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ich musste es ihnen sagen. Ich war diejenige, die Roses Eltern sagen musste, was mir die Polizei gerade mitgeteilt hatte.“ Sie hielt inne, stocherte in ihrem Salat und fügte dann hinzu, „das war der absolut schlimmste Augenblick meines Lebens.“

      Nur mit Mühe konnte Kate DeMarco anblicken, die ihre Geschichte nicht wie jemand erzählt hatte, der emotional involviert ist, sondern sie hatte die Ereignisse wie ein Roboter abgespult. Kate wurde nun klar, warum DeMarco so heftig reagiert hatte, als sie sie am vorherigen Abend mitgeschleift hatte, um Missy Tucker die schlechten Nachrichten zu überbringen.

      „Wenn ich davon gewusst hätte, dann hätte ich dir niemals diese Sache aufgehalst“, sagte Kate.

      „Ich weiß. Gestern Abend wusste ich das auch, aber meine Gefühle haben mich nicht logisch denken lassen. Um ehrlich zu sein, ich musste erst einmal selber damit klarkommen. Tut mir leid, dass du das abbekommen hast.“

      „Ist schon in Ordnung“, meinte Kate.

      „Musstest du das oft tun während deiner Karriere? Ich meine, solche Nachrichten überbringen?“

      „Oh ja. Und es wird nie einfacher. Es erleichtert die Sache ein wenig, sich selbst emotional zu distanzieren. Aber leicht wird diese Aufgabe nie.“

      Sie schwiegen eine Zeitlang. Der Kellner kam und füllte die Weingläser auf, und Kate machte sich wieder über ihren Burger her.

      „Wie läuft es eigentlich mit deinem Kerl?“, fragte DeMarco. „Allen heißt er, richtig?“

      „Das läuft ganz gut. Er ist jetzt an dem Punkt unserer Beziehung, an dem er sich Sorgen darüber macht, dass ich beim FBI bin. Ihm wäre es lieber, wenn ich einen Schreibtischjob hätte. Oder ganz zuhause bliebe.“

      „Dann ist es also ziemlich ernst mit euch?“

      „Scheint so. Einerseits finde ich das aufregend. Andererseits gibt es einen kleinen Teil in mir, der denkt, dass dies Zeitverschwendung sein könnte. Er und ich, wir gehen beide auf die sechzig zu. In dem Alter noch eine neue Beziehung anzufangen fühlt sich irgendwie… merkwürdig an.“ Da sie spürte, dass DeMarco gern mehr darüber geredet hätte, wechselte sie schnell das Thema.

      „Und wie sieht es bei dir aus? Ist dein Liebesleben in die Gänge gekommen, seitdem wir uns das letzte Mal darüber unterhalten haben?“

      DeMarco schüttelte den Kopf und lächelte. „Nein, aber das ist meine eigene Wahl. Ich bin gern im Land der One-Night-Stands unterwegs, solange ich noch kann.“

      „Und macht dich das glücklich?“

      DeMarco schien ehrlich überrascht von der Frage. „Irgendwie schon. Ich habe momentan keinen Kopf für die Pflichten und Verantwortungen, die zu einer festen Beziehung gehören.“

      Kate schmunzelte. Sie selbst war nie im Land der One-Night-Stands unterwegs gewesen. Sie hatte Michael kennengelernt, als sie noch am College war. Sie heirateten anderthalb Jahre später. Schon beim ersten Kuss war ihr klar, dass sie mit ihm ihr Leben verbringen wollte.

      „Also, was ist der nächste Schritt in unserem Fall?“, fragte DeMarco.

      „Ich überlege, ob es Sinn macht, sich mit dem alten Fall, dem Nobilini-Fall, noch einmal persönlich zu befassen, anstatt nur die Akten durchzugehen. Ich frage mich, ob es inzwischen innerhalb der Nobilini-Familie neue Erkenntnisse gegeben hat. Aber… es verhält sich ähnlich wie bei dir und dem Tod deiner Freundin… es ist nichts, womit ich mich freiwillig gern befassen möchte.“

      „Das heißt, morgen stehen noch mehr unangenehme Besuche und Gespräche an?“

      „Vielleicht. Ich bin mir noch nicht sicher.“

      „Gibt es irgendetwas, das ich wissen sollte, bevor ich blindlings in etwas hineinstolpere?“

      „Wahrscheinlich ja. Aber glaub mir… das heben wir uns lieber für morgen früh auf. Sonst wird es heute Abend zu spät, und es wird mir den Schlaf rauben.“

      „Oh. Ich sehe schon, in welche Richtung das geht.“

      „Genau…“

      Sie tranken ihren Wein aus und bezahlten. Auf dem Weg in ihre Zimmer dachte Kate über die Geschichte nach, die DeMarco ihr erzählt hatte – dieses traurige Erlebnis in ihrer Vergangenheit. Wieder einmal wurde ihr bewusst, wie sie wenig über ihren Partner wusste. Wenn sie eine normale Arbeitsbeziehung hätten, in der sie sich fast täglich sähen, dann wäre das etwas anderes. So aber sahen sie sich nur alle paar Monate ein- oder zweimal. Sie fragte sich, ob sie sich genug Mühe gab, DeMarco wirklich kennenzulernen.

      Ihre Wege trennten sich vor ihren Zimmern, die sich direkt gegenüber lagen. Kate verspürte das Bedürfnis, noch etwas zu sagen – irgendetwas, um DeMarco zu zeigen, dass sie ihre Offenheit zu schätzen wusste.

      „Ich möchte mich noch einmal für gestern Abend entschuldigen“, sagte sie. „Mir wird langsam klar, dass ich dich nicht genügend kenne, um solche Entscheidungen für uns beide treffen zu können.“

      „Es ist okay, wirklich“, sagte DeMarco. „Ich hätte dir gleich davon erzählen sollen.“

      „Wir müssen beide mehr daran arbeiten, uns besser kennenzulernen. Das ist absolut nötig, wenn wir uns unser Leben anvertrauen. Vielleicht sollten wir deshalb auch außerhalb der Arbeit mehr gemeinsame Zeit verbringen.“

      „Ja, das wäre gut“, meinte DeMarco, als sie ihre Tür aufschloss. „Du sagtest, du wolltest dir noch ein paar Gedanken machen zu dem alten Fall, dem Nobilini-Fall. Sag Bescheid, falls du etwas besprechen möchtest.“

      „Das mache ich“, sagte Kate.

      Und damit verschwanden beide in ihre jeweiligen Zimmer und beschlossen so den gemeinsamen Abend. Kate entledigte sich ihrer Schuhe und setzte sich direkt an den Laptop. Während sie ihn hochfuhr, rief sie Director Duran an. Wie schon erwartet, nahm er den Anruf nicht selbst entgegen, sondern Kates Anruf landete bei seiner Persönlichen Assistentin Nancy Saunders in seinem Vorzimmer. Kate bat sie darum, ihr schnellstmöglich die digitalisierten Akten des Nobilini-Falls zu emailen. Zwar hatte DeMarco einige der Akten im Gepäck, aber das waren nur die mit generellen Informationen zum Fall. Kate hatte das Bedürfnis, sich wieder neu mit den unappetitlichen Details vertraut zu machen. Saunders versprach, sich darum zu kümmern, und dass Kate die Email spätestens am nächsten Morgen um 9 Uhr erhalten würde.

      Cass Nobilini, dachte Kate.

      Sofort, als Duran die mögliche Verbindung des aktuellen Falls mit dem Nobilini-Fall erwähnte, hatte sie an die Frau denken müssen. Als sie die Klagelaute und das Weinen von Missy Tucker hörte, die gerade vom Tod ihres Mannes erfahren hatte, musste sie wieder an Cass Nobilini denken. Und dann wieder, als sie mit Jack Tuckers Freunden sprach.

      Cass Nobilini, Frank Nobilinis Mutter. Die Frau, die es als beleidigend und absolut verwerflich angesehen hatte, dass die Medien den Mord an ihrem Sohn insbesondere auf Grund der Tatsache aufgriffen, dass er einst mehreren bekannten Mitgliedern des Kongresses als Finanzieller Berater zur Seite gestanden hatte. Kate schalt sich dafür, dass sie angenommen hatte, dass der aktuelle Fall sie nicht auf die eine oder andere Weise zum Nobilini-Fall zurück führen würde.

      Die Erinnerung an Cass Nobilini blieb für den restlichen Abend im Vordergrund ihrer Gedanken, selbst als sie sich schließlich hinlegte und langsam einschlief.

      ***

      Sie sah noch immer den Tatort vor sich. Durch die vielen Jahre, die inzwischen vergangen waren, war die Erinnerung etwas eingerostet und verblasst, aber wann immer sie träumte, gab es von Verschwommenheit keine Spur. In ihren Träumen sah sie alles messerscharf vor sich, so, als sähe sie fern.

      Auch in dieser Nacht, als sie kurz nach 21 Uhr einschlief und sich dann bis Mitternacht unruhig im Schlaf hin und her wälzte, sah sie die Szene wieder vor sich.

      Sie sah Frank Nobilini vor sich, getötet

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