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dem verstörten Märtyrer auf der gegenüberliegenden Wand einen warmen Ausdruck.

      »Sie fangen an, mir zu gefallen«, sagte der Feldkurat, indem er sich wieder auf den Tisch setzte. »Zu welchem Regiment gehören Sie?« Er fing an zu rülpsen.

      »Melde gehorsamst, Herr Feldkurat, ich gehör zum einundneunzigsten Regiment und gehör nicht dazu, ich weiß überhaupt nicht, was mit mir los ist.«

      »Und warum sitzen Sie eigentlich hier?« fragte der Feldkurat, ohne daß er zu rülpsen aufhörte.

      Aus der Kapelle drangen die Klänge des Harmoniums herein, das die Orgel vertrat. Der Musikant, ein Lehrer, der wegen Desertion eingesperrt war, spielte auf dem Harmonium die jämmerlichsten Kirchenmelodien. Mit dem Rülpsen des Feldkuraten verschmolzen diese Laute zu einer neuen dorischen Tonleiter.

      »Melde gehorsamst, Herr Feldkurat, daß ich wirklich nicht weiß, warum ich hier sitz, und daß ich mich nicht beschwer, daß ich hier sitz. Ich hab nur Pech. Ich mein immer alles gut, und zum Schluß wird für mich immer das Schlechteste draus, wie dort bei diesem Märtyrer auf dem Bild.«

      Der Feldkurat schaute das Bild an, lachte und sagte: »Sie gefallen mir wirklich, über Sie muß ich mich beim Herrn Auditor erkundigen, aber länger werde ich mich mit Ihnen nicht unterhalten. Ich will die heilige Messe schon vom Hals haben. Kehrt euch! Abtreten!«

      Als Schwejk in die heimatliche Gruppe der Unterhosen unter der Kanzel zurückkehrte, antwortete er auf die Frage, was der Feldkurat in der Sakristei von ihm gewollt habe, sehr trocken und kurz: »Er is besoffen.«

      Die neue Leistung des Feldkuraten, die heilige Messe, wurde von allen mit großer Aufmerksamkeit und unverhohlener Sympathie verfolgt. Einer unter der Kanzel wettete sogar, daß dem Feldkuraten die Monstranz aus den Händen fallen werde. Er setzte seine ganze Ration Brot gegen zwei Ohrfeigen und gewann die Wette.

      Das, was beim Anblick der Zeremonien des Feldkuraten die Seelen aller erfüllte, war nicht der Mystizismus Gläubiger oder die Frömmigkeit wahrer Katholiken. Es war ein Gefühl wie im Theater, wenn wir den Inhalt eines Stücks nicht kennen, die Handlung sich verwirrt und wir neugierig warten, wie sie sich entwickeln wird. Sie versenkten sich in das Bild, das ihnen der Feldkurat am Altar mit großer Opferfreudigkeit bot.

      Sie gaben sich dem ästhetischen Genuß des Ornats hin, das der Feldkurat verkehrt angezogen hatte, und beobachteten mit innigem Verständnis und Eifer alles, was sich beim Altar begab. Der rothaarige Ministrant, ein Deserteur aus Küsterkreisen, Spezialist in kleinen Diebstählen beim 28. Regiment, war bestrebt, die ganze Reihenfolge, die Technik und den Text der heiligen Messe aus dem Gedächtnis hervorzuholen. Er war gleichzeitig Ministrant und Souffleur des Feldkuraten, der mit vollendetem Leichtsinn ganze Sätze überwarf und statt der gewöhnlichen Messe im Meßbuch bis zur Adventandacht kam, die er zur allgemeinen Zufriedenheit des Publikums zu singen begann.

      Er hatte weder Stimme noch Gehör, und unter der Wölbung der Kapelle ertönte ein Winseln und Kreischen wie in einem Schweinestall.

      »Der is aber heut besoffen«, sagten die vor dem Altar mit voller Befriedigung, »den hats gepackt! Der hat sich wieder gegeben! Gewiß hat er sich bei Weibern besoffen.«

      Und vielleicht schon zum drittenmal ertönte vor dem Altar der Gesang des Feldkuraten: »Ite missa est!« wie das Kriegsgeheul von Indianern, daß die Fenster zitterten.

      Dann schaute der Feldkurat noch einmal in den Kelch, ob nicht doch noch ein Tröpfchen Wein übriggeblieben sei, machte eine verdrießliche Gebärde und wandte sich an die Zuhörerschaft: »So, jetzt könnt ihr schon nach Hause gehn, ihr Lumpen, es ist schon Schluß. Ich hab bemerkt, daß ihr nicht die wahre Frömmigkeit zeigt, wie ihr sie an den Tag legen sollt, wenn ihr in der Kirche vor dem Angesicht der heiligsten Altarsakramente steht, ihr Lauskerle! Angesicht in Angesicht mit Gott dem Herrn schämt ihr euch nicht, laut zu lachen, zu husten und zu kichern, mit den Füßen zu scharren, noch dazu vor mir, der die Jungfrau Maria, Jesus Christus und Gott Vater vertritt, ihr Lumpen. Wenn sich das nächstens wiederholt, so werde ich euch Mores lehren, wie sichs gehört und gebührt, damit ihr wißt, daß es nicht nur die Hölle gibt, von der ich euch das vorletztemal gepredigt hab, sondern daß es auch eine Hölle auf Erden gibt, und wenn ihr euch auch vor der ersten retten könntet, vor dieser werdet ihr euch nicht retten. Abtreten!«

      Der Feldkurat, der eine so verflucht alte wohltätige Einrichtung wie den Besuch von Sträflingen so schön in Wirklichkeit umsetzte, verschwand in der Sakristei, kleidete sich um, ließ sich aus dem Demijohn4 in eine Kanne Meßwein einschenken, trank ihn aus und setzte sich mit Hilfe seines Ministranten auf sein im Hof angebundenes Reitpferd; aber dann erinnerte er sich Schwejks, kletterte hinunter und ging in die Kanzlei zu Auditor Bernis.

      Untersuchungsauditor Bernis war ein Gesellschaftsmensch, ein bezaubernder Tänzer und moralisch verkommenes Subjekt. Er langweilte sich schrecklich und schrieb deutsche Gedenkbuchverse, um immer einen Vorrat davon bereit zu haben. Er war der wichtigste Teil des ganzen Militärgerichtsapparates, denn er hatte eine so ungeheure Menge von unerledigten und verwickelten Akten, daß er dem ganzen Kriegsgericht auf dem Hradschin Respekt einflößte. Er pflegte das Anklagematerial zu verlieren und war gezwungen, neues zu ersinnen. Er verwechselte die Namen, verlor die Fäden der Klage und spann neue, wie es ihm einfiel. Er verurteilte Deserteure wegen Diebstahls und Diebe wegen Desertion. Er spann sogar politische Prozesse, die er aus der Luft griff. Er machte den unmöglichsten Hokuspokus, um Angeklagte eines Verbrechens zu überführen, das sich diese niemals hatten träumen lassen. Er ersann Majestätsbeleidigungen und unterschob die ausgedachten inkriminierenden Aussprüche immer jemandem, dessen Anklage oder Strafanzeige in diesem undurchdringlichen Chaos von Amtsakten und Zuschriften verlorengegangen war.

      »Servus«, sagte der Feldkurat, ihm die Hand reichend, »wie gehts?«

      »Mäßig«, antwortete Untersuchungsauditor Bernis, »man hat mir das Material überworfen, und nicht mal der Teufel kennt sich drin aus. Gestern hab ich das schon durchgearbeitete Material über einen Fall von Meuterei hinaufgeschickt, und sie haben mirs zurückgeschickt, weil es sich angeblich nicht um Meuterei, sondern um Konservendiebstahl handelt. Und ich hab noch dazu eine andere Nummer draufgegeben, aber wie sie draufgekommen sind, das weiß Gott.« Der Auditor spuckte aus.

      »Spielst du noch Karten?« fragte der Feldkurat.

      »In Karten hab ich alles verloren; letzthin haben wir mit dem glatzköpfigen Oberst Makao gespielt, und ich hab ihm alles in den Schlund geworfen. Aber ich weiß von einem netten Mädl. Und was machst du, Heiliger Vater?«

      »Ich brauche einen Burschen«, sagte der Feldkurat, »vor kurzem hab ich einen alten Buchhalter ohne akademische Bildung gehabt, aber ein Rindvieh erster Klasse. Fort hat er nur geraunzt und gebetet, Gott möge ihn beschützen, so hab ich ihn mit dem Marschbataillon an die Front geschickt. Es heißt, daß das Bataillon ganz aufgerieben wurde. Dann hat man mir einen Kerl geschickt, der nichts anderes gemacht hat, als im Wirtshaus sitzen und auf meine Rechnung trinken. Er war ganz passabel, aber die Füße haben ihm geschwitzt. So hab ich ihn auch mit dem Marschbataillon an die Front geschickt. Heut hab ich bei der Predigt einen Kerl gefunden, der aus Hetz zu weinen angefangen hat. So einen Menschen könnt ich brauchen. Er heißt Schwejk und sitzt auf Nummer 16. Ich möcht gern wissen, warum man ihn eingesperrt hat und ob es nicht zu richten geht, daß ich ihn bekommen könnt.«

      Der Auditor suchte in den Schubläden die Akten, die Schwejk betrafen, konnte aber, wie gewöhnlich, nichts finden.

      »Hauptmann Linhart wirds haben«, sagte er nach langem Suchen, »weiß der Teufel, wohin bei mir alle Akten verschwinden. Wahrscheinlich hab ich sie zu Linhart geschickt. Gleich telefonier ich hin … ›Halloo, hier Oberleutnant Auditor Bernis. Herr Hauptmann, bitte, haben Sie dort nicht die Akten betreffs eines gewissen Schwejk? – Daß die Akten bei mir sein müssen? Das wundert mich aber. – Daß ich sie von Ihnen übernommen hab? Das wundert mich wirklich. – Er sitzt auf Nummer 16. – Ich weiß, Herr Hauptmann, daß ich Nummer 16 hab. Aber ich hab geglaubt, daß sich die Akten Schwejk irgendwo bei Ihnen herumwälzen. – Daß Sie sich ausbitten, daß ich so mit Ihnen spreche? Daß sich bei Ihnen nichts herumwälzt? – Halloo, halloo …‹«

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