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warte hier auf ihn. Momentan betrachten wir ihn noch nicht als Tatverdächtigen, auch wenn der Mord in seiner Suite stattgefunden haben muss. Sorgen Sie doch bitte zwischenzeitlich dafür, dass ich die Videoaufnahmen der letzten 24 Stunden ausgehändigt bekomme.«

      »Natürlich, Frau Leisig. Unser Sicherheitschef wird sich sofort darum kümmern.« Liermann griff zum Telefonhörer, tippte eine Kurzwahl ein und gab den Wunsch der Kommissarin an den zuständigen Mitarbeiter weiter.

      2

      Steffen Siebels saß an seinem Schreibtisch und sortierte Unterlagen, die er für seine Steuererklärung benötigte. Zwei Jahre war er mittlerweile als Privatdetektiv tätig, nachdem er den Dienst bei der Frankfurter Mordkommission quittiert hatte. Die meiste Zeit davon hatte er keine Aufträge gehabt und sich um seinen Sohn Denis gekümmert. Nach den bevorstehenden Sommerferien würde Denis eingeschult werden. Die Jahre flogen nur so dahin, dachte Siebels wehmütig. Seine Tochter aus erster Ehe studierte mittlerweile in Hamburg. Ab und zu telefonierten die beiden miteinander. Mit seiner Ex-Frau hatte er schon seit Jahren kein Wort mehr gesprochen. In zweiter Ehe war er mit Sabine verheiratet. Die beiden hatten sich bei einem Fall kennen gelernt, den er als Hauptkommissar bei der Frankfurter Mordkommission bearbeitet hatte. Es war der erste Fall gewesen, bei dem er gemeinsam mit einem jungen Kollegen ermittelte. Der junge Kollege hieß Till Krüger, und Siebels hatte schnell dessen Potential erkannt. Die beiden entwickelten sich zu einem perfekten Team und lösten einige spektakuläre Fälle bei der Frankfurter Mordkommission. Bis heute waren sie gute Freunde geblieben und auch beruflich kreuzten sich ihre Wege merkwürdigerweise immer wieder, nachdem Till Krüger zum LKA nach Wiesbaden gewechselt war und Steffen Siebels sich als Teilzeit-Privatdetektiv und Vollzeit-Papa vom Polizeidienst verabschiedet hatte. Seine Frau Sabine hatte stattdessen wieder ihren Job bei der Milieukriminalität angenommen. Das ging letztendlich aber nicht gut. Siebels erhielt als Privatdetektiv zwar nur wenige Aufträge, aber die, die er bekam, ließen sich nicht mit seiner neuen Rolle als Vollzeit-Papa vereinbaren. Als dann Sabine in Ausübung ihrer Tätigkeit angeschossen wurde, drängte sie darauf, die Rollenverteilung wieder umzukehren. Siebels stimmte ihr schließlich zu und bewarb sich um seinen alten Job. Den würde er nun nach den Sommerferien wieder antreten. Ein ehemaliger Kollege hatte ihn erst unlängst darüber informiert, dass in seiner alten Abteilung wieder einiges in Bewegung gekommen war. Auf Siebels wartete eine neue, junge Partnerin. Lena Leisig war gerade erst zur Hauptkommissarin ernannt worden und noch ein völlig unbeschriebenes Blatt bei der Mordkommission.

      Siebels schob seine Papiere beiseite und nahm noch einmal die Karte in die Hand, die der Briefträger heute Vormittag vorbeigebracht hatte. Die Einladung von Anna Lehmkuhl und Till Krüger zu deren Hochzeit. Siebels freute sich aufrichtig für die beiden, die diesen Tag immer wieder vor sich hergeschoben hatten. Nun war es bald so weit. Noch zwei Wochen.

      *

      Lena Leisig saß mit Gerold Haferstein im Büro des Hoteldirektors. Den Direktor hatte sie rausgeschickt.

      »Worum geht es denn?«, fragte Haferstein etwas unwirsch. Anscheinend hatte ihn noch niemand über die Leiche in seiner Suite aufgeklärt. »Ich hatte einen anstrengenden Tag und möchte in mein Zimmer und mich frisch machen. Mein nächster Termin steht bald an.«

      »Sie sind geschäftlich in Frankfurt?« Lena Leisig versuchte sich zunächst ein Bild von diesem Mann zu machen. Er war Mitte fünfzig, schlank und etwa 1,80 m groß. Hatte hellgraue, zurückgekämmte Haare, markante Gesichtszüge und das selbstbewusste Auftreten eines Geschäftsmanns, der viel in der Welt herumkam. Das sah man ihm an. Er machte einen weltläufigen Eindruck.

      »Ja, bin ich. Warum interessiert Sie das? Sie sind von der Mordkommission, haben Sie gesagt. Wurde jemand umgebracht, den ich kenne?«

      Lena Leisig schob ihm ihr Handy vor die Nase. Damit hatte sie die Tote fotografiert. »Kennen Sie diese Frau?«

      Haferstein sah sich das Bild an. Er griff in seine Jackentasche, zog eine Brille hervor, die er sich auf die Nase setzte, und betrachtete erneut das Foto. »Nein, diese Frau kenne ich nicht. Sollte ich?« Er gab seiner Gesprächspartnerin das Handy zurück.

      »Ja, Sie sollten. Sie starb nämlich in Ihrer Suite. Sie wurde brutal vergewaltigt und ermordet.«

      Haferstein schaute Lena Leisig ungläubig an und schüttelte bedächtig den Kopf. »Sie wurde in meiner Suite umgebracht? Da will mir jemand etwas anhängen. Das ist eine intrigante Falle.«

      »Wer könnte Ihnen denn etwas anhängen wollen?«

      »Ich weiß es nicht. Aber ich war den ganzen Tag über in einem Meeting. Vielleicht war es ja auch jemand vom Personal. Haben Sie das überprüft?« Haferstein schaute die Kommissarin herausfordernd an. Er suchte nach einer Erklärung und gleichzeitig wollte er etwas verbergen. Das entging Lena nicht.

      »Die Frau gehörte nicht zum Personal. Möglicherweise arbeitete sie für einen Escort-Service. Das klären wir noch.«

      Haferstein zuckte fast unmerklich zusammen. »Für einen Escort-Service? Aber wie ist sie dann in meine Suite gelangt?«

      Lena bemerkte, wie es im Kopf von Haferstein arbeitete. Er schien sich selbst eine Erklärung zusammenreimen zu wollen, ohne dabei zu viel preisgeben zu müssen. Als wäre er in einem Dilemma gefangen, was er zweifelsohne ja auch war. »Also nochmal fürs Protokoll: Sie kennen die tote Frau nicht, Sie haben sie nie zuvor gesehen und haben sie auch nicht umgebracht. Habe ich das richtig verstanden?«

      »Das haben Sie richtig verstanden, Frau …?«

      »Leisig, Hauptkommissarin Lena Leisig. Wo haben Sie sich heute aufgehalten?«

      »Ich hatte einen geschäftlichen Termin in der Stadt.«

      »Was machen Sie beruflich?«

      »Ich bin Berater und koordiniere geschäftliche Abwicklungen.«

      »Das klingt ja sehr interessant. Wo ist Ihr Büro angesiedelt?«

      »In Wien.«

      »Gut. Dann benötige ich nun noch ein paar Namen und Telefonnummern von Leuten, die bestätigen können, wo Sie sich heute aufgehalten haben.«

      »Ich stehe also tatsächlich unter Mordverdacht?« Haferstein schüttelte verärgert den Kopf.

      »In Ihrem Hotelzimmer, zu dem außer Ihnen und dem Personal eigentlich niemand Zutritt haben sollte, liegt eine tote Frau, und Sie fragen mich jetzt ernsthaft, ob Sie als Tatverdächtiger gelten?«

      Lena konnte förmlich sehen, wie es im Kopf von Haferstein arbeitete. Wenn er zur Tatzeit bei der Deutschen Bank wegen der Finanzierung eines Geschäfts im Waffenhandel einen mehrstündigen Termin wahrgenommen hatte, hatte er nun ein Problem. Bei seinen Gesprächspartnern, die ihm ein Alibi geben konnten, waren Ermittlungen in einem Mordfall ein Unding. Die wahren Hintergründe seiner Geschäftstätigkeiten waren dort wohl auch eher nicht thematisiert worden, vermutete Lena. Haferstein kam mit der Toten in seiner Suite nun also an mehreren Fronten in Bedrängnis.

      »Hans-Joachim von Treutlingen«, sagte Haferstein schließlich. »Er kann Ihnen den Termin bestätigen.«

      Lena notierte sich den Namen und ließ sich auch eine Handynummer von dem genannten Mann geben.

      »Wer ist das?«

      »Er ist mein Ansprechpartner bei der Deutschen Bank und war mit mir zwischen 11:00 und 15:00 zusammen.«

      »Sonst gibt es niemanden, der das noch bestätigen könnte?«

      »Das sollte reichen«, antwortete Haferstein zerknirscht. »Herr von Treutlingen ist ein renommierter Banker.«

      Einer, den Haferstein in der Hand hatte, vermutete Lena. »Sie verlassen die Stadt nicht ohne meine Einwilligung«, ermahnte sie Haferstein zum Abschluss dieser ersten Befragung. »Anderenfalls lasse ich Sie international zur Fahndung ausschreiben. Alles klar?«

      Haferstein hatte schon Luft geholt, um der jungen Frau eine angemessene Antwort zu geben. Doch er hielt sich zurück und besann

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