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Gesammelte Werke von Rudyard Kipling. Редьярд Киплинг
Читать онлайн.Название Gesammelte Werke von Rudyard Kipling
Год выпуска 0
isbn 9788027209255
Автор произведения Редьярд Киплинг
Издательство Bookwire
»O! Sie thun mir weh!«
»Abgemacht,« sagte er mit heiserer Stimme, indem er ihre Hand fallen ließ. »Der Handel gilt. Morgen reise ich nach Indien ab.«
Fünftes Kapitel.
Tarvin stand auf dem Bahnsteig der Station Rawut und sah der Staubwolke nach, worin der Postzug von Bombay sich entfernte. Als sie sich verzogen hatte und die heiße Luft wieder ungehemmt auf der weißen Steinbeschotterung tanzte, wandte er sich mit zwinkernden Augen Indien zu.
Vierzehntausend Meilen weit zu reisen war, wie er jetzt erfahren hatte, eine überaus einfache Sache. Eine bestimmte Zeit hindurch hatte er auf dem Schiff still gelegen, dann hatte er sich der Länge nach in Hemdärmeln auf der mit Leder bezogenen Bank eines Eisenbahnwagens ausgestreckt und war auf diese Weise von Kalkutta nach Rawut befördert worden. Die Reise war ihm nur dadurch lang geworden, daß er Kätes Anblick entbehrt und vollauf Muße gehabt hatte, an sie zu denken. Aber war er etwa deshalb hierher gekommen – dieser gelben Trostlosigkeit einer Einöde im Radschputana zuliebe oder der Aussicht auf den gekrümmten Schienenstrang halber? Da war Topaz ja wohnlicher gewesen, als es erst die Kirche, das Wirtshaus, die Schule und drei Wohnhäuser gehabt hatte; diese indische Einsamkeit erfüllte ihn mit Schauder. Er sah ja, daß man gar nicht daran dachte, etwas zu schaffen, daß nichts werden sollte, es war Einsamkeit ohne Trost, denn sie war unabänderlich, abgeschlossen, fertig. Die starre Festigkeit des steinernen Bahnhofgebäudes, das dauerhafte Gemäuer, worauf der Bahnsteig ruhte, die mathematische Genauigkeit der Orts-und Höhenangabe, das alles hatte keine Zukunft. Keine neue Linie würde je nach Rawut geführt werden. Rawut hatte auch keinen Ehrgeiz; es gehörte der Regierung. Da war weit und breit kein Grün zu erblicken, keine gekrümmte Linie, nichts was Werden und Erzeugen versprochen hätte. Sogar die rötlichen Schlingpflanzen am Stationsgebäude siechten dahin, weil niemand es der Mühe wert fand, sie zu pflegen.
Ein gesunder Alltagszorn heilte Tarvin von dem mehr positiven Uebel des Heimwehs. Ein einziger Mensch, ein feister brauner Herr, in leichten weißen Baumwollstoff gekleidet, mit einer schwarzen Sammetmütze auf dem Kopf, trat aus dem Gebäude, aber dieser Stationsmeister und ständige Bewohner von Rawut schien den Fremden zur Landschaft zu rechnen, er sah gar nicht nach ihm hin. In Tarvin stiegen Verständnis und Sympathie für die südliche Partei im Befreiungskrieg seiner Heimat auf.
»Wann geht der nächste Zug nach Rhatore?« fragte er den Würdenträger.
»Es geht kein Zug,« versetzte der Mann, zwischen jedem Wort eine Pause machend. Er leierte die Worte mit der mechanischen Unpersönlichkeit eines Phonographen herunter, ohne das mindeste Gefühl der Verantwortlichkeit.
»Kein Zug? Wo ist denn der Fahrplan oder das Kursbuch?«
»Es geht überhaupt kein Zug.«
»Ja, was zum Teufel machen Sie dann hier?«
»Mein Herr, ich bin der Stationsmeister, und es ist nicht gestattet, Angestellten dieser Eisenbahngesellschaft unhöflich zu begegnen.«
»Wahrhaftig! Wer diese Vorschrift gab, hat gemußt, warum er’s that! Ich sage Ihnen aber, Sie Stationsmeister dieses gottverlassenen Eisenbahn-und Weltendes, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist, so sagen Sie mir, wie ich nach Rhatore kommen kann und zwar – flink! Wird’s bald?«
Die Antwort war – Schweigen.
»Hören Sie nicht? Was fang’ ich an?« brüllte der Amerikaner.
»Das weiß ich doch nicht,« antwortete der Asiate.
Tarvin betrachtete sich den braunen Mann in Weiß von den Lackschuhen an, aus denen durchbrochene Strümpfe und vorspringende Waden aufstiegen bis zu dem sammetenen Käppchen auf seinem Haupt. Der gleichmütige Blick des Orientalen, den dieser den violetten Hügeln hinter dem Stationsgebäude abgelernt haben mußte, brachte Tarvin auf den treulosen, niedrigen, seiner ganz unwürdigen Gedanken, ob Topaz und ob Käte eigentlich solcher Opfer wert seien!
»Fahrkarte, bitte,« sagte jetzt der Babu.
Die Dämmerung brach herein. Dieser menschliche Mechanismus war aufgestellt um Fahrkarten abzunehmen und würde sie abnehmen, einerlei, ob Menschen liebten, kämpften, verzweifelten oder tot neben ihm zu Boden fielen!
»Ich sage dir, du lackstiefeliger Lump, du achatäugiger Alabasterpfeiler …«
Tarvin verstummte; Wut und Verzweiflung beraubten ihn der Sprache. Die Wüste verschlang Worte der Liebe und des Hasses, ohne Unterschied, und der Babu drehte sich mit vernichtender Ruhe um, ging ins Stationsgebäude und schloß die Thüre hinter sich ab.
Mit hochgezogenen Brauen stellte sich Tarvin vor die Thür, ließ einen gewinnenden Pfiff ertönen und klimperte dazu mit dem Silbergeld in seiner Tasche. Das Fenster am Fahrkartenschalter wurde ein klein wenig aufgezogen und ein Teil des unbeweglichen Gesichts ließ sich sehen.
»Um jetzt in amtlicher Eigenschaft zu sprechen, Euer Gnaden kann nach Rhatore nur via Land mit Büffelkarren fahren.«
»So besorgen Sie mir den Büffelkarren!«
»Sagen Euer Gnaden Provision gut für Besorgung?«
»Gewiß!«
Der Ton mehr als das Wort schien dem Gehirn unter der Sammetkappe das Verständnis zu vermitteln. Das Fenster fiel zu und nicht alsbald, aber doch nach einiger Zeit, wurde ein langgezogener heulender Ruf hörbar, dem Geheul eines verdrossenen Beschwörers ähnlich, der einen verzüglichen Geist ruft.
»O Moti! Mo–o–oti! O–o!«
»Hätten wir dich, Moti!« brummte Tarvin in sich hinein, indem er, seine Handtasche schwingend, über die niedrige Steinbrüstung setzte, sich durch das Drehkreuz für Fahrkartenkontrolle zwängte und die Provinz Radschputana betrat. Die Aussicht auf Weiterbeförderung hatte ihn im Nu wieder guten Mutes gemacht.
Zwischen ihm und der violett leuchtenden Hügelkette lagen etwa fünfzehn Meilen unbebauten steinigen Grundes mit erratischen Felsblöcken gefleckt und mit kränkelnden Bäumen gesprenkelt. Alles dem Staub und der Dürre preisgegeben, farblos wie die sonngebleichten Locken eines Prairiekindes. In weiter Ferne schimmerte der Silberspiegel eines Salzsees und eine bläuliche, formlose Masse dichter, beisammen stehender Bäume. Finster, verödet, herzbeklemmend war der Anblick dieser öden, düstern, von einer erbarmungslosen Sonne gerösteten Landschaft, die Tarvin überraschend an seine heimischen Prairieen erinnerte und doch wieder durch ihre Verschiedenheit Heimweh erweckte.
Dem Anschein nach aus einer Erdspalte, thatsächlich wie Tarvin sich später überzeugte, aus einer Bodensenkung zwischen zwei Erdwellen, in der sich ein Dorf eingenistet hatte, stieg jetzt eine ungeheure Staubwolke auf, als deren Kern sich ein Büffelkarren entpuppte. Das anfangs leise knirschen der Wagenräder wurde immer stärker, ja, es wuchs zu einem pfeifenden Kreischen an, das Tarvin vertraut anmutete; wenn auf der Straße nach Topaz herunter schweren Lastwagen plötzlich der Radschuh angelegt wurde, klang es ähnlich. Hier handelte es sich freilich nicht um einen Lastwagen, aber um Räder, die aus rohen Baumklötzen, meist aus viereckigen, zusammengefügt waren. Vier abgeschälte, unbehauene Pfähle verbanden die Ecken eines stachen Kastens, die Seitenwände bestanden aus zusammengeknüpften Stricken von Kokosfaser. Zwei Büffel, etwas größer als die von Neufundland, kleiner als die von Alderney, zogen dies Gefährt, das kaum eine halbe Pferdekraft in Anspruch genommen hätte.
Das Fuhrwerk landete am Stationsgebäude, die Büffel besahen sich den Fahrgast einen Augenblick, dann legten sie sich flach auf den Boden. Tarvin setzte sich auf seine Reisetasche, stützte seinen schwindelnden Kopf in beide Hände und lachte aus vollem Halse.
»Nur los!« befahl er dem Nabu. »Machen Sie den Handel ab! Ich habe keine Eile.«
Und nun erfolgte ein solches Gezeter und ein solcher Tumult, daß eine Rauferei in einer kalifornischen Spielhölle ein Kinderspiel dagegen war. Würde und Gelassenheit