in die Gürtelschlaufen ein.

      »Tante Matilda ist 82 Jahre. Was, wenn ihr etwas zugestoßen ist? Wissen Sie, ich habe keinen Schlüssel zum Haus …« Beschämt brach sie ab. Prompt lächelte er.

      »Das habe ich mir schon gedacht. Aber ich habe einen.«

      »Was?« Verblüfft sah sie zu ihm auf.

      »Ja. Ihre Tante hat sich im letzten Jahr zweimal ausgesperrt und jedes Mal ganz aufgeregt bei mir geläutet, um den Schlüsseldienst zu informieren. Nach dem zweiten Mal hat sie mich gebeten, einen Zweitschlüssel für sie aufzubewahren.«

      »Und das sagen Sie jetzt erst?« Empört funkelte sie ihn an.

      »Ja. Ich muss ja erst einmal sicher sein, dass Sie keine schlechten Absichten haben«, entgegnete er ungerührt. »Da könnte ja jeder kommen und ins Haus Ihrer Tante wollen.«

      »Aber ich wollte doch gar nicht ins Haus! Ich wollte doch nur wissen, ob Sie …«

      »Ach, Sie möchten gar nicht rein? Ich dachte, Sie machen sich Sorgen, dass etwas passiert ist?«

      Zornige Hitze durchrann Emily vom Kopf bis zu den Zehen und zurück. Was fiel ihm ein, so mit ihr zu reden und sie immer mehr durcheinanderzubringen?

      »Dann kann ich ja jetzt wieder an meine Arbeit gehen. Mir wird auch langsam kalt.« Nun machte er ernsthaft Anstalten, die Tür zu schließen.

      »Nein!« Hastig stellte sie den Fuß in den Rahmen. »Bitte … ich möchte dort drüben nach dem Rechten sehen.«

      »Na dann. Warten Sie einen Moment.« Emily presste die Lippen zusammen und verschränkte die Arme vor der Brust. Auch ihr war kalt, und sie hatte Hunger. Hauptsächlich aber hatte sie schreckliche Angst, was sie im Haus von Tante Matilda erwartete.

      Tyler Roberts war nach kaum einer Minute zurück. Er trug nun eine bunt karierte Strickjacke, die aussah, als wäre sie nicht billig gewesen, und klimperte mit einem Schlüsselbund.

      »Gehen wir«, sagte er, und ehe sie reagieren konnte, hatte er ihr Gepäck an sich genommen.

      »Sie müssen meinen Koffer nicht tragen«, protestierte sie und beeilte sich, ihm zu folgen.

      »Schon recht. Was haben Sie dabei? Bleikugeln?« Er warf einen flüchtigen Blick auf das altertümliche Stück. »Und überhaupt. Solche Koffer gibt es doch eigentlich nur noch im Antiquitätenhandel.«

      Sie beschloss, darauf keine Antwort zu geben.

      Mit pochendem Herzen stand sie kurz darauf auf der Treppe zu Matildas Haus hinter Tyler Roberts, der aus seinem Schlüsselbund den Schlüssel der Tante heraussuchte. Er hielt ihn ihr hin.

      »Hier.«

      »Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Bitte machen Sie das.«

      Verwundert zog er die Augenbrauen hoch, kam aber ihrem Wunsch nach. Ehe er den Schlüssel im Schloss drehte, wandte er sich ihr noch einmal zu.

      »Vielleicht klingeln wir doch erst noch mal.«

      Emily nickte, und Tyler Roberts drückte auf die Glocke. Sie hörten das melodische Läuten durch die alten Mauern und das Holz der Tür, sonst blieb alles ruhig.

      »Okay. Dann schauen wir rein. Aber Sie übernehmen die Verantwortung«, sagte er, ohne Emily anzusehen, und sperrte auf.

      Die Haustür knarrte ein wenig, und die Luft im dunklen Flur roch muffig.

      »Tante Matilda?«, rief Emily. Ihre Stimme krächzte. Sie räusperte sich und rief noch einmal nach der Tante. Im Haus blieb es still. Sie tastete nach dem Lichtschalter. Ein schwerer Druck lag ihr im Magen. Das Licht flammte auf. Der Flur lag verlassen vor ihnen. Alles war, wie sie es in Erinnerung hatte. Die leicht vergilbte Blümchentapete an den Wänden, der weiße Holzstuhl mit den grazilen Armlehnen und dem rosa Bezug, der Garderobenständer aus Messing, an dem zwei Jacken und zwei Hüte von Matilda hingen. Darunter standen, sorgsam aufgereiht, drei Paar Schuhe.

      »Bitte«, wandte sie sich an ihren Begleiter. »Würden Sie vorausgehen? Ich hab Angst, dass …« Sie drückte die Fingernägel in die Handballen. Er nickte. Zielstrebig marschierte Tyler Roberts voraus. Die Küche war

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