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wenn er seit Stunden keine Nahrung zu sich genommen hatte. Besonders, wenn sie direkt neben ihm arbeiteten und dabei die köstlichsten menschlichen Gerüche ausstießen und ihnen vor Arbeitseifer die Halsschlagadern kräftig schlugen.

      Auch wenn Mihai Tepes seit 13 Jahren mit Elvira Tepes verheiratet war – einem weiblichen und, wie Herr Tepes fand, besonders köstlichen menschlichen Exemplar –, war er dennoch ein Vampir. Und als solcher konnte er für nichts garantieren, wenn ihn der Heißhunger überkam.

      Der Institutsleiter Herr Prof. Dr. Dr. h. c. Dobelhammer war zunächst etwas verwirrt, als Mihai Tepes im Vorstellungsgespräch fragte, ob er in der Nachtschicht arbeiten könne. Das hatte noch kein Bewerber gefragt. Bis jetzt gab es am Institut gar keine Nachtschicht. Da Prof. Dr. Dr. h. c. Dobelhammer für alles Neue, Ungewöhnliche und Fortschrittliche schnell zu begeistern war, stellte er Mihai Tepes ein. Und führte damit gleichzeitig die Nachtschicht am Rechtsmedizinischen Institut Bindburg ein. Darauf war er besonders stolz und vergaß es auf keinem der zahlreichen rechtsmedizinischen Kongresse, zu denen er fuhr, zu erwähnen.

      Prof. Dr. Dr. h. c. Dobelhammer lag bereits neben seiner Gattin im Bett und schlief, als sein Mitarbeiter Mihai Tepes im Institut für Rechtsmedizin durch eine alte, gläserne Schwingtür auf einen langen Gang trat. Mit einem Schlüssel öffnete er die zweite Tür auf der linken Seite und trat in den kleinen Raum. Es war eine Art begehbare Garderobe für die Angestellten des Instituts. Herr Tepes streifte den schwarzen Umhang ab und einen grünen Kittel über. Der Kittel roch nach Plastiktüte und Mihai Tepes fand, Schwarz stand ihm viel besser als Grün. Aber es gab Regeln im Institut und Herr Tepes hielt sich (meistens) an sie. Hauptsächlich seiner Frau zuliebe, die sehr froh war, dass ihr Mann so schnell eine Anstellung in Bindburg gefunden hatte. Doch auch er wollte diese Stelle nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. Zum einen liebte er die einsame Nachtschicht, zum anderen den riesengroßen Laborkühlschrank, in dem Blutproben aufbewahrt wurden.

      Wie bei jeder Nachtschicht machte sich Herr Tepes auch heute zuerst auf den Weg zum Kühlschrank. Mit leerem Magen arbeitete sich nicht gut. Auch wenn das seine Frau, die ihm einmal bei seiner Arbeit als Präparator zugesehen hatte, anders sah.

      Die meisten der Blutproben, die im Kühlschrank der Rechtsmedizin aufgewahrt wurden, stammten von bereits verstorbenen Menschen. Früher waren viele Vampire gegen das Blut von toten Lebewesen allergisch gewesen. Manche starben sogar, wenn sie mehr als fünf Liter davon zu sich nahmen. Doch im Laufe der Evolution wurden die Vampire immer unempfindlicher. Um zu überleben, saugten sie alles aus, was ihnen vor die Eckzähne kam. Ob tot oder lebendig.

      Natürlich war auch Mihai Tepes ein gut gefülltes, lauwarmes Glas Frischblut lieber als eine kalte, abgestandene Blutkonserve. Aber im Prinzip war es wie beim Menschen: Gab es kein frisches Brot, tat es zur Not auch Knäckebrot. Außerdem hatte er sich schon so an den Geschmack der gekühlten Blutproben gewöhnt, dass er sich immer seltener auf die Jagd nach Frischblut machte und den bequemen Griff zum Laborkühlschrank bevorzugte.

      Mihai Tepes betrat das Labor. Er rieb sich vor Vorfreude auf den kleinen kühlen Snack die Hände. Sein Blick fiel auf die große Uhr an der hinteren Wand: 23:06 Uhr. Einen Moment flogen seine Gedanken zu seinen Töchtern. Daka und Silvania. Wahrscheinlich waren sie bereits mit ihren Freunden auf dem Weg zum Knochenhügel, wo sie ein Mitternachtspicknick veranstalten wollten. Eine zensatoi futzi Idee, fand Herr Tepes. Auf so etwas kamen eben nur Vampire, beziehungsweise Halbvampire.

      Elvira Tepes war von der Idee nicht ganz so begeistert gewesen: vier Kinder, allein unterwegs, nach Sonnenuntergang! Da merkte man wieder, dass sie – im Gegensatz zu ihrem Mann – kein Wesen der Nacht war. Sie hatte Angst vor der Dunkelheit. Dabei war es am Tag viel gefährlicher. Schon allein der verrückte Straßenverkehr! Und all die Menschen! Deswegen blieb Mihai Tepes tagsüber lieber in seinem Sarg im Keller. Dort war er in Sicherheit. Dort konnte er in Ruhe und Frieden mit Napoleon und Fidel Rennzeckenrennen veranstalten. Er war der Zuschauer, Napoleon und Fidel die Zecken.

      Mihai Tepes überlegte gerade, ob er Napoleon und Fidel einmal mit ins Institut nehmen und auf dem langen Linoleumgang gegeneinander antreten lassen sollte, als er die Hand zum Kühlschrankgriff hob. Mitten in der Bewegung hielt er inne. Die Kühlschranktür stand einen kleinen Spalt auf. Hatte sie einer von Herrn Tepes' Kollegen nicht richtig geschlossen? Das war noch nie vorgekommen. Darauf zu achten, dass der Laborkühlschrank ordentlich geschlossen war, war oberstes Gebot im Institut. Prof. Dr. Dr. h. c. Dobelhammer wurde sehr wütend, wenn jemand gegen dieses Gebot verstieß. Mihai Tepes hatte seinen Chef bisher nur einmal sehr wütend erlebt. Er war schwer beeindruckt gewesen.

      Mihai Tepes kniff die Augen zusammen und musterte den Kühlschrank. Auf der Edelstahltür entdeckte er eine feine, dünne dunkelrote Spur. Mit Mühe widerstand er dem Drang, sie sofort abzulecken. Stattdessen fasste er an den Türgriff und zog die Kühlschranktür mit einem Ruck auf.

      „SCHLOTZ ZOPPO!“, rief Herr Tepes. Die Wörter hallten durch das menschenleere Labor.

      Im Kühlschrank, der normalerweise von oben bis unten gefüllt war mit Blutproben, war nichts. Fast nichts. Im mittleren Fach lag einsam ein Blutröhrchen. Der Verschluss war abgerissen, bis auf ein paar kleine Blutstropfen war das Röhrchen leer.

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