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Opa hätte dich bestimmt mit nach Transsilvanien fliegen lassen“, meinte Helene.

      „Der wäre selbst mitgegflogen und gleich dortgeblieben“, sagte Ludo.

      Ludos Opa hatte, genau wie Ludo, besondere Fähigkeiten. Er konnte durch Gegenstände sehen und hatte einen ausgeprägten Geruchssinn. So behauptete er zumindest. Nachweisen ließ sich das nur schwer. Immerhin hatte er vor Jahren einmal einen fünf Kilometer entfernten Waldbrand gerochen und bei einer Fleischwarenfachverkäuferin durch die Hose eine Zecke in der Kniekehle gesehen. Die Fleischwarenfachverkäuferin hatte dann allerdings mehr Angst vor Ludos Opa als vor der Zecke.

      Mit zunehmendem Alter wurden diese Fähigkeiten leider immer schwächer. Wenn sich Zapko Schwarzer nicht gerade ein Experiment ausdachte, um den Rückgang seiner Fähigkeiten aufzuhalten, ging er seiner neuen Leidenschaft nach: dem Kochen und Backen. Das war auch ein Experiment.

      Ludo hatte nur seinem Opa anvertraut, dass Silvania und Daka Halbvampire waren. Wobei Zapko Schwarzer schon etwas in der Art gerochen hatte.

      „Wo wäre ich geblieben?“, fragte er, als er jetzt mit einem dampfenden Tablett ins Zimmer kam.

      „Dort, wo kein Knoblauch wächst“, sagte Ludo und schielte mit gerunzelter Stirn auf das Tablett. Darauf lagen mehrere kleine braune, dampfende Häufchen.

      Helene, die immer Hunger hatte und fünf Portionen Pommes hintereinander schaffte (mit Majo und Ketchup), reckte den Hals. „Kann man das essen?“

      Zapko Schwarzer stellte das Tablett auf den Wohnzimmertisch. „Erdnuss-Muskat-Schwarzfußporling-Kartoffel-Maroni-Bucheckern-Pinien-Hallimasch-Sesam-Haufen.“

      Daka und Silvania starrten mit offenem Mund auf das Tablett. Helene fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Ludo sah seinen Opa ängstlich an.

      „Ob man das essen kann, weiß ich auch nicht. Ein bisschen guten Willen müsst ihr schon aufbringen. Sie sind auf jeden Fall knoblauchfrei. Greift zu“, sagte Ludos Opa. „Und lasst euch von mir nicht stören.“ Er ging zu einem Regal und wühlte in einem Zeitschriftenstapel.

      „Datiboi“, sagten Silvania und Daka.

      „Manches kann man einfach nicht voraussehen“, murmelte Ludo und starrte auf die dampfenden Haufen.

      Helene griff als Einzige nach einem Erdnuss-Muskat-Schwarzfußporling-Kartoffel-Maroni-Bucheckern-Pinien-Hallimasch-Sesam-Haufen. Sie hielt ihn sich vor die Nase und roch daran.

      Plötzlich spürte Ludo einen Lufthauch. Zittrig und kalt, als würde ein Schneegestöber an ihm vorbeiziehen. Die feinen Härchen auf seinen Armen stellten sich auf. Ludos Pupillen weiteten sich vor Entsetzen. War er schon wieder da? Der Geist, der ihn seit ein paar Tagen verfolgte? Der sich ihm nie ganz zeigte und ihm den Schlaf raubte? Ludo versuchte, alle Geräusche um sich herum auszublenden und sich auf den geheimnisvollen Singsang zu konzentrieren, den der Geist meistens von sich gab. Doch heute blieb alles ruhig.

      „Willst du gar nicht wissen, was es ist?“, riss ihn Daka aus den Gedanken.

      „Was ist was? Doch, klar.“ Ludo richtete sich im Sessel auf und sah fragend zu seinen Freundinnen. Er hoffte, dass er nichts Entscheidendes verpasst hatte. Von seiner Tante wusste er, dass Frauen sehr empfindlich reagieren konnten, wenn man ihnen nicht zuhörte.

      „Aaaalsooo“, begann Silvania. „Eigentlich sollte es eine Überraschung sein. Aber dann ist uns eingefallen, dass du ja sowieso voraussehen wirst, was es ist. Deswegen sagen wir es dir gleich.“

      Helene hatte vom Erdnuss-Muskat-Schwarzfußporling-Kartoffel-Maroni-Bucheckern-Pinien-Hallimasch-Sesam-Haufen abgebissen und schluckte kräftig. Dann sagte sie: „Wir machen eine Nachtwanderung. Und zwar richtig schaurig-schön und unheimlich gruselig. Nichts für Memmen eben.“

      „Mit Mitternachtspicknick“, fügte Daka hinzu.

      „Aber nicht auf irgendeiner Terrasse“, sagte Silvania.

      Daka und Helene schüttelten verschwörerisch den Kopf.

      „Und auch nicht auf dem Friedhof.“

      Abermals schüttelten Daka und Helene den Kopf.

      „Sondern …“

      Ludo kniff die Augen zusammen, er blähte die Backen auf, dann ließ er langsam die Luft heraus. „Ich sehe es“, schnaufte er. „Ein Mitternachtspicknick auf dem Gipfel des Knochenhügels.“

      „GENAU!“, riefen Silvania, Helene und Daka.

      „Ihr wollt auf den Knochenhügel?“, kam auf einmal die knorrige Stimme von Ludos Opa. „Um Mitternacht?“ Langsam ließ er seinen durchdringenden Blick über jeden einzelnen Gast im Wohnzimmer schweifen. „Das würde ich mir an eurer Stelle noch einmal gut überlegen.“

      Daka hörte auf, an der Gardinenstange hin- und herzuschwingen.

      Helene, die gerade wieder von ihrem Erdnuss-Muskat-Schwarzfußporling-Kartoffel-Maroni-Bucheckern-Pinien-Hallimasch-Sesam-Haufen abgebissen hatte, hielt im Kauen inne.

      Silvania richtete sich auf dem Diwan auf. „Aber wieso? Riechen Sie etwas?“

      „Dazu brauche ich meine Nase nicht.“ Zapko Schwarzer starrte aus dem Wohnzimmerfenster. In einer Fensterecke war ein Spinnennetz gespannt. Eine Fliege hatte sich darin verfangen und zappelte. „Wisst ihr denn nicht, woher der Knochenhügel seinen Namen hat?“

      „Weil er aussieht wie ein Totenkopf?“, fragte Daka.

      „Oder weil der abgestorbene Baum auf dem Gipfel wie eine Knochenhand aussieht?“, schlug Silvania vor.

      Helene, die noch immer den Bissen im Mund hatte, brummte etwas Unverständliches.

      Zapko Schwarzer betrachtete noch einen Moment die Fliege. Als sie sich nicht mehr bewegte, wandte er sich zu den Kindern. „Man erzählt sich, dass dieser Hügel an den nördlichen Ausläufern der Stadt einst Schauplatz eines grausamen Ereignisses war. Vor ungefähr vierhundert Jahren gab es den Hügel noch nicht. Dort, wo er sich heute erhebt, befand sich eine weite Ebene. Sie diente im Dreißigjährigen Krieg als Schlachtfeld. Es war ein grausamer Krieg, voller Hungersnöte, Seuchen und Gräuel. Unzählige Menschen ließen ihr Leben. Soldaten, Frauen, Kinder. Dieses Schlachtfeld muss ein furchtbarer Anblick gewesen sein. Nichts als Zerstörung, Leid und Elend. Einer jahrhundertealten Sage nach trugen die wenigen Überlebenden der Gegend die Leichen auf einen Haufen zusammen, der schnell zu einem Hügel anwuchs. Sie bedeckten die Toten mit Erde und pflanzten einen Baum auf den Gipfel. Dieser Hügel, so die Sage, sollte den Lebenden als Mahnung gelten. Im Volksmund wurde er Knochenhügel genannt. Der Name hat sich bis heute gehalten. Nur die Sage ist in Vergessenheit geraten.“

      Als Zapko Schwarzer geendet hatte, sah er reglos vor sich hin.

      Im Wohnzimmer war es mucksmäuschenstill.

      Silvania biss sich auf die Unterlippe.

      Helene, die noch immer den Mund voller Erdnuss-Muskat-Schwarzfußporling-Kartoffel-Maroni-Bucheckern-Pinien-Hallimasch-Sesam-Haufen hatte, bewegte nur die Pupillen hin und her.

      Ludo kämpfte gegen die nächste Gänsehaut an.

      Daka war so in der Erzählung von Ludos Opa versunken, dass sie gar nicht merkte, wie sie langsam von der Gardinenstange rutschte. Sie landete mit einem lauten Schrei samt Gardine in einer Palme, die vor dem Fenster stand. Sofort kam wieder Leben ins Wohnzimmer.

      Ludo sprang auf und half Daka aus der Palme.

      Silvania flopste sich zu ihrer Schwester und befreite sie aus der Gardine. Zur Sicherheit spuckte sie ihr dreimal auf den Ellbogen, mit dem sie in der Blumenerde gelandet war. Das half gegen Schmerzen. Es war zwar nicht wissenschaftlich bewiesen, aber jeder Vampir in Transsilvanien war davon überzeugt.

      Helene hatte mittlerweile ihren Kekshaufen heruntergeschluckt. „Aber das ist doch nur eine Sage. Und selbst wenn sie stimmt, umso besser. Ein Hügel aus uralten echten Knochen – einen besseren Platz für ein Mitternachtspicknick gibt es doch gar nicht.“

      Über Zapko Schwarzers hellblaue Augen huschte ein Schatten. „Ihr solltet die Mahnung der Überlebenden

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