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sie der Stammcrew damit sowieso überlegen. Und immerhin – wenn man diesen zweiundzwanzig Bastarden nur die harte Faust zeigte und ihnen klipp und klar sagte, welche Richtung sie einzuschlagen hatten, dann parierten sie, dann konnte man sich auf sie verlassen. Letzten Endes stand und fiel alles mit den Fähigkeiten desjenigen, der die Befehle erteilte, Untergebene waren nichts weiter als Werkzeuge, die man nur richtig anpacken mußte. Sir Johns diesbezügliche Meinung wurde durch unerschütterliche Selbstüberzeugung gestützt. Daran änderten auch die Niederlagen nichts, die er gerade wegen dieser Meinung in der letzten Zeit hatte einstecken müssen. Für solche Erkenntnis war unter seiner Schädeldecke kein Platz.

      „Wo steckt der Bootsmann, dieser Hurensohn?“ fragte er.

      „Auf dem Achterdeck, Sir.“

      „Wer ist bei ihm?“

      „Nur der Rudergänger, Sir.“

      „Und die anderen Strolche?“

      „Ein Teil ist unter Deck an den Pumpen. Die meisten anderen helfen beim Segelflicken.“

      „Gut, gut. Hört jetzt genau zu. Ich will, daß ihr euch den Bootsmann greift. Nur ihn. Keinen anderen. Und zwar muß das so plötzlich passieren, daß für seine Leute keine Zeit zum Nachdenken bleibt. Wenn die Kerle kapieren, was los ist, muß schon alles erledigt sein. Klar?“

      „Jawohl, Sir.“ Die Männer nickten ergeben und diensteifrig.

      „Auf mein Zeichen marschiert ihr los. Blitzschnell. Ihr greift euch, was ihr ’rumliegen seht. Belegnägel, Spaken, irgendwas. Und dann zeigt ihr dem Hurensohn auf dem Achterdeck, was es heißt, sich mit John Killigrew anzulegen!“

      Sullivan hatte die Killigrew-Mannschaft zwar ständig im Blickfeld gehabt, aber er war zu angespannt gewesen, um ein wachsames Auge auf sie zu werfen.

      Diese Erkenntnis traf ihn mit der Wucht eines Säbelhiebs.

      Denn wie auf ein geheimes Kommando stürmten sie plötzlich los. Zweiundzwanzig Mann, die mit der Blindwütigkeit angestachelter Stiere in Richtung Achterdeck rasten. Auf dem kurzen Weg dorthin schnappten sie sich, was sie an Hiebwaffen finden konnten.

      Sullivan schaffte es nicht mehr, seinen eigenen Männern einen Befehl zuzubrüllen. Er wich zurück, spürte die Oberkante der Heckbalustrade im Gesäß, und es war ein beruhigendes Gefühl.

      Der Rudergänger starrte der heraufstürmenden Meute mit hochgezogenen Schultern entgegen. Seine Fäuste krampften sich wie haltsuchend um das Ruder. Aber ohne ein entsprechendes Kommando des Bootsmanns wagte er nicht, seinen Platz zu verlassen.

      Die Killigrew-Männer stießen verfrühtes Triumphgeschrei aus. In breiter Front walzten sie heran, mit Belegnägeln, Spaken und teilweise mit Messern bewaffnet. Den Rudergänger beachteten sie nicht. Er hatte das Gefühl, die nebensächlichste Erscheinung der Welt zu sein.

      Sullivan wußte, daß er gegen die Übermacht keine Chance hatte. Aber, zum Teufel, er war nicht der Waschlappen, der sich widerstandslos das Fell über die Ohren ziehen ließ. Wenn die Halunken das glaubten, dann hatten sie sich den Falschen ausgesucht.

      Ohne auch nur ein Augenzwinkern lang zu zögern, riß Sullivan seine schwere Radschloßpistole aus dem ledernen Hüftgurt. Die kunstvoll gravierte Waffe war ein Beutestück, von einem deutschen Büchsenmacher in Nürnberg angefertigt.

      Der Anblick des großkalibrigen Rohrs brachte die Meute für einen Moment ins Stocken. Das triumphierende Geschrei brach ab. Doch sie überwanden ihre Verwirrung überraschend schnell. Einer von ihnen, ein schwarzbärtiger Hüne, stieß sein Entermesser schräg in die Luft und gab damit das Zeichen, den Angriff fortzusetzten.

      Nur noch vier Schritte trennten sie von dem Bootsmann.

      Sullivan zielte auf den schwarzbärtigen Hünen und drückte ab. Das Rad schnurrte, mit klickendem Hahn schlug der Flint auf und sprühte Funken. Krachend entlud sich die schwere Waffe. Ein grellroter Feuerstrahl zuckte den Angreifern entgegen, gefolgt von einer mächtigen Wolke von Pulverdampf.

      Entsetzensschreie gellten. Als sich der Pulverdampf senkte, sah Sullivan, daß dem Hünen das Gesicht fehlte. Und der Halunke hinter ihm schrie wie am Spieß. Die aufgepilzte Bleikugel hatte ihm einen blutigen Scheitel gezogen. Das Geschoß hatte folglich den Schädel des Hünen glatt durchschlagen.

      Eigentlich war der Mann schon tot. Dennoch stand er noch erschreckend lange kerzengerade – wie ein unerschütterlicher Baum im Wind. Dann löste sich das Messer aus seinen Fingern. Klirrend fiel es auf die Planken. Es war wie ein Signal für die anderen. Während der Hüne vornüberkippte, stürmten sie weiter voran, und diesmal klang ihr Gebrüll wutentbrannt und rachelüstern. Der mit dem blutigen Scheitel blieb zurück, immer noch schreiend.

      Sullivan packte die fast armlange Pistole am vorderen Ende des Laufes. Das Griffstück war mit einem schweren Messingknauf versehen. Eine Faust-feuerwaffe, wie sie für den Nahkampf nicht besser geeignet sein konnte.

      Im Halbkreis drangen sie auf ihn ein. Belegnägel und Spaken wurden geschwungen. Sullivan versuchte, auszuweichen, so gut es ging. Er teilte mörderische Hiebe mit der Pistole aus. Einem der Kerle zerschmetterte der Messingknauf die Schädeldecke, einem anderen brach er den Schulterknochen.

      Doch damit war die Widerstandskraft des stämmigen Bootsmanns am Ende. Er schaffte es nicht mehr, den Schlägen auszuweichen, die auf ihn niederprasselten. Denn zu wildentschlossen kreisten sie ihn jetzt ein. Es war unmöglich, noch die Pistole hochzureißen und weitere Hiebe auszuteilen. Gleich zwei, drei Männer hängten sich an seinen rechten Arm und rissen ihn nach unten.

      Verzweifelt versuchte er, die Schläge der anderen mit dem linken Unterarm abzuwehren. Ein Spakenhieb vereitelte diesen Versuch. Sullivan hörte sich selbst aufschreien. Er hatte das Gefühl, daß sein Unterarm zerschmettert war. Glühende Schmerzen stachen bis in seine Brust.

      Ehe er weiter reagieren konnte, krachte ein Belegnagel auf seinen Kopf. Für Sullivan war es wie eine Explosion, die alles auslöschte. Von zusätzlichen Fausthieben der triumphierenden Killigrew-Männer getroffen, sackte er in sich zusammen.

      Er sah nicht mehr, wie sich ein mordlüstern verzerrtes Narbengesicht über ihn beugte, und er sah auch nicht den scharfen Stahl des Messers, das sich seiner Kehle näherte.

      Sir John eilte behende auf das Deck des Achterkastells, noch bevor sich die Männer der Stammcrew von ihrem Schreck erholt hatten.

      Er blieb an der vorderen Balustrade stehen, so daß sie ihn vom Deck der Kuhl und vom Vorkastell deutlich sehen konnten. Mit hoch erhobenem Arm gebot er Einhalt. Seine Stentorstimme hallte über das Schiff.

      „Halt! Ohne meinen ausdrücklichen Befehl wird auf dieser Karavelle niemand getötet!“ Sir John Killigrew straffte seine Haltung, und er war überzeugt, einen nachhaltigen Eindruck bei der Stammcrew hervorzurufen. Nicht unbegründet, denn er war von bulliger Statur, groß und rothaarig, mit eisklaren hellblauen Augen, was alles in allem ein imposantes äußeres Erscheinungsbild ergab.

      Ohne es sehen zu können, spürten die Männer von der Crew der „War Song“, welche Gefahr ihrem Bootsmann drohte. Sie hielten den Atem an und blickten wie gebannt zum Achterkastell hinauf. Keiner von ihnen wagte es, sich zu rühren.

      Das Narbengesicht ruckte herum. Die übrigen Männer wichen beiseite und gaben für Sir John den Blick auf die Szenerie frei. Der Rudergänger harrte mit deprimierter Miene an seinem Platz aus. Der Mann, dem Sullivans Bleikugel eine Furche in die Schädeldecke gerissen hatte, hockte leise wimmernd auf den Planken.

      Mit der freien Hand zeigte der Narbige anklagend auf die Toten – den Hünen, dem das Gesicht fehlte, und den anderen, dem der Messingknauf der Radschloßpistole die Schädeldecke zertrümmert hatte.

      „Sir, der Drecksack hat zwei von uns abgemurkst! Dafür muß er ...“

      Killigrew unterbrach ihn mit einer ausladenden Handbewegung.

      „Werft die Toten über Bord, Männer! Der Bootsmann hat sich seiner Haut gewehrt. Es war ein offener, ehrlicher Kampf. Jetzt ist dieser Kampf vorbei. Wir haben keinen Grund,

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