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kleine Brüder, eine kleine Schwester, eine Halbschwester und eine Stiefschwester. Ach so, und ein Meerschweinchen“, murmelte Jazz, ohne von ihrem Smartphone aufzusehen. Dieses gab ein klirrendes Geräusch von sich, Jazz wischte zweimal und schien etwas zu lesen. „Also, nächsten Freitag kann ich schon mal nicht. Da is’ Party bei Hotte.“

      Franz war auf das Sofa geklettert und sah gespannt zu, wie Jazz über das Smartphone wischte. Er wartete einen passenden Moment ab, dann stürzte er sich auf das Handy und biss hinein, als wäre es eine Blutwurststulle.

      „Ey! Bist du Banane, oder was, du Knirps?“ Jazz hatte Franz das Smartphone aus dem Mund gerissen, war aufgesprungen und wischte das vollgesabberte Display am Sofa ab.

      „Sei froh, dass er nur ins Smartphone gebissen hat“, sagte Silvania.

      „Hä?“, machte Jazz.

      Bevor Jazz herausfinden konnte, was Franz noch so alles gerne biss, bugsierte Herr Tepes sie aus dem Haus. „Datiboi für deinen Besuch, Hip Hop.“

      „Jazz.“

      „Tango!“, rief Herr Tepes und knallte die Tür zu.

      Die beste Babysitterin der Welt

      Das war wohl nichts“, fasste Silvania die Vorstellungsrunde der drei Babysitter zusammen.

      „Aber Mihai und ich müssen arbeiten, ihr müsst in die Schule. Wer soll denn jetzt auf Franz aufpassen?“ Frau Tepes fuhr sich durch die Haare.

      „Hat man dazu nicht Omis und Opis?“, fragte Silvania.

      „Oma Rose arbeitet noch, wisst ihr doch. Und Opa Gustav bekommt einen Herzinfarkt, wenn Franz vom Wickeltisch abhebt und mit nacktem Popo eine kleine Flugrunde über seinem Kopf dreht.“ Opa Gustav hatte nicht nur ein schwaches Herz, sondern auch keine Ahnung, dass seine Tochter einen Vampir geheiratet hatte und seine Enkel Halbvampire waren.

      „Was ist mit Oma Zezci?“, fragte Daka.

      Alle starrten sie an, als hätte sie statt eines Gehirns eine Knoblauchknolle im Kopf.

      Mihais Mutter, Oma Zezci, genoss seit dem Tod ihres Mannes Gobol das Leben, flog fröhlich durch die Welt und landete, wo es ihr gerade gefiel. Sie liebte das Reisen, Pokerspiel und Himbeergeist und tat endlich alles, wovon sie ihr Mann und ihre Kinder so einige Hundert Jahre lang abgehalten hatten. Babysitten zählte nicht dazu. Ganz sicher.

      „Mein Sohn braucht keine Babysitterin mit fünfzig Zeugnissen, Kasperlliedern oder Smartphone“, sagte Mihai. „Mein Sohn braucht die beste Babysitterin der Welt.“

      „Und wer soll das sein? Dirk van Kombast?“, fragte Daka.

      „Gumox! Die beste Babysitterin der Welt ist eine Frau mit jahrhundertelanger Erfahrung, eine Frau, unter deren liebevoller Obhut schon ich prächtig gedieh. Ihr seht ja, was für ein aufgewecktes Kerlchen ich geworden bin.“

      „Vor allem nachts“, fügte Silvania hinzu.

      „Redest du von deiner alten Babysitterin?“ Frau Tepes sah ihren Mann entgeistert an.

      „Jawohl, moi Miloba. Ich meine keine geringere als meine Tagesmutter, vielmehr Nachtmutter, die unbeschreibliche, unvergleichliche, unübertreffbare Frau Ete Petete!“ Mihai streckte die Brust heraus.

      „Was für ’ne alte Tapete?“ Daka runzelte die Stirn.

      Herr Tepes räusperte sich. „Frau Ete Petete hat schon Generationen von kleinen Vampiren gebändigt und auf die richtige Flugbahn gebracht. Sie genießt einen tadellosen Ruf, ihre Manieren sind exzellent, und sie hat die seltene Gabe, streng und liebevoll zugleich zu sein. Ich selbst hatte als Dreikäsekopfüber das Vergnügen. Soweit ich mich erinnern kann, liebte ich meine Nachtmutter innig. Leider hat sie uns von einem Tag auf den anderen verlassen. Ich weiß nicht mehr, warum. Wenn ihr einverstanden seid, werde ich sie sofort kontaktieren.“

      Daka und Silvania zuckten mit den Schultern. Elvira nickte. Franz biss ein Stück Sofa ab.

      Flugpost

      Frau Ete Petete hatte gerade kopfüber an der mit Samt umschlagenen Metallleine gehangen und ein Mitternachtsschläfchen gemacht, als die Fledermauspost eintraf. Sie hatte den Brief aus Deutschland seitdem dreimal durchgelesen, mit feuchten Augen und zitternden Händen.

      Wie lange war es her, seit sie von Mihai Tepes gehört hatte? Als wäre es gestern gewesen, erinnerte sie sich an den kleinen, aufgeweckten Vampir mit den schwarzbraunen Kulleraugen. Schon etliche kleine Vampire hatte Frau Ete Petete betreut, doch keiner war ihr so ans Herz gewachsen wie dieser – ihr Mihasi.

      Und auch er hatte sie offenbar nicht vergessen, nein, sie sogar in bester Erinnerung behalten. Schließlich bat er sie mit schmeichelnden Worten, nach Bindburg zu kommen und auf seinen Sohn Franz aufzupassen.

      Frau Ete Petete drehte den Brief in den Händen und seufzte. Sie fühlte sich sehr geehrt, dass Mihai Tepes ihr seinen Sohn anvertrauen wollte. Doch zur Überraschung und Freude, die der Brief ihr bereitete, schlich sich allmählich eine tiefe, alte Angst. Diese Angst schlummerte seit Jahrhunderten in ihr, doch Frau Ete Petete wusste sie im Zaum zu halten.

      Die Vampirsitterin stand auf, trat ans Fenster ihres Budnyks (wie die tropfsteinähnlichen Behausungen der Vampire in Bistrien genannt werden), hielt sich den Brief an die Brust und flüsterte: „Mihasi, Mihasi, du mein süßes, mopsiges Mondgesicht. Niemals werde ich dich vergessen.“ Sie lächelte, als sie an all die unvergleichlichen Momente zurückdachte, die sie mit Mihasi erlebt hatte. Seine ersten Flugversuche. Sein erster Eckzahn. Seine ersten Kritzeleien von blutenden Männlein.

      Doch ihr Lächeln verschwand von einer Sekunde auf die andere, als sie sich an das grausame, plötzliche Ende ihrer gemeinsamen Zeit erinnerte. Noch heute, Jahrhunderte später, wurde ihr Körper bei dem Gedanken daran von Angst überflutet. Mihai selbst war damals noch zu klein gewesen, um das alles zu begreifen, geschweige denn, es überhaupt richtig mitzubekommen. Und offenbar hatte er es vollkommen vergessen – sonst würde er sie nicht als Babysitterin für seinen eigenen Sohn nach Deutschland holen wollen.

      Mihasi war nicht nur der kleine Vampir gewesen, zu dem Frau Ete Petete am meisten Zuneigung empfand, sondern auch das Vampirbaby, bei dem ihr der größte Fehler ihrer Laufbahn als Nanny passiert war. Ein unverzeihlicher Fehler, der ihr noch jetzt in so mancher Nacht den Schlaf raubte.

      Konnte sie Mihai Tepes und seiner Familie mit gutem Gewissen zusagen? Frau Ete Petete überflog ein letztes Mal den Brief. Dann faltete sie ihn zusammen, steckte ihn in die Rocktasche und fasste einen Entschluss.

      Babysitterin im Anflug

      Der Wind blies stark aus Südost. Graublaue Wolken rollten sich wie Krakenarme über den Bindburger Himmel aus, hatten die Sonne längst umschlungen und verschluckt. Der Lindenweg am nördlichen Rand der Großstadt lag verlassen im Halbdunkel. Kein Mensch, kein Haustier und kein Halbvampir befanden sich mehr auf der Straße oder in den Vorgärten. Eine weiße Plastiktüte taumelte verloren im Wind, wurde immer höher getragen und segelte über die Dächer ihrem Abenteuer entgegen.

      Die Plastiktüte war nicht das Einzige, das an diesem stürmischen Abend in hohen Lüften einer unbestimmten Zukunft entgegenschwebte. Eine Babysitterin aus Transsilvanien befand sich im Anflug auf Bindburg. Es war ein Direktflug, und zwar ganz direkt: von der unterirdischen Vampirstadt Bistrien bis in den Lindenweg 23 zur Familie Tepes.

      Die fliegende Babysitterin drehte noch ein paar Runden über dem Haus, als würde sie zögern und im letzten Moment abdrehen und davonfliegen. Doch schließlich ging sie zum Sinkflug über und landete kurz darauf sanft und elegant auf der Terrasse von Familie Tepes.

      Mihai Tepes hatte sie bereits sehnsüchtig erwartet und öffnete ihr die Terrassentür.

      „Boi Searo!“, rief er. „Welch unsagbar große Freude, Sie nach so langer Zeit wiederzusehen! Wie war der Flug?“ Er streckte den Arm aus und gab der Babysitterin eine Kopfnuss, die diese mit

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