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wieder üppiger sein, ähnlich wie bei dem großen Strom noch weiter östlich, den die Spanier Rio Magdalena nannten.

      Es war jetzt Nachmittag. Jesusito rechnete damit, Quibdo am Abend zu erreichen. Quibdo lag am Zusammenfluß von Atrato und Adagueda. Dort, so hoffte Jesusito, Boote für die Flußfahrt abwärts bei befreundeten Indios besorgen zu können.

      Auch Quibdo hatte eine kleine spanische Garnison mit einem Teniente und etwa fünfundzwanzig Soldaten. Der Teniente Gaspar de Castelar war ein junger Gockel und Schürzenjäger, der hinter hübschen Indiomädchen wie der Teufel hinter der armen Seele her war und schon so mancher ein Kind gemacht hatte. Aber dem grausamen und blutrünstigen Juan Fierro, dem er unterstellt war, konnte er nicht das Wasser reichen. Die Leute in Quibdo hatten es besser als die in Baudo. Aber jetzt war Juan Fierro im Jenseits, und die Leute von Baudo, vor allem der gütige Padre, konnten aufatmen – falls kein neuer Tyrann erschien.

      Batuti und Jesusito zuckten fast gleichzeitig zusammen, als sie mit der Spitze der Kolonne einen Hügel umrundet hatten und jetzt das Maultier sahen. Es knabberte an einem vertrockneten Strauch, unter dem ein Stiefelpaar und zwei schmutzige Hosen hervorragten.

      Batuti stoppte das Lasttier und hob die Hand zum Halten.

      Jesusito war mit ein paar lautlosen Sätzen an dem Strauch und warf sich über den Mann, der sich gerade aufrichten wollte.

      Hinter Batuti stoppte die lange Maultierkolonne.

      Ben Brighton, der vorn rechts marschiert war, sprang vor, sah, wie Jesusito mit dem Mann rang, und stürmte auf die Kämpfenden zu.

      Jesusito überkugelte sich. Der Mann hatte ihm beide Stiefel in den Leib getreten. Da war Ben Brighton heran, riß den Mann hoch und knallte ihm die Faust unter das Kinn. Der Mann kriegte glasige Augen und sackte in sich zusammen.

      Der Kerl stank wie eine Weinschenke. Ein Spanier, wie Ben Brighton feststellte. Bei dem Strauch lag eine Korbflasche – leer. Ben Brighton versetzte ihr einen Fußtritt. Das Maultier ging mit allen vieren in die Luft und jagte bockend davon.

      Jesusito rappelte sich hoch und hielt sich den Leib.

      „Wer ist der Kerl?“ fragte Ben Brighton.

      Philip Hasard Killigrew hetzte nach vorn. Ben Brighton hatte einen fremden Kerl am Wickel und schüttelte ihn durch. Rechts raste ein Maultier bockend den Hügel hoch und führte sich auf, als hätte es Hummeln im Hintern.

      „Was ist los, Ben?“

      Der Bootsmann drehte sich zu Hasard um, hielt aber den Kerl weiter mit seinen kräftigen Fäusten fest.

      „Schöner Mist“, sagte er. „Dieser Kerl hier heißt Ujeda, ein Trunkenbold aus Baudo, wie mir eben Jesusito berichtete. Und ein Spitzel von unserem gemeinsamen Freund Juan Fierro.“

      „Schau einer an.“ Hasard trat näher und betrachtete den Mann. Ujeda sah aus, wie eine in die Enge getriebene Ratte. Er hatte tatsächlich Nagezähne, die unter seiner vorgeschobenen Oberlippe hervorragten. Seine kleinen, schwarzen Augen waren tückisch und huschten hin und her.

      „Ein richtiges Miststück“, sagte Ben Brighton. „Er hatte sich vollgesoffen und dort unter den Strauch gepackt, um seinen Rausch auszuschlafen. Wenn du mich fragst, dann war er in Quibdo. Jemand hat ihm den Wein geschenkt. Wer wohl? Und warum? Solchen Kerlen schenkt man doch nichts – höchstens einen Tritt in den Arsch!“

      „Laß ihn mal los, Ben“, sagte der Seewolf freundlich, aber seine Augen schimmerten in einem eisigen Blau.

      Ujeda duckte sich zusammen, als der Bootsmann ihn freigab. Offensichtlich hatte er den Wunsch, innerhalb der nächsten Sekunde blitzartig zu verschwinden. Aber er blieb geduckt stehen. Um ihn herum waren Männer aufmarschiert, die so freundlich wie verhungerte Haie aussahen. Sie bildeten einen schweigenden Kreis, und jeder war bis an die Zähne bewaffnet.

      „Was wollt ihr?“ stieß der Mann hervor, der wie eine Ratte wirkte.

      Hasard zog ein Messer und fuhr mit dem Daumen prüfend über die Schneide. Dann bückte er sich, hob einen abgebrochenen, dünnen Zweig auf, hielt ihn zwischen Daumen und Zeigefinger der linken Hand nach unten und führte die Messerschneide an dem Zweig entlang. Ein hauchdünner Span wurde abgespalten und segelte in abgezirkelten Bewegungen zu Boden.

      Ujeda wechselte die Gesichtsfarbe und kriegte Froschaugen. Sie quollen wie schwarze Murmeln aus seinen Augenhöhlen.

      „Du warst in Quibdo?“ fragte der Seewolf höflich.

      „Ja.“

      „Bei wem?“

      „Bei – bei Teniente de Castelar.“ Ujeda stierte auf den hauchdünnen Span, der, in sich aufgerollt, am Boden lag.

      „Was wolltest du denn bei dem Teniente?“

      Ujeda begann zu zittern. Wieder huschte sein Blick nach links und rechts, als suche er nach einem Ausweg. Aber der Kreis der Männer war noch enger geworden. Und dieser blauäugige, schwarzhaarige Teufel vor ihm trennte schweigend noch einen hauchdünnen Span von dem Zweig ab und ließ ihn zu Boden segeln.

      „Man könnte“, sagte der Seewolf mit seiner freundlichen Stimme, „mit der Klinge sogar Haare spalten. Dem Haar würde das gar nicht wehtun. Haare spüren nichts – also, was wolltest du bei dem Teniente, mein Freund?“

      „Ich – ich sollte ihm eine Botschaft überbringen.“

      „Was für eine Botschaft, mein Freund? Du solltest etwas flüssiger berichten. Oder möchtest du, daß ich dir ein Ohr abschneide?“

      „Nein, bitte, Señor! Ich will ja alles sagen. Ich sollte dem Teniente melden, daß in Baudo ein Maultierzug aufgebrochen und vielleicht nach Quibdo unterwegs sei. Jedenfalls sollte Teniente de Castelar sämtliche Boote beschlagnahmen, die es in Quibdo gäbe. Teniente Fierro sei der Meinung, daß mit dem Maultierzug etwas nicht stimme, und man müsse verhindern, daß die Ladung der Maultiere eventuell auf dem Flußweg zum Golf von Darien verschifft werde. Die Beschlagnahme der Boote sei dazu eine Vorsichtsmaßregel. Das ist alles, was ich weiß, Señor.“

      Hasard fixierte den rattengesichtigen Mann. „Soso, da soll also verhindert werden, daß eine bestimmte Ladung seinen Empfänger erreicht. Das befiehlt der Teniente von Baudo dem Teniente von Quibdo. Was meinst du wohl, für wen die Ladung bestimmt ist?“

      „Das weiß ich nicht.“

      „Ich will’s dir sagen, mein Freund. Diese Ladung ist von Valparaiso nach Spanien unterwegs und für unseren König bestimmt. Und da wagt ein Teniente, den Transport zu verhindern, indem er einen anderen Teniente auffordert, Transportmittel zu unterschlagen, die dem König von Spanien dienen sollen!“ „Das – das habe ich nicht gewußt, Señor!“ Ujeda kroch in sich zusammen, als erwarte er jeden Moment, von diesem fürchterlichen Messer in dünne Scheiben geschnitten zu werden.

      Der Seewolf hob auch tatsächlich das Messer und hielt es Ujeda unter das Kinn. Mit dumpfer Stimme sagte er: „Du wolltest dazu beitragen, unseren König zu betrügen, du Schurke!“

      „Nein!“ schrie Ujeda. „Bestimmt nicht, Señor. Ich habe nur eine Botschaft überbracht, von der ich nicht wußte, was sie bedeutete. Ich schwöre es bei allem, was mir heilig ist! Teniente Fierro ist schuldig, er hat mich verführt!“

      „Der rächende Arm unseres Königs wird den Teniente vernichten“, sagte Hasard dumpf. Er drehte sich zu Ben Brighton um, zwinkerte ihm zu und sagte: „Hau ihm was auf die Rübe, Ben!“

      Ben Brightons Faust krachte wie ein Hammer auf den Schädel Ujedas. Wo der Bootsmann hinlangte, da brauchte man kein Plätteisen mehr. Der rattengesichtige Mann sackte zum zweiten Male mit glasigen Augen in sich zusammen und kippte vornüber.

      „Noch mal, Ben“, sagte Hasard. „Das reicht noch nicht.“

      Ujeda empfing noch einen Jagdhieb. Dieses Mal an die Schläfe.

      Hasard blickte zu dem Hügel hinüber, wo jetzt Ujedas Maultier an einem anderen Strauch herumknabberte.

      „Einfangen

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