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Thiel 1999

       Alois Maria Haas 1999

       Kurt Flasch 2002

       Literatur

       Werkausgaben

       Sekundärliteratur

       Fußnoten

       Kontakt zum Verlag

      I. Auf der Schwelle zweier Epochen

      Im Laufe der abendländischen Geistesgeschichte gewinnt man mehrfach den Eindruck, an einer Grenzscheide zu stehen und mit Erscheinungen eines Übergangs konfrontiert zu sein. Immer wieder zeigt es sich: Altes vergeht, Neues zeichnet sich nach einer gewissen Vorbereitung ab. Im jeweils Gegenwärtigen scheint sich Zukünftiges zu präformieren. Im Bereich von Theologie und Spiritualität, von mystischer Innerlichkeit und weltläufiger Aktivität lässt sich dies für das ausklingende Mittelalter am Leben und vielseitigen Wirken des Nikolaus von Kues (1401 – 1464), Cusanus genannt, veranschaulichen. Dabei erübrigt sich der Hinweis, dass Nikolaus bei Weitem nicht der Einzige ist, von dem gesagt werden kann, dass er auf der Schwelle zwischen zwei Epochen stehe. Doch muss ihm für seine Zeit eine beispielhafte Bedeutung zuerkannt werden. In den philosophiehistorischen und theologiegeschichtlichen Darstellungen geschieht das auch.1 Hinsichtlich der Vielseitigkeit seiner Studien und seines Schaffens bedarf es daher mehrerer Etiketten, um diese schon zu seinen Lebzeiten markante, in mehrfacher Hinsicht herausragende Persönlichkeit wenigstens stichwortartig zu charakterisieren.

      Er war Jurist und Diplomat, Theologe und Philosoph, Mathematiker und Astronom. Als Doktor des kanonischen Rechts wurde er mit allerlei kirchendiplomatischen Aufgaben betraut. Er diente als Berater des Papstes Pius II. (1458 – 1462), war Kardinal, stand als Bischof von Brixen seiner Diözese vor und wirkte beim Konzil in Basel mit, das 1431 als ein Reformkonzil eröffnet worden war. Er setzte sich für eine umfassende Einheit der Kirche ein und dokumentierte dies in seiner Frühschrift De concordantia catholica (1433). Dabei galt es, schwerwiegende innerkirchliche Missstände zu klären, um schließlich die Einheit der Christenheit herbeizuführen und sicherzustellen. Und dies ein Jahrhundert vor Anbruch der eigentlichen, mit Leben und Werk Martin Luthers (1483 – 1546) verbundenen Reformation. Dazu bedurfte es nicht zuletzt eines zumindest im Ansatz irenisch gesonnenen, auf Ausgleich der divergierenden Interessen von Papst und Bischöfen bedachten Wortführers. Über diese Fähigkeit verfügte der Cusanus, auch wenn einzuräumen ist, dass diese Gesinnung einer friedenstiftenden Mentalität von ihm nicht immer durchgehalten werden konnte.

      Der ihm eigene Zug zum Ausgleich ist an der Tatsache abzulesen, dass er vom Geist der Mystik geprägt war. Er kannte lateinische und wohl auch deutschsprachige Schriften sowie Predigten Meister Eckharts. Schließlich ist anzumerken, in welcher bedeutsamen Situation sich die abendländische Christenheit befand: Im Jahre 1453 hatten die Türken Konstantinopel (heute Istanbul) erobert und damit für die westliche Christenheit schwerwiegende Fakten geschaffen. Da bedurfte es eines Mannes, dem es gegeben war, die Fragen der interreligiösen Gegensätze klären zu helfen, etwa: Wie soll sich die Christenheit dem zum Sturm auf die Mitte Europas angetretenen Islam gegenüber verhalten? Auf welche Weise ist der ernsthaft gefährdete Religionsfriede sicherzustellen? Hier waren vom Cusanus religionsphilosophische Einsichten gefragt, die sich nicht etwa nach Art der einstigen Kreuzzugsideologie an gewaltsamen Lösungen orientierten, sondern so etwas wie einen Entwurf für einen zukunftsfähigen Religionsfrieden verlangten. Zum Charakteristikum der kirchengeschichtlichen Lage gehörte die Tatsache, dass – seit 1054 – immer noch der Dissens zwischen der römischen Westkirche und der griechisch-byzantinischen Kirche des Ostens bestand. Insofern fehlte es nicht an Versuchen, die Arbeit der kirchlichen »Brückenbauer« zu unterstützen. Als ein solcher »Pontifex« war Nikolaus von Kues in Pflicht genommen.

      Wer sich in die Schriften des auch um Zusammenschau von Natur und Geist bemühten Gelehrten vertieft, der kann sich der von ihm ausgeübten Faszination nicht entziehen. Dabei ist zu bedenken, dass er sich als einer der Ersten um das Verständnis des Korans und muslimischer Frömmigkeit bemüht hat. Das wird deutlich, wenn man den Lebensspuren des weit gereisten, aktiven Kirchenmannes wie des nach innen blickenden frommen Mystikers nachgeht. In einem seiner zahlreichen, zum Teil in Dialogform entworfenen Texte bringt er auf den Punkt, was ihm hinsichtlich der Achtsamkeit im täglichen Leben wichtig geworden ist. Hierzu ein Wort, das auf den Umgang mit ihm und unseren Zeitgenossen anwendbar ist:

      »Oft gehen Leute an uns vorüber, und wir nehmen sie nicht wahr, weder durch das Gesicht noch durch das Gehör, weil wir nicht darauf aufmerksam sind. Wenn wir aber aufmerksam sind, dann nehmen wir sie wahr. Wir besitzen in unserer Seele den Vernunftgrund (rationem) und die Wissenschaft des Wissbaren der Kraft nach; trotzdem nehmen wir seine Wahrheit nur dann wirklich wahr, wenn wir aufmerksam darauf gerichtet waren, dies zu sehen.«2

      Nikolaus von Kues, der im Bewusstsein der Gottesgegenwart, das Endliche vor dem Hintergrund und der Tiefe des Unendlichen erkennend, sein Tagewerk erfüllen wollte, ist nicht nur ein Mensch des ausgehenden Mittelalters. Sein Blick reicht viel weiter. Er vermag noch im 21. Jahrhundert unser Interesse zu erwecken, auch wenn die ihn bewegenden elementaren Fragen, insbesondere die zum Religionsfrieden und zum Themenkreis Islam, neben anderen Stellungnahmen inzwischen ein ganz neues Gesicht bekommen haben. Karl Jaspers war es, der von dem meditativen Philosophen an der Epochenschwelle gesagt hat, er habe wie kein anderer den Menschen, dessen Größe und Grenze, dessen Vermögen und geistige Schöpferkraft in den Mittelpunkt seiner Erwägungen gestellt. Für den Cusanus selbst war es naturgemäß die Gottesfrage, der er sich – beispielsweise in der geistigen Nachfolge Meister Eckharts – als ein mystisch Frommer verschrieben hat.3

      II. Stadien seines Lebens

      Der Sohn des Schiffseigners und des als Winzer zu Ansehen gelangten erfolgreichen Kaufmanns Johann Krebs (ursprünglich: Chryfftz, lat. Cancer) ist 1401 in der heute zu Bernkastel gehörigen Ortschaft Kues geboren. Weil das kleine Dorf an der Mosel zum Bistum Trier gehört hat, wird er in Chroniken auch als Nicolaus Trevirensis geführt, oder man nennt ihn in lateinisch abgefassten Texten Nicolaus de Cusa.

      Gesicherte Lebensdaten liegen für ihn erst seit 1416 vor, als der weit gereiste, als Weinlieferant tätige Vater seinen erst fünfzehnjährigen Nikolaus zum Studium auf die Universität Heidelberg schickte. Es ist anzunehmen, dass er im Laufe seiner Ausbildung von dem spektakulären Ketzerprozess und dessen Folgen in jenen Jahren gehört haben wird. Es handelte sich um den aus Böhmen stammenden, seiner kirchenkritischen Predigten wegen vor das Konzil in Konstanz zitierten Kirchenreformer Jan Hus. Weil er trotz der von Kaiser Sigismund gemachten Zusage des freien Geleits 1415 verbrannt worden ist, war auf Jahrzehnte hinaus für Aufsehen und Diskussionsstoff gesorgt. Solche Vorgänge dürften nicht zuletzt dem angehenden Studenten des Kirchenrechts zu denken gegeben haben.

      Im Gang der zeitüblichen Studien ging es für Nikolaus zunächst um den Erwerb des schulischen Grundlagenwissens in Gestalt der artes liberales, das heißt der sogenannten freien Künste4. Im Rahmen des scholastischen, sich nach und nach ausdifferenzierenden Bildungswegs folgte auf dieser Basis das eigentliche Hochschulstudium innerhalb der drei klassischen Fakultäten: der Jurisprudenz, der Medizin und schließlich der philosophisch fundierten Theologie.

      Eine erste wesentliche Erweiterung seines geistigen Horizonts erfuhr Nikolaus in Padua, damals, am Vorabend der Renaissance, ein Zentrum des europäischen Geisteslebens. Dort studierte er zunächst Kirchenrecht und promovierte zum Doctor decretorum. Seine juristischen Studien erweiterte er schon früh durch die Beschäftigung mit Mathematik und Astronomie sowie durch das Erlernen der griechischen Sprache, deren Kenntnis für die

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