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Schmerz konnte nicht umsonst gewesen sein. Küsse mich!«

      Er preßt seinen Mund auf ihre Lippen, die sich unter diesem ersten, heißen Liebeskuß wie eine Blüte öffnen.

      »Nanu«, flüstert Reincke nur, als er im Türrahmen erscheint, die beiden lieben Menschen in inniger Umarmung sieht und sich taktvoll zurückzieht.

      Er nimmt Marlies’ Arm, fühlt, wie sie sich weich an seine Seite schmiegt und sagt zu ihr, mit freudigem Aufblitzen der braunen Augen:

      »Wir wollen nicht stören, Liebes. Da drinnen geht das Glück um. Komm, wir fahren heim. Karsten und Eva-Maria werden wohl später folgen.«

      Reincke steuert den Wagen mit einer Hand durch die traumhaft schöne Sommernacht. Die Rechte hat er um Marlies gelegt. Es ist ein seliges Schweigen. Hin und wieder beugt er sich zu ihr und drückt seine Lippen in ihr duftendes Haar.

      Mit ihnen fährt das Glück.

      *

      Vierzehn Tage sind vergangen.

      »Willst du mich auf einen Gang begleiten«, richtet Karsten das Wort an Eva-Maria. »Ich warte hier auf dich.«

      Sie streichelt zart über seine Wange, läßt es geschehen, daß er ihre Hand einfängt und sie schnell küßt, dann verschwindet sie in der kleinen Garderobe. Mit Hut, Tasche und Handschuhen kehrt sie zurück.

      »Ich bin bereit.«

      Draußen besteigen sie Eva-Marias Wagen, den sie sich seit einiger Zeit zugelegt hat. Sie überläßt ihm das Steuer und ohne zu fragen wohin es geht, sitzt sie erwartungsvoll neben ihm.

      Als sie durch eine breite Einfahrt rollen und vor einem breiten Portal halten, da wird es ihr klar, wohin Karsten sie führt.

      »Frank Bendler?« Die Schwester in der Auskunft überprüft ihr Buch und gibt dann Bescheid. »Erster Stock, Zimmer 112.«

      »Danke!«

      Arm in Arm gehen sie über die blitzenden Treppen und Gänge, bis sie vor dem Zimmer stehen.

      Frank Bendler liegt mit weitgeöffneten Augen in den Kissen. Beim Eintritt des Paares wird seine Miene verlegen. Er wagt Karsten kaum die Hand zu reichen. Vor Eva-Maria neigt er sich etwas aus den Kissen, um sofort wieder zurückzusinken.

      »Sie kommen zu mir?« stammelt er verwirrt, und ein unbegreifliches Staunen überkommt ihn.

      »Ja, Frank Bendler«, erwidert Karsten und schiebt Eva-Maria einen Stuhl zu. Er selbst bleibt stehen. »Einer muß sich doch wohl um Sie kümmern. Ich meinte, Sie hatten ein wenig Anteilnahme nötig «

      »Nach alledem –?« forscht Bendler ungläubig, und seine dunkelumrandeten, schwermutigen Augen wandern von Eva-Maria zu Karsten und bleiben dann irgendwo hängen. »Ich verdiene gar keine Anteilnahme.«

      Plötzlich wirft er sich herum. »Verzeihen Sie mir, wenn Sie können«, stößt er erregt und zu Eva-Maria gewandt hervor. »Ich war wahnsinnig, völlig durcheinander. Das soll keine Entschuldigung sein. Ich will für mein Vergehen büßen. Sie sollen nur wissen, ich wollte Ihnen nichts tun.«

      Karstens Hand legt sich über die umhertastende Rechte Bendlers.

      »Sie sollen auch büßen«, erklärt Karsten, dabei ist seine Stimme von Wärme getragen, die Bendler seltsam wohltuend berührt. Wann hat einmal ein Mensch so verständnisvoll zu ihm gesprochen? »Gleich werden Sie Ihre Buße kennenlernen. Sie sollen die Bar ›Zum Blauen Engel‹ übernehmen. Wollen Sie das?«

      Ratlosigkeit spiegeln die Züge Bendlers wider und gleichzeitig Entsetzen.

      »Wieder zurück, wo mich alles an – an –«

      »Frank Bendler«, sagt Karsten eindringlich. »Gerade dort werden Sie sich wiederfinden, wenn Sie der Mann sind, für den ich Sie halte. Marion ist tot. Sie können dort Ihrer Erinnerung leben. Dort werden Sie sie immer wiederfinden. Sie werden mich nicht enttäuschen, ich weiß das.«

      »Das glauben Sie von mir?« fragt Bendler ungläubig, und Karsten erwidert unerschütterlich und überzeugt:

      »Das glaube ich von Ihnen.«

      Bendler legt sich mit geschlossenen Augen zurück. Er soll wieder zurück ins Leben? Er ist also kein Hoffnungsloser? Man glaubt an ihn! Man glaubt an ihn! Man vertraut ihm!

      Ist das nicht mehr, als er jemals erwarten darf?

      »Nun?« forscht Karsten, der den Kampf des Mannes wohl kennt. War er einst nicht selbst in gleicher Situation, da er nicht fassen konnte, daß man ihm glaubte?

      Wortlos streckt er Karsten die Hand entgegen. Dieser Händedruck besiegelt eine Freundschaft, die beiden später noch einmal sehr wertvoll werden soll.

      Als das Paar den Weg zurück zum Wagen geht, herrscht zwischen ihnen verständnisvolles Schweigen.

      Erst als die Räder rollen, faßt Eva-Maria sanft hinüber nach Karstens Hand, die kräftig und sicher das Steuer führt.

      »Du denkst doch an alles, Ulrich. Ich bin sehr stolz auf dich. Das war die richtige Lösung. Nun ist auch dem armen Kerl geholfen. Ich bin richtig glücklich, daß er nicht auch an dieser Frau zugrunde gegangen ist.«

      Er lächelt vor sich hin. Seltsame Empfindungen beherrschen ihn. Die Liebe zu der wunderschönen, edlen Frau, die neben ihm lehnt und der Glaube an das Gute im Menschen.

      Jeder kann einmal straucheln, das Leben hat so viel Klippen, und seine Höhen und Tiefen kann nicht jeder Mensch heil an Leib und Seele überstehen. Dazu sind sie zu verschieden. Und es ist gut, daß die Menschen verschieden sind, gut und böse. Aber das Gute triumphiert doch in der Hauptsache über das Böse, und das ist wundersam zu wissen.

      *

      Langsam rollt das Flugzeug aus. Hinter einem Tränenschleier nimmt Eva-Maria, dicht an Karstens Seite geschmiegt, die Zurückbleibenden wahr.

      Alle sind sie gekommen, um dem Paar zum Abschied die Hand zu drücken. Robert Reincke mit seiner Frau Lieselotte, die vor Rührung leise vor sich hin weint. William Reincke, die begeistert winkende Marlies am Arm, der das Glück nur so aus den Augen leuchtet. Sogar Williams ältester Bruder ist erschienen, die Zusammenhänge zwar nicht kennend, aber irgendwie fühlt er sich zu diesem Kreis zugehörig.

      Der graue Vogel hebt sich empor, dreht sich in der Luft und nimmt den vorgeschriebenen Kurs auf. Karsten und Eva-Maria sind stumm vor Glück. Aber beide denken sie an Frank Bendler. Er ist wieder aus dem Krankenhaus entlassen – und doch nicht zum Abschied gekommen.

      Sie sehen durch die Scheiben, zusammengedrängt, und vernehmen den gleichmäßigen Rhythmus der Flugzeugmotoren. Die Stewardeß tritt zu ihnen und überreicht Eva-Maria einen Karton.

      »Das, gnädige Frau, sollte ich Ihnen abgeben, sobald wir die Höhe erreicht haben.«

      »Danke!« Erstaunt löst Eva-Maria das Band und öffnet die Schachtel. Blutrote Rosen liegen vor ihr, die sofort einen süßen, berauschenden Duft ausströmen. Eine Karte liegt dabei.

      »Viel Glück Ihnen beiden – Frank Bendler!«

      »Er hat uns nicht vergessen«, flüstert Eva-Maria und spürt mit seliger Beglückung, wie Karstens Arm sie fester an sich drückt.

      Gnädige Frau – hat man zu ihr gesagt. Bald, ja bald ist sie Ulrich Karstens Frau. Das Telegramm wird wohl jetzt bei Onkel Charly angekommen sein, das Telegramm, das ihre Ankunft meldet.

      Seine Frau! Erschauernd schmiegt sie sich an ihn und atmet dabei den Duft der zauberhaften Rosen.

Ein Märchen wird wahr

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