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teilnehmend« in den letzten Wochen das Krankenlager seiner Schwägerin Caroline besucht und wie der Bruder vergeblich auf Besserung gehofft.49 Die Eheleute hatten schließlich nur noch die ihnen angenehm erscheinenden Züge Alexanders hervorgehoben und unter dem Schatten des Todes das Gemeinsame mehr als das Trennende betont. Der Tod der Schwägerin am 26. März 1829 riss eine »schmerzliche Lücke in die Welt der Erscheinungen« und raubte dem immer mehr zum Einsiedler werdenden Bruder die Partnerin. Alexander nahm aufrichtigen Anteil am Schmerz Wilhelms. Nie waren sich beide so nahe gewesen wie jetzt, als sie schon wieder Abschied nehmen mussten. Diese Anteilnahme lenkte Alexanders Blick noch während der Reise oft zum Bruder zurück und veranlasste ihn zu helfenden und ermutigenden Gesten.

      DIE ANREISE: BERLIN – KÖNIGSBERG

      – DORPAT – ST. PETERSBURG

       »Liebenswürdige Einförmigkeit« der Gegend

      Es wäre Humboldt recht gewesen, hätte die Reise planmäßig Anfang Mai 1829 begonnen. Erst die Nachricht, dass der Zar zu diesem Zeitpunkt schon Petersburg verlassen haben würde, ließ ihn den Beginn vorverlegen. Am 12. April 1829, 23 Uhr, verließen die Reisenden Berlin bei milder Frühlingswitterung und hofften, St. Petersburg schnell zu erreichen.50 Schon am 13. April 1829 erschwerte die Schneeschmelze die Weiterfahrt, und sie sollten bald spüren, dass sie die schlechteste Zeit für den Antritt der Reise hatten wählen müssen. Sie folgten der Kunststraße, die ein ungestörtes Fahren erlaubte, und fuhren am 14. morgens durch Dirschau an der Weichsel. Der Fluss war schon seit 8 Tagen eisfrei. Sie setzten mit der Fähre über. Das Wasser stand sehr hoch und hatte die Dünen bei Danzig durchbrochen.51 Zwei Meilen weiter setzten sie über die Nogat und besuchten »einige Stunden« die Marienburg, die »jetzt im ursprünglichem Style hergestellt ist«.52 Sie warteten sechs Stunden vergeblich auf den ostpreußischen Oberpräsidenten Theodor v. Schön, den Humboldt, wie viele Kenner der Zeit, über den Freiherrn vom Stein stellte. Indessen ließen sie sich »alle Herrlichkeiten unter der Anleitung eines pedantischen Predigers« zeigen.53

      Am 16. April 1829, morgens 8 Uhr, erreichten sie Königsberg, wo Humboldt erstmals persönlich mit dem berühmten Astronomen Bessel zusammentraf. Dieser zeigte ihnen die zweckmäßig eingerichtete Sternwarte, die schon das Erstaunen Napoleons erregt hatte, und machte sie beim Mittagessen mit Gelehrten und Ärzten bekannt. Professor Neumann zeigte Rose die Mineraliensammlung der Universität »in einem finstern wenig geeigneten Lokale«.54 Rose betrachtete die Bernstein-Kollektion und lernte auch Herrn Douglas kennen, der die Gewinnung an der Küste von Memel bis Danzig seit 1811 gepachtet hatte. Die Fischer durften nur an bestimmten Stellen in See gehen und nur Kranz war als einziger Badeort freigegeben worden. Strandreiter überwachten die Einhaltung dieser Bestimmungen, um jeden Bernsteindiebstahl zu verhindern. Humboldt nahm das Frühstück bei Bessels Verwandten, dem Nationalökonomen Carl Heinrich Hagen, ein und führte am Morgen des 17. April 1829 mit dem Astronomen magnetische Messungen mit seinem großen Inklinatorium von Gambey aus. Die Intensität wurde nach der Methode Hansteens gemessen, wobei ein Chronometer Earnshaws benutzt wurde. Noch wenige Tage vor der Abreise am 9. April 1829 hatte Humboldt die gleichen Messungen in Berlin im Garten von Bellevue ausgeführt. Schon in Königsberg hörten sie, die Memel führe Eisschollen und sei bei Tilsit über die Ufer getreten. Sie brachen am Morgen des 18. April 1829 von Königsberg auf und fuhren über die Kurische Nehrung, um Tilsit zu vermeiden. Der Weg war noch schlechter, als man ihn geschildert hatte. Auf der Straße festgefrorenes Eis hielt dem Gewicht des Wagens nicht stand und ließ ihn dauernd – wenn auch nur geringfügig – einbrechen. Als der Postillion versuchte, neben der Straße zu fahren, sank der Wagen bis zu den Achsen ein. Bauern mussten geholt werden und ihn mit Hebebäumen befreien. Spät abends sahen sie an der Spitze der Kurischen Nehrung, Memel gegenüber, den Eisgang, der am folgenden Tag noch stärker wurde und die Überfahrt zur Stadt verhinderte. Die Eisschollen schoben sich übereinander, pressten sich mit großer Geschwindigkeit in den schmalen Ausgang und unterhöhlten das hohe sandige Ufer, »so dass dieses beständig zusammenstürzte«.55 Der Wirt des »Sandkruges«, bei dem sie gut untergebracht waren, brach eine in Ufernähe stehende Windmühle ab; »am 21sten [April 1829] war von der Stelle, wo sie gestanden hatte, schon nichts mehr zu sehen, und als wir am Morgen des 22sten den Sandkrug verließen, war man beschäftigt, noch ein zweites Gebäude, welches dem Ufer näher lag als das eigentliche Wohngebäude und nach Aussage des Wirthes noch vor einigen Tagen 500 Fuß vom Ufer entfernt gestanden hatte, abzubrechen. Diese Verwüstungen geschahen nicht nur an einer Stelle, sondern an dem ganzen Ufer der Nehrung, soweit wir es sehen konnten.«56 Sie konnten dieses Spiel aus dem Fenster ihres gemütlichen Zimmers beobachten. Rose beschrieb die Erscheinung und bestimmte mit seinen Gefährten die Fließgeschwindigkeit des Stromes. Er fand das Schauspiel schön, nicht aber die Landschaft. Humboldt stimmte ihm bei. Er hatte zeitlebens, als Jugendtraum und wirklich erlebtes Bild, das Maximum der Lebensfülle der Tropen im Herzen getragen. Einen Sonnenuntergang fand er zwar schön – doch die Landschaft bis Petersburg erschien ihm als Einöde und die Kurische Nehrung nur als »das charakteristischste dieser Unnatur«, in der sie »5 Muscheln und 3 Lichenen« fanden. »Wenn Schinkel dort einige Backsteine zusammenklopfen ließe, wenn ein Montagsclub, ein Cirkel von kunstliebenden Judendemoiselles und eine Akademie auf jenen mit Gestrüpp bewachsenen Sandsteppen eingerichtet würde, so fehlte nichts, um ein neues Berlin zu bilden, ja, ich würde die neue Schöpfung vorziehen, denn die Sonne habe ich herrlich auf der Nährung sich in das Meer tauchen sehen. Dazu spricht man dort … rein Sanscrito, lithauisch.«57 Dieselbe Landschaft hat später Dichter und Maler entzückt – jetzt war sie noch nicht entdeckt. Frühe Tropen-Sehnsucht und reale -Erfahrung hemmten Humboldt hier. Er benutzte die Muße, um die magnetische Inklination und Intensität zu messen. Der Vergleich mit den Berliner und Königsberger Werten ergab, dass die Neigung am »Sandkrug« 1° 9’ 1“ größer war als in Berlin. Die Beobachtungen litten allerdings unter dem Wind.

      Im »Sandkrug« hatte sich inzwischen die Zahl der Reisenden, die übersetzen wollten, vermehrt. Die Lebensmittel wurden knapp. Humboldt und seine Begleiter waren froh, als ihnen am 21. April 1829, nachdem schon kleine Schiffe die Wasserfläche überqueren konnten, der Oberpostdirektor Goldbeck aus Memel Nahrungsmittel zukommen ließ. Am Vormittag des 22. April konnten sie übergesetzt werden und am Nachmittag hatte der Eisgang so nachgelassen, dass auch die Wagen folgen konnten. Am Vormittag konnten sie der Einladung des Oberpostdirektors nicht widersprechen und ließen sich von ihm Stadt und Zitadelle zeigen, von wo sie den Hafen und den Ausfluss des Haffs sahen und viele Schiffe, die »zum Theil mit vollen Segeln dem Hafen zueilten«.58 Der Handel war sehr bedeutend und die Kaufmannschaft besorgt, weil die russische Regierung plante, die Windau schiffbar zu machen, um so die Holzlieferungen aus Polen und Kurland nach der Stadt Windau zu leiten. Humboldt empfing Deputationen der Kaufmannschaft und aß »bei dem reichen Geh. Postrath Goldbeck«.59

      Noch am 22. April 1829 fuhren sie von Memel ab. Der Wagen blieb einige Male stecken. Vier Meilen hinter der Stadt verließen sie Preußen. Polangen war die russische Grenzstadt, wo die Befehle Cancrins, sie ohne Kontrolle ungehindert reisen zu lassen, längst vorlagen. Nachdem sie einen Schein, der ihnen erlaubte, mit Postpferden zu reisen, gelöst hatten, setzten sie die Fahrt unmittelbar fort. Am Abend des 23. April 1829 gingen sie bei Schrunden über die Windau. Bei Paplacken vor Mitau sahen sie »schön gekleidete Damen durch ein nasses Ackerfeld reiten« und glaubten, es geschähe, sie zu verspotten, da ihr Wagen häufig stecken blieb. Doch als sie eine Viertelmeile weitergefahren waren, sprengte ihnen ein »zierlich gekleideter Livrébediente« nach und fragte nach Alexander v. Humboldt. Darauf zog er »einen silbernen Präsentirteller und zwei kleine silberne Becher aus einem Futteral und reichte uns eine Bouteille des trefflichsten Ungar-Weins nebst einer großen Schachtel acht französischer Confituren. Dies alles sandte uns der Starost von Paplacken, ein Graf von der Ropp, ›weil es seinen Damen nicht geglückt sei, uns in das Schloß einzuladen‹… Die Scene war von Pflugacker mit 3 Birken und 2 Kiefern umgeben, die Gegend des Oranienburger Thores, welche sich mit liebenswürdiger Einförmigkeit nun schon 200 Meilen weit gegen N.O. ausdehnt.«60 In Mitau, wo sie am Abend ankamen, erfuhren sie, der Graf von der Ropp sei ein Verwandter der Herzogin von Kurland und habe damit begonnen, Beschreibungen einheimischer Vögel in einzelnen Heften herauszugeben.

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