Скачать книгу

und wenigstens ein bisschen Weihnachtszauber in ihrem Leben. Das Fest der Familie gab es für sie nicht, denn ihre Familie war für sie persönlich gestorben. Bis auf diese betriebliche Weihnachtsfeier ignorierte sie die Weihnachtsfeiertage. Nicht ein weihnachtlicher Gegenstand war in ihrer Wohnung zu finden.

      Zu ihrem gewalttätigen Vater hatte sie keinen Kontakt mehr. Penelopes Mutter war seit Jahren in einer psychiatrischen Klinik, wo Penelope sie regelmäßig besuchte. Geschwister hatte sie keine. Penelope vergnügte sich an den Weihnachtsfeiertagen auf irgendwelchen Partys in der Stadt, wo sie Gleichgesinnte traf, die ebenfalls dem Weihnachtsfeeling entfliehen wollten.

      ***

      Die Stimmung im Büro war ausgelassen. Alle freuten sich auf die Weihnachtsfeiertage in ein paar Wochen, die freien Tage mit der Familie und auf das Weihnachtsdinner. Nach Erhalt der Einladungen wurde sogleich von den Frauen die Feier im vergangenen Jahr ausgewertet. Mrs Russel war bei einem Außentermin und so hatten es die Frauen nicht eilig mit ihren Akten, die sich auf den Schreibtischen stapelten. Es wurden die schrägsten Outfits besprochen und was man dieses Jahr trug, wer angeblich mit wem irgendwo verschwunden war. Penelope und Paige hielten sich zurück und warfen nur hier und da einen kurzen Kommentar ein. Die anderen drei Frauen tratschten umso mehr. Penelope hörte dem Geplapper gern zu. Sie mochte ihre Kolleginnen, sie fühlte sich wohl unter ihnen. Hier gehörte sie dazu, hier war sie jemand.

      ***

      Auf dem Nachhauseweg klingelte Penelopes Handy. Mit einem unguten Gefühl las sie die Nummer der Klinik auf dem Display. In den letzten zwei Jahren hatte ihre Mutter mehrere Male versucht, sich das Leben zu nehmen. Penelope atmete tief durch, dann ging sie ran.

      »Hallo, spreche ich mit Penelope Powell?«

      »Ja.«

      »Mrs Powell, hier spricht Schwester Valerie. Ich würde Sie bitten, eher zu kommen, nicht erst am Freitag. Ihre Mutter isst seit Tagen nichts mehr. Können Sie kommen? Heute noch? Ich mache mir wirklich Sorgen.«

      Erleichtert antwortete Penelope: »Ich mache mich gleich auf den Weg, Schwester Valerie. Danke, dass Sie angerufen haben. Sie sind sehr nett.«

      Und das meinte Penelope ehrlich. Schwester Valerie war vom ersten Tage an die Lieblingsschwester an der Seite ihrer Mutter gewesen und sie war eine herzensgute Frau. Ihr rundliches Gesicht, ihre Figur, ihre Stimme, die ganze Erscheinung strahlte etwas Mütterliches aus. Diese Frau musste man einfach gern haben.

      Als Penelope in der Klinik ankam, kaufte sie im Shop nebenan noch ein paar Weintrauben.

      Auf der Station wechselte Penelope ein paar Worte mit Schwester Valerie, die ihr auch gleich einen Teller mit dem Abendessen in die Hand drückte. Danach ging sie in das Zimmer ihrer Mutter, die im Bett neben dem Fenster lag.

      »Hallo, Mum«, begrüßte sie ihre Mutter, gab ihr einen Kuss auf die Wange und stellte den Teller auf dem Nachttisch ab. »Komm, mach die Augen auf! Ich weiß, dass du nicht schläfst.«

      Ihre Mutter tat ihr den Gefallen.

      »Was machst du denn für Sachen?«, fragte Penelope, ohne eine Antwort zu erwarten. Ihre Mutter sprach seit Jahren kein Wort mehr. »Schwester Valerie hat mich angerufen. Schmeckt dir das Essen hier nicht mehr? Ich habe dir Weintrauben mitgebracht. Weißt du noch, wie ich die immer auf Spieße gesteckt habe? Du hast geschimpft, warum ich so eine Manscherei mache.«

      Penelope erzählte weiter und ging dabei ins Bad, um die Trauben zu waschen. Das Wasser rauschte, als Penelope plötzlich inne hielt.

      »Kleine Pen!«

      Hatte sie sich verhört? Hatte ihre Mutter sie gerufen? Penelope stellte das Wasser ab.

      »Kleine Pen! Komm her!«, hörte sie diesmal deutlich.

      Penelope ließ die Weintrauben ins Waschbecken fallen und ging ungläubig an das Bett ihrer Mutter. Sie wischte sich schnell die nassen Hände an ihrer Hose ab, zog sich einen Stuhl heran, setzte sich und nahm die Hand ihrer Mutter. Die sah sie mit wachen Augen an.

      »Mum? So hast du mich seit Jahren nicht mehr genannt. Was ist los?«

      »Hör mir zu!«

      Penelope kamen die Tränen. Die Stimme ihrer Mutter zu hören, war ein ergreifender Moment. Penelope konnte nur nicken.

      »Ich will nicht mehr«, sagte ihre Mutter mit leiser Stimme. »Ich war lange genug auf dieser Welt. Ich habe nichts richtig gemacht. Ich war eine schlechte Mutter. Ich war eine schlechte Ehefrau.«

      Nun konnte Penelope die Tränen nicht mehr halten. Unkontrolliert liefen sie über ihre Wangen.

      »Das stimmt nicht«, flüsterte Penelope. »Du …«

      »Lass mich reden!«, unterbrach sie ihre Tochter. »Ich weiß, was du sagen willst und ich kann dich verstehen. Ich bitte dich, verstehe auch mich. Ich wäre gern noch einmal so jung wie du. Jetzt weiß ich, dass ich es besser machen könnte. Versprich mir, dass du es besser machst. Versprich es mir! Du warst so ein liebes Kind. Ich hatte nur meine eigenen Probleme. Was du alles gesehen, gehört und ertragen hast, das sollte kein Kind erleben. Versprich mir, dass du es besser machst! Such dir einen lieben Mann! Vergiss die Männer, die uns wehgetan haben! Vergiss sie einfach! Sei nicht so hart! Öffne dein Herz auch für jemand anderen! Kannst du das machen? Für mich?«

      Penelope fehlten die Worte, sie heulte und warf sich auf die Brust ihrer Mutter.

      Die streichelte die roten Locken ihrer Tochter und sprach weiter: »Kleine Pen, meine kleine Pen, ich weiß, dass du stark bist. Das ist der einzige Wunsch, den ich noch habe. Bitte sag mir, dass du ein besseres Leben führen wirst! Ein glückliches!«

      »Mum, lass mich nicht allein. Du bist der einzige Mensch, den ich noch habe«, brachte Penelope unter Schluchzen hervor.

      »Ich bin dir keine Hilfe«, sagte Penelopes Mutter mit fester Überzeugung. »Ich bin allen nur eine Last. Ich bin mir selbst eine Last und darum möchte ich gehen.«

      »Du bist meine Mum!«

      »Ich war dir nie eine gute Mutter. Bitte versprich es mir! Öffne dein Herz für einen anderen! Du sollst geliebt werden und lieben. Mein ganzes Leben hab ich auf die Liebe gehofft«, sprach sie eindringlich auf ihre Tochter ein.

      Penelope hob ihren Kopf und sah verschwommen in die Augen ihrer Mutter. Unter Tränen gab sie ihr das Versprechen und ließ ihren Kopf wieder auf die Brust ihrer Mutter fallen, um zu weinen. Ihre Mutter streichelte wieder beruhigend Penelopes Haar. Eine Ewigkeit verweilten sie so schweigend.

      »Kleine Pen, geh jetzt! Ich bin wirklich müde, sehr müde.«

      Penelope hatte keine Tränen mehr übrig. Sie erhob sich.

      »Ja, Mum. Es ist schon spät.«

      Penelope fuhr sich durch die Haare und wischte ihre laufende Nase ab. Dann küsste sie ihre Mutter zum Abschied auf die Wange.

      »Ich komme morgen wieder, Mum. Bitte iss etwas!«

      Ohne darauf einzugehen, sagte ihre Mutter: »Du siehst hübsch aus mein Kind. Die roten Haare stehen dir.«

      Penelope lächelte gequält und ging zur Tür.

      »Ich liebe dich!«, rief ihre Mutter ihr hinterher und das waren die letzten Worte, die Penelope von ihr hörte. In der Nacht schlief sie ein, für immer.

      ***

      Penelope vergoss keine Träne mehr. Mit Hilfe ihrer harten Schale erledigte sie die Behördengänge und die Beerdigung mit äußerlicher Gelassenheit. Die Trauerbekundungen ihrer Kolleginnen nahm sie höflich an und ansonsten wollte sie so schnell wie möglich zur Normalität zurückkehren. Penelope ging wieder ins Büro und sagte auch nicht das Weihnachtsdinner ab, wofür ihre Kolleginnen Verständnis gehabt hätten.

      ***

      Die Party war in vollem Gange. Die Reste des köstlichen Essens waren abgetragen, Father Christmas hatte die Lostrommel gedreht und die Geschenke verteilt. Penelope war ausgelassener Stimmung. Sie wollte genau in der Stimmung sein. Sie trank und tanzte

Скачать книгу