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da wandte Daka den Blick vom Fernsehbildschirm. „Schlotz zoppo!“, rief sie und setzte sich schnell wieder neben Ludo. Die lila Tüpfchen in ihren braunen Augen flackerten. „… Fußboden war so hart und kalt …“, murmelte sie und stopfte sich den Mund mit Schweineborsten voll. Sie achtete nicht auf die fragenden Blicke von Helene und Silvania, sondern klopfte dem noch immer an der Erdnuss röchelnden Ludo zweimal kräftig auf den Rücken. Daraufhin kam die Erdnuss im hohen Bogen herausgeflogen und prallte gegen den Bildschirm. „Alles klar, du Nuss?“, fragte Daka.

      Ludo nickte und Daka richtete ihre ganze Aufmerksamkeit wieder auf Die Vögel von Alfred Hitchcock.

      Als der Film zu Ende und der Bildschirm schon längst schwarz war, starrte Daka noch immer darauf. „Verstehe ich nicht, das Ende.“

      „So etwas nennt man ‚offenes Ende‘“, erklärte Silvania. „Da du keine Romane, sondern immer nur Flatsch ug Mitch liest, kennst du das nicht.“

      Flatsch ug Mitch war ein vampwanischer Comic. Dabei ging es um die bittersüße Feindschaft zwischen Flatsch, einer Fledermaus, und Mitch, einem Kater.

      „Offenes Ende?“ Daka schnaufte. „Wie ’ne Tüte mit einem riesigen Loch am Boden ist das. Bei Flatsch ug Mitch ist am Ende immer alles klar – meistens liegt Mitch unter einer Dampfwalze und Flatsch schlürft entspannt ein frisch gezapftes Blut.“

      „Apropos Blut“, warf Helene schnell ein, bevor zwischen den Schwestern noch ein Streitgespräch über Romane und Comics entstehen konnte. „Ich habe mir schon mal Gedanken gemacht, wo Krypton Krax schlafen könnten. Wie wäre es auf dem Friedhof? Da gibt es mehrere große Bäume. In denen könnten sie schön kopfüber abhängen.“

      Silvania, Daka und Ludo stellten sich einen Moment vor, wie eine Band in den Bäumen des Bindburger Hauptfriedhofs hing und den Omas, die zum Gräbergießen kamen, höflich „Guten Morgen“ wünschte.

      „Gute Idee“, fand Daka.

      „Und …“, fuhr Helene fort und stand auf, „… ich habe auch schon Flyer entworfen für das Konzert.“ Sie holte ein paar Zettel vom Schreibtisch. KRYPTON KRAX stand mit fetten, spitzen Buchstaben in Schwarz auf blutrotem Untergrund. Die Schrift sah aus, als hätte ein tollwütiger Bär sie mit seiner Tatze eingeritzt. „Live und heiß aus Transsilvanien!“ und „Tanz dir keinen Wolf, sondern ’nen Vampir!“ oder „Die Überflieger des Musik-BISS-ness!“ hatte Helene wahlweise dazugeschrieben. Die rote Hintergrundfarbe hatte sie nach unten hin in dicken Schlieren auslaufen lassen, sodass sie wie Blut aussah.

      „Zensatoi futzi!“ Daka nickte anerkennend.

      „Und was sollen die beiden Löcher da an der rechten Ecke?“, fragte Ludo.

      „Da hat ein Vampir in den Flyer gebissen.“ Helene grinste stolz.

      „Die kopieren wir und lassen sie von der Postfledermaus ausfliegen“, sagte Silvania.

      „Und wo soll man sich einen Vampir tanzen?“, fragte Ludo.

      „Im BATCAVE!“, riefen Daka und Silvania wie aus einem Mund.

      „Batcave – in einer Fledermaushöhle?“ Helene konnte nicht nur gut Vampwanisch, sondern auch Englisch.

      „Im Batcave Club“, erwiderte Silvania. „Das ist ein kleiner, gruftiger Club, in dem sich alle finsteren Gestalten der Schattenwelt von Bindburg abends tummeln.“

      „Unsere Mutter kennt den Besitzer. Er hat sich von ihr die Klobrillen im Club mit Spinnweben, Stacheldraht und Nieten gestalten lassen“, fügte Daka hinzu. „Wir haben schon mit ihm gesprochen und er fände es ‚mordsjut‘, hat er gesagt, wenn eine junge Band aus Transsilvanien in seinem Laden die Bühne rockt. Ich hab ihm zwar gesagt, dass Krypton Krax nicht rocken, sondern punken, aber das hat ihn nicht weiter gestört.“

      „Er war so begeistert von Mamas Klobrillen, dass er einer Band aus der transsilvanischen Heimat ihres Mannes eine Chance geben will“, sagte Silvania.

      „Eure Eltern sind soooo cool!“, meinte Helene. „Mein Vater bohrt nur allen möglichen Leuten in ihren stinkenden Zahnlöchern herum. Der würde sich nie in einen finsteren Club verirren.“

      „Hat ja genug Horror in seiner Zahnarztpraxis“, fand Ludo und fuhr seine Zähne mit der Zunge nach einem Loch ab.

      Helene winkte ab. „Seine Patienten schreien noch nicht einmal richtig.“

      „Unser Vater würde schreien, dass es ganz Bindburg hört“, sagte Silvania. „Er hasst Zahnärzte.“

      „Im Moment schreit er aber ganz sicher nicht.“ Daka verzog das Gesicht. „Er säuselt bestimmt.“

      Silvania nickte und lächelte selig. „Unsere Eltern haben heute auch einen ganz besonderen Abend.“

      „Auch irgendwas mit Hammer-Horror?“, fragte Helene.

      „So ähnlich“, sagte Daka.

      Schlauchbootseufzer

      Der abgelegene See glitzerte wie eine silberne Münze im Mondschein. Hohe, dunkle Tannen ragten am Ufer in den Nachthimmel und umgaben den See schützend, einem dicken Schal gleich. Das Wasser war ruhig und schimmerte wie warmer, weicher Samt. Nur dort, wo sich ein kleines Boot langsam vom Ufer entfernte und den Weg durch das Gewässer bahnte, kräuselte es sich leicht. Es war ein rotes Schlauchboot. Am Bug hatte es Fischaugen und einen Mund, am Heck eine gelbe Flosse. An Bord waren eine Frau und ein Vampir.

      Mihai Tepes, Vater der Vampirschwestern und 2676 Jahre alter Vampir, paddelte. Er lächelte seiner Frau Elvira zu, die ihm gegenübersaß. Sein Schnauzer kringelte sich wie zwei Lakritzschnecken, seine halblangen dunklen Haare glänzten im Mondschein und seine schwarzbraunen Augen funkelten wie zwei glatte Steine am Grund eines transsilvanischen Waldbaches.

      Elvira hockte mit angezogenen Beinen am Bug und strahlte ihren Mann an. „Das ist die romantische Überraschung? Eine nächtliche Bootsfahrt im Kinderschlauchboot unserer Töchter?“

      „Psst“, machte Mihai. Es klang wie das Zischeln einer Schlange. „Warte, bis wir in der Mitte des Sees sind!“

      Elvira zog die Knie dichter an den Körper und die Augenbrauen hoch. Sie spähte in die Nacht, die Wald und See in eine dunkle Bühne für allerlei Fantasiegestalten verwandelt hatte. Das dunkle Wasser kräuselte sich. War es nur der Nachtwind oder verbarg sich unter der Wasseroberfläche etwas unheimliches Unbekanntes?

      In den hohen Tannen, die das Ufer säumten, raschelte es hin und wieder. Ein Vogel rief durch die Nacht. Vielleicht ein Käuzchen. Elvira Tepes kannte sich mit Vogelarten nicht so gut aus. Die drei schrägen Vögel, die sie zu Hause hatte, reichten ihr. Mit einem davon war sie heute auf den Tag genau vierzehn Jahre verheiratet. Elvira hatte Mihai am Morgen schon mit einem Ständchen beglückt, das sie mit zwei Hundeknochen auf seinen Sargdeckel geklopft hatte. Danach hatte sie ihrem stets durstigen Mann einen Blutcocktail serviert. Er hatte vor Genuss geschmatzt, als er ihn Schluck für Schluck getrunken hatte. Frau Tepes sah ihren Mann an und seufzte versonnen.

      Mihai Tepes paddelte mit ruhigen, kräftigen Zügen auf die Mitte des Waldsees zu. Er dachte an all die glücklichen Jahre, die Elvira und er in seiner transsilvanischen Heimatstadt Bistrien verbracht hatten. Und an die … nun ja … interessanten Zeiten, die sie seit ihrem Umzug nach Bindburg, der deutschen Heimatstadt seiner Frau, verlebt hatten. Natürlich dachte er auch an Silvania und Dakaria, ihre einzigartigen und wunderbaren Töchter. Mihai Tepes war unsagbar stolz auf sie. Obwohl sie keine echten Vampire waren, sondern Halbvampire. Aber jeder Vampir konnte sich von seinen Töchtern eine Scheibe abschneiden – natürlich nicht wortwörtlich. Mit feuchten Augen dachte Mihai zurück an die Geburt der Zwillinge, an ihre ersten wackelnden Milcheckzähne, an glückliche Stunden im Schlammkasten und an verregnete Nachmitternächte bei einer Runde Vampir, beiß mich nicht.

      Mihai war so in Gedanken versunken, dass er beinahe einmal quer über den See zum anderen Ufer gepaddelt wäre. Gerade noch rechtzeitig merkte er, dass er die Mitte des Sees längst erreicht hatte. Er ließ die Paddel ruhen, kniete sich vor Elvira und nahm ihre Hand.

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