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van Kombast, der gut aussehende Pharmavertreter, war außer Dienst. Heute würde er keine Ärzte und Ärztinnen mit seinem Besuch beglücken, sondern nur sich selbst. Er trug einen bequemen, aber dennoch tadellos sitzenden Hausanzug einer feinen britischen Modemarke. Der Nachbar der Familie Tepes und selbst ernannte Vampirjäger hatte seinen Haushaltstag. Er würde ihn in vollen Zügen genießen.

      Er goss sich einen Vitalkost-Karotte-Drink ein, stellte ihn zusammen mit dem Kresse-Frischkäseschnittchen auf ein Tablett und lief damit leichtfüßig ins Wohnzimmer. Dann setzte er sich im Lotussitz, wie er ihn bei Ayala im Yogaworkshop gelernt hatte, auf seine brombeerfarbene Ledercouch. Er nahm einen Schluck vom Vitalkostdrink und seufzte zufrieden.

      Vor ihm auf dem kleinen Glastisch lag die Lektüre, der er sich gleich widmen wollte. Genau genommen hatte er allein dazu einen Haushaltstag eingelegt.

      Normalerweise las Dirk van Kombast Gesundheitszeitschriften oder Fachliteratur zum Thema Vampire und vor allem Vampirjagd. Beim letzten Vampirologenkongress in den USA hatte er sich mit einem Stapel hochwissenschaftlicher Bücher eingedeckt. Heute aber hatte er eine ganz andere literarische Gattung vor sich liegen. Es war ein kleines dunkelblaues Buch, ungefähr A5-Format. Zwischen den Seiten, die sich vom vielen Blättern schon etwas wellten, lugte ein glänzendes Lesebändchen hervor.

      Dirk van Kombast stellte das Glas ab, verschränkte die Finger und streckte die Arme mit nach außen gedrehten Handflächen von sich, dass es leise knackte. Dann hielt er die Hände einen Moment über das dunkelblaue Buch und wackelte mit den Fingern. Wie ein Zauberer, bevor er das Tuch über einem geheimnisvollen Gegenstand lüftete. Schließlich nahm er das Buch in die Hand, behutsam, als würde sich zwischen den Buchdeckeln hochexplosiver Stoff befinden. Was, zumindest im übertragenen Sinne, auch so war.

      Der Vampirjäger klappte das Buch auf. „Tagebuch von Helene Steinbrück“, las er genüsslich. „Wer das hier liest, ohne mich gefragt zu haben, ist doof und auf ewig mein Feind. Kein Erbarmen.“

      Dirk van Kombast grinste. Der Feind eines dreizehnjährigen Mädchens zu sein, das mit den Vampiren von nebenan befreundet war, damit konnte er ohne Probleme leben. Außerdem war er schon lange Helene Steinbrücks Feind. Seit er sie damals in den transsilvanischen Wäldern vor einem Vampirbiss bewahrt und sie ihn zum Dank der transsilvanischen Polizei übergeben hatte. Mehrere Tage hatte er damals in einer kleinen, feuchten und kalten Gefängniszelle gesessen. Zusätzlich hatte man ihm noch ein Einreiseverbot für Transsilvanien erteilt. Nicht dass er vorgehabt hätte, im Land der fliegenden Blutsauger den nächsten Urlaub zu verbringen.

      Bereits gestern Abend hatte Dirk van Kombast vor dem Einschlafen in seinem Wasserbett ein wenig im Tagebuch geblättert. Wie bei einer dreizehnjährigen Göre zu erwarten gewesen war, stand jede Menge alberner Kram darin. Ärger in der Schule – der Lehrer ist blöd, ungerecht und stinkt – oder Ärger mit dem Papi – muss erst Hausaufgaben machen, darf den Horrorfilm nicht gucken, bekommt kein neues Handyguthaben – oder Ärger mit sich selbst – Pickel auf der Nase, Brust wächst nicht, Haare zu platt. Ab einem bestimmten Eintrag jedoch wurde es auf einmal sehr spannend. Das war der Eintrag, als Helene die beiden Mädchen beschrieb, die neu in ihre Klasse gekommen waren: Silvania und Dakaria Tepes.

      An dieser Stelle ahnte der Vampirjäger bereits, dass es sich gelohnt hatte, Helene gestern Nachmittag nicht aus den Augen zu lassen. Durch Zufall hatte er sie auf dem Bindburger Hauptfriedhof entdeckt. Seit Langem schon hatte er nicht mehr am alten Familiengrab seiner Vorfahren mütterlicherseits vorbeigeschaut. Als er sich dem etwas versteckt liegenden Grab leise genähert hatte, hatte er Helene Steinbrück auf einer Bank unter der Trauerweide sitzen gesehen.

      Als erfahrener Vampirjäger wusste er natürlich, wie man eine verdächtige Person beobachtet, ohne selbst entdeckt zu werden. Er hatte Helene nicht mehr aus den Augen gelassen. Diese hatte zunächst fieberhaft etwas in ein Büchlein gekritzelt. Bis sie auf ihre Uhr gesehen, das Büchlein in den Rucksack gestopft hatte und dann überstürzt aufgebrochen war. Den geschulten Augen von Dirk van Kombast war nicht entgangen, dass Helene auf dem Weg zum Friedhofsausgang etwas aus dem Rucksack gefallen war. Kaum hatte Helene den Friedhof verlassen, war der Vampirjäger aus dem Schatten einer Esche getreten, hatte das Tagebuch aufgehoben, es schnell eingesteckt und war mit dem Diebesgut nach Hause geeilt.

      Genau genommen war es natürlich kein richtiges Diebesgut. Dirk van Kombast hatte lediglich den Friedhof sauber gehalten und den Papiermüll, den ein schluderiges Mädchen dort achtlos liegen gelassen hatte, beseitigt.

      Jetzt blätterte Dirk mit dem Zeigefinger, den er von Zeit zu Zeit anleckte, durch Helenes Papiermüll. Was Helene, die beste Freundin der Vampirschwestern, über die Nachbarmädchen so alles schrieb, war in der Tat hochinteressant. Dass die beiden Halbvampire waren, ihre Mutter ein Mensch und ihr Vater ein echter Vampir, wusste Dirk van Kombast natürlich schon längst. Aber es jetzt noch einmal schwarz auf weiß zu lesen, war eine Genugtuung und Bestätigung. Vielleicht konnte er Helenes Tagebuch später einmal als Beweismittel vorlegen. Später, wenn er der ganzen Welt zeigen würde, dass es Vampire wirklich gab. Genau wie es seine Mutti immer gesagt hatte – weswegen sie seit Jahren in einer geschlossenen Anstalt saß.

      Helene schien von ihren neuen Freundinnen und deren Eltern völlig eingenommen zu sein. Sie schwärmte von den schrägen Klamotten der Vampirmädchen, von ihren coolen Flugnummern und vom Flopsen – dieser pfeilschnellen Fortbewegungsart, ähnlich dem Beamen, wie es Dirk van Kombast auch schon einmal bei den Nachbarskindern gesehen beziehungsweise zu sehen geglaubt hatte. Denn mit dem bloßen Auge konnte man es gar nicht erkennen, so schnell flopsten die Vampirschwestern herum.

      Der Vampirjäger vermutete, dass seine Nachbarn der armen Helene irgendwelche bewusstseinsverändernden Mittelchen verabreichten. Wie sonst war so eine Begeisterung für die finsteren, muffigen Blutsauger aus Transsilvanien zu erklären? Am unverständlichsten war, dass Helene den Vater der Zwillinge, diesen Mihai Tepes, geradezu anhimmelte – seinen dichten Schnauzer, seine dunklen Anzüge, seinen Sarg im Keller und sein Orgelspiel. Als Dirks Mutter in dem Alter gewesen war, schwärmte sie noch für den Bundeskanzler. Was war nur mit den jungen Mädchen von heute los?

      Während Dirk van Kombast Helenes Tagebucheintrag über ihr Techtelmechtel mit einem jungen Vampir im transsilvanischen Wald las, stopfte er sich vor Wut das ganze Kresse-Frischkäseschnittchen auf einmal in den Mund. Er war sich damals schon verarscht vorgekommen. Jetzt wusste er, dass es auch genau so gewesen war. Eine Frechheit! Doch sie würde nicht ungestraft bleiben. Genau wie all die anderen schmachvollen Situationen, in die ihn die Vampirschwestern und ihre Freunde schon gebracht hatten – und die er heldenhaft verdrängte.

      Wollte er als Vampirjäger am Ende triumphieren, musste er auch Niederlagen wegstecken können. Das hatte er zum Glück schon als kleiner Junge beim verhassten Fußballspiel gelernt, zu dem ihn sein Vater immer gezwungen hatte. Was ihn nicht in den Sarg brachte, machte ihn nur stärker. Gut möglich, dass Dirk van Kombast bei vorherigen Aktionen gegen die Vampire von nebenan Fehler gemacht hatte. Klitzekleine, kaum erkennbare Fehler. Wichtig war allein, dass er aus diesen Fehlern gelernt hatte. Niederschläge warfen ihn daher nicht aus der Bahn. Im Gegenteil, jeder Fehler brachte ihn seinem Ziel ein Stück näher. Und die Vampire ihrem Ende.

      Dirk van Kombast blätterte weiter in Helenes Tagebuch. Er überflog naserümpfend die Seite, auf der Helene beschrieb, wie er von seinem Knoblauchpuster (einem Staubsauger, den er zur tödlichen Waffe umgebaut hatte) aufgesaugt worden war. Immerhin, er kam recht häufig im Tagebuch des Mädchens vor. Allerdings hätte sie auch etwas ruhmreichere Szenen mit ihm auswählen können.

      Plötzlich stockte der Vampirjäger im Blättern. Er hielt sich das Tagebuch etwas näher vors Gesicht und las leise: „… echt kaum zu glauben, dass so coole und bissige Mädchen wie Silvania und Daka auch Angst vor etwas haben. Und dann noch vor so etwas Lächerlichem: Tauben!“ Dirk van Kombast las fieberhaft weiter. Seine Lippen bewegten sich dabei leicht, doch vor Anspannung brachte er keinen Ton heraus.

      Helene schrieb, dass die Zwillinge seit einem Zwischenfall in ihrer Kindheit panische Angst vor Tauben hatten. Mit sechs Jahren waren sie zum ersten Mal alleine ausgeflogen und in einen Schwarm Ringeltauben geraten. Offenbar war unklar gewesen, wer Vorfahrt gehabt hatte – die Tauben oder die Vampire. Die Tauben waren jedenfalls fest davon überzeugt gewesen, dass sie Vorfahrt gehabt hatten, und hatten

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