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      Ann Quin

      BERG

      Roman

      Aus dem Englischen von Conny Lösch

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      Ein Mann namens Berg, der sich Greb nannte, kam in eine Küstenstadt, um seinen Vater zu ermorden …

      Das Fenster war getrübt von für die Jahreszeit untypischem Sprühregen. Über dem Meer, mit Blick auf die Stadt, wälzt sich ein Körper auf einem quietschenden Bett: ein Fisch ohne Flossen, platter Kopf, weiße Schuppen, eingepfercht in ein Zimmer am Gang – nur selten von der Sonne in seinen Abmessungen berührt – Alistair Berg, Haarpfleger, krumme zusammengewachsene Zehen, angespannt zwischen Herz und Uhr, Knabbereien im Halbdunkel, dazu Gelächter aus dem Tanzlokal gegenüber. Soll ich noch mal hin, mir eine andere suchen? Selbst ein Dutzend wäre kaum befriedigend; Trost in der Selbstbefriedigung, pornografische Bilder hängen an Zweigen des Gehirns. GESUCHT wird ein daunenweiches, fröhliches Singvögelchen zum Flachlegen, und den Rest vergessen. Eine Woche in einer fremden Stadt verbracht, trotzdem keine weiteren Fortschritte – den Alten noch nicht mal angesprochen, und nach all den Jahren, den Versprechungen, Plänen, bleibt das fantasiereich Angestrebte so statisch wie ein Traum von gestern. Eine saubere Messerklinge schneidet in die Wand, die mich von ihnen trennt. Oh ja, ich habe dich mit ihr gesehen – mit der, die jetzt dein Leben mit dir teilt, dich befummelt, wegen dir weint oder lacht. Begegnung auf der Treppe, zunächst feindselige Blicke, dritter Tag: Wiedererkennen. Ein neuer Pensionsgast, wir wollen ihm uns von unserer besten Seite zeigen. Guten Morgen, schönen Tag auch. Guten Tag, kalt heute. Sein Arm bei ihr eingehakt. Berg nickte, als sie vorübergingen, deutete ein Lächeln an, kultivierte die geheimnisvolle Ausstrahlung von einem, der so tut, als wollte er unbeteiligt bleiben, anonym. Hinterher hallte ihr Gelächter zu ihm herüber, zog Risse in Wände, spaltete seine Tür; noch später vibrierte die Trennwand, während er auf dem dünnen Streifen Teppich zwischen Kleiderschrank und Bett auf und ab ging, und hin und wieder den schmalen Bogen gespiegelt sah, der sich entschieden hatte, seinen Mund darzustellen. Berg kramte unter der Matratze und zog einen mit Bier verfleckten Zeitungsartikel hervor, betrachtete das kleine Foto.

       Oh, das ist er, Aly, unverkennbar dein armer Vater. Wie es mir das Herz zerreißt, stell dir vor, nach all der Zeit, und kein einziges Wort, und jetzt schau ihn dir an, wie von den Toten auferstanden. Die Frau neben ihm, Aly, was glaubst du, wer sie ist?

      Ihm war der Arm aufgefallen, der die zerbrechlichen Schultern umklammerte; die Geliebte seines Vaters, oder nur eine Freundin? Wohl kaum, wo doch – naja, wo doch das Foto zeigte, dass ihre Beziehung recht anschmiegsamer Natur war. Jetzt wusste er’s. Es hatte nicht lange gedauert, sich in dasselbe Haus einzuschleichen, ein Zimmer direkt neben ihrem zu nehmen. Ja, er hatte Glück gehabt, alles hatte sich gefügt. Sicher war es keine Zumutung, hinzunehmen, dass sich die nun folgenden Ereignisse in ihrem ständigen Hin und Her zwischen Zufall und Ordnung langsamer entfalteten?

      In der Zwischenzeit würde er herausfinden, wie sie lebten, wieviel Zeit sie tatsächlich miteinander verbrachten. Heute ein weiterer Hinweis: ein Brief auf dem Tisch in der Diele, adressiert an Mrs. Judith Goldstein, Zimmer 19; wo war Mr. Goldstein – hundert Fuß tief, oder nur zwanzig entfernt, so oder so noch ein weiterer Betrogener, der Pläne schmiedete, hinter einer anderen Wand scharrte? Berg schob den Zeitungsausschnitt wieder unter die Matratze und setzte sich auf die Bettkante, den Kopf zurückgelehnt in der Finsternis, die sich über das Zimmer legte, das zerwühlte Bett, die Kommode, deren Schubladen nicht mehr zugehen wollten; der halb geöffnete Kleiderschrank, der angeschlagene Emaille-Topf mit den verblichenen blauen Blümchen; die Tapete ließ alles andere kollidieren; das schmutzige Geschirr von heute Morgen, ein halber Laib dunkles Brot – eine Mönchskutte – auf der hellgelben Plastiktischdecke; Nadelstreifenhose über dem altrosa gepolsterten Stuhl; Hosen, Netzhemden; eine Kiste voller Flaschen, Perücken, Flugschriften: KAUFEN SIE BERGS BESTES HAARWASSER, BEKÄMPFEN SIE DELILAHS TÜCKE: IN ZWEI MONATEN SIND SIE EIN NEUER MENSCH. Neben dem Bett, ordentlich aufgestapelt, Briefe von Edith Berg, ihrem einzigen Sohn bedingungslos zugetan.

      Oh Aly, mir gefällt’s nicht, wenn du ihn einfach so aufsuchst. Ich bin sicher, das ist nicht richtig, ich meine, er wird nicht wissen, wer du bist, geschweige denn, dich nach so vielen Jahren anerkennen.

      Durch einen Spalt im Vorhang, von einem fleckigen Finger so breit auseinandergezogen, dass eine Spinne hindurchschlüpfen könnte, sah Berg den hell strahlenden Palast gegenüber, der die massiven viktorianischen Bauten beleuchtete, umringt von parkenden Fahrzeugen. Rechts ein dreieckiger Kirchhof; vielleicht erklärte dies den Gestank nach Verbranntem, der jede Nacht in sein Zimmer drang, sodass er Papier in die Ritzen stopfte und überlegte, ob der Geruch draußen bleiben würde, wenn er das Fenster schloss. Berg zog es ganz runter und beäugte weiter hämisch die Paare, die das Tanzlokal betraten. Einmal hatte er sich nach drüben gewagt, eine kichernde Fluse mit hergebracht, die flatterte und flirrte, bis er nicht mehr imstande war, sich entschuldigte, eine trockene Feige in seinen klebrigen Händen. Also ich muss schon sagen, du bist vielleicht einer, bringst mich hier rauf, was willst du denn, sitzt hier rum und heulst, ach, lauf doch zu Mami. Ha, warte bis ich denen allen erzähle, was ich heute Abend für einen erwischt habe, die lachen sich tot. Kastration herbeisehnen; Schamhaar abrasieren. Als würde man mit einer Puppe spielen, aus der Badewanne aufstehen, rosa Brustbeeren, ein Leuchtturm, draußen erhoben sich massiv aufragende Körper, verwandelten sich später in Maden, drangen in die langen Nächte ein, krochen aus versiegelten Wänden und fielen in die Knitterfalten des Bettzeugs. Darüber hinaus eine entfernte Erinnerung an ein angegrautes Gesicht, das hinüberspähte, an einer Schnur heruntergelassen wurde, um zu küssen – aber doch sicher nicht, um dich zu ersticken? Edith ruft, unterdrücktes Gekicher mit Doreen; unbedingt wohin wollen, wie ist das gekommen, ein goldener Regenschauer auf ihrem neuen scharlachroten Kleid. Später Onkel Billy, auf Heimaturlaub, betrunken, getränkt in Schweiß und Tabakgestank, zieht dich auf seine Knie; Küssen tabu, du hast es nur bestätigt, ist schmutzig, das macht man nicht, führt gar zu anderem mehr. Wie Fotos von Nackten, die Nicky und Bert in ihre Schreibhefte geklebt hatten, Miss Hills Scheidenriss geheilt; personifiziertes altes Jungferntum, mit ihrer sadistischen Faszination für die Hinterteile von Jungen. Alistair Berg, komm her, bitte bück dich.

      Dunkelheit, das Radio lief. Drinnen rührte sich etwas – ein Kind murmelte im Schlaf. Eine Motte stieß an die Wand, die Tür, das Licht. Bergs Finger gerieten auf Abwege, verweilten am Schalter. Die Motte knisterte an der Birne, fiel jetzt flügellos herab. Die Stufen knarzten, könnte der Alte sein, allein? Berg schaltete das Licht aus und öffnete die Tür ein kleines Stück. Er zündete ein Streichholz an, wartete und merkte nicht, dass die Flamme über seine Hand züngelte. Eine Bewegung in der Nähe, gefolgt von einer Frauenstimme. Schon erschien Judith, tastete sich an der Wand entlang. Berg hörte das Klimpern von Schlüsseln, wie ihre Tür geöffnet und geschlossen wurde.

      Sie war ohne Zweifel ein gutes Stück jünger als sein Vater, attraktiv, vermutete er, auf eine künstliche Art, und wer will bei einer Frau überhaupt unter die Oberfläche schauen? Doch was fand sie nur an dem Alten, sicher war es nicht der Lockruf des Geldes, im Grunde genommen lebte und schmarotzte er von ihr. Eine Form von einvernehmlicher Perversion? Aber ihr Sexleben ging ihn wohl kaum etwas an, zumindest nicht im Augenblick; möge die Deutung ihres Verhältnisses im Abstrakten verbleiben.

      Eines Abends wird er sich vorstellen müssen und vorschlagen, etwas trinken zu gehen, worauf sich sein Vater sicher einlassen würde; jeden Abend torkelte der Alte die Treppe hinauf, danach ungefähr eine halbe Stunde lang laute Stimmen, dann quietschte auf der anderen Seite stundenlang das Bett, buchstäblich Stunden, in denen Berg sich unter den Decken vergrub.

      Er gähnte, streckte sich; die Musik lenkte ab, er ging ans Fenster. Ein mikroskopischer Blick auf eine unveränderliche Szene, abgesehen vielleicht vom Wetter. Jugendliche lehnten sich lässig aus den Fenstern, hinter ihnen konnte man die rotierenden Umrisse der Paare sehen, und wie an einer Nabelschnur fädelte Berg sich durch ihre wogenden Arme und Beine. Ein Auge, dann zwei, starrten herüber. Er zog den Vorhang zu und lehnte sich an die Wand, erstickte an einer Zigarette. Langsam beruhigte er sich und drückte sein Gesicht ans Fenster. Ein anderes Auge blickte wie durch ein Fernrohr, er hielt ihm stand, senkte dann den Blick. Er

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