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Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada
Читать онлайн.Название Hans Fallada – Gesammelte Werke
Год выпуска 0
isbn 9783962813598
Автор произведения Hans Fallada
Жанр Языкознание
Серия Gesammelte Werke bei Null Papier
Издательство Bookwire
»Und was werden wir davon haben, da unten in unsern Gräbern?«
»Aber, Quangel! Möchten Sie denn lieber für eine ungerechte Sache leben als für eine gerechte sterben? Es gibt doch gar keine Wahl, weder für Sie noch für mich. Weil wir sind, die wir sind, mussten wir diesen Weg gehen.«
Lange schwiegen sie.
Dann fing Quangel wieder an: »Dieses Schachspiel …«
»Ja, Quangel, was ist damit?«
»Ich denke manchmal, ich tue unrecht damit. Viele Stunden habe ich nur das Schach im Kopf, und ich habe doch noch eine Frau …«
»Sie denken genug an Ihre Frau. Sie wollen stark und mutig bleiben; alles, was Sie stark und mutig erhält, ist gut, und was Sie schwach und zweiflerisch macht wie Grübeln, ist schlecht. Was nützt Ihrer Frau das Grübeln? Ihr nützt, wenn der Pastor Lorenz ihr wieder einmal sagen kann, dass Sie stark und mutig sind.«
»Aber er kann, seit sie diese Zellengenossin hat, nicht mehr offen mit ihr sprechen. Der Pastor hält das Weib auch für eine Spionin.«
»Der Pastor wird es Ihrer Frau schon begreiflich machen, dass es Ihnen gut geht und dass Sie sich stark fühlen. Dafür genügt schließlich ein Kopfnicken, ein Blick. Der Pastor Lorenz kennt sich aus.«
»Ich möchte ihm gern einmal einen Brief an Anna mitgeben«, sagte Quangel nachdenklich.
»Tun Sie das lieber nicht. Er würde es nicht abschlagen, aber Sie würden sein Leben in Gefahr bringen. Sie wissen ja, ihm wird ständig misstraut. Es wäre schlimm, wenn auch unser guter Freund in eine solche Zelle käme. Er wagt ja schon so eigentlich jeden Tag sein Leben.«
»Ich werde also keinen Brief schreiben«, sagte Otto Quangel.
Und er tat es auch nicht, obwohl ihm der Pastor am nächsten Tag eine schlimme Nachricht brachte, eine sehr schlimme Nachricht, ganz besonders auch für Anna Quangel. Der Werkmeister bat ihn nur, diese sehr schlimme Nachricht jetzt noch nicht seiner Frau zu bringen.
»Jetzt noch nicht, bitte nicht, Herr Pastor!«
Und der Pastor versprach das auch.
»Nein, noch nicht; Sie werden es mir sagen, wenn es so weit ist, Herr Quangel.«
59. Der gute Pastor
Pastor Friedrich Lorenz, der unermüdlich im Gefängnis seinen Dienst verrichtete, war ein Mann in den besten Jahren, das heißt um die Vierzig herum, sehr lang, schmalbrüstig, ewig hüstelnd, ein von der Tuberkulose Gezeichneter, der seine Krankheit ignorierte, weil die Arbeit ihm für die Pflege und Heilung seines Körpers keine Zeit ließ. Sein blasses Gesicht mit dunklen Augen hinter Brillengläsern und der schmalrückigen, feinen Nase hatte einen Backenbart, aber die Mundpartie war stets tadellos rasiert und zeigte einen schmallippigen, blassen, großen Mund und ein festes rundes Kinn.
Dies war der Mann, auf den Hunderte von Gefangenen jeden Tag warteten, der einzige Freund, den sie in diesem Hause wussten, der noch eine Brücke zur Außenwelt war, dem sie ihre Sorgen und Nöte vortrugen und der half, soviel in seiner Macht stand, jedenfalls bei Weitem mehr, als ihm gestattet war. Unermüdlich ging er von Zelle zu Zelle, nie abgestumpft gegen das Leiden der anderen, stets sein eigenes Leid vergessend, völlig furchtlos, was die eigene Person anging. Ein wahrer Seelsorger, der nie nach dem Bekenntnis, nach dem Glauben der Hilfesuchenden fragte, der mit ihnen betete, wenn es erbeten wurde, und der sonst nur der Bruder Mensch war.
Der Pastor Friedrich Lorenz steht vor dem Pult des Gefängnisdirektors, Schweißtropfen stehen auf seiner Stirn, zwei rote Flecke zeichnen sich auf seinen Backen ab, aber er sagt ganz ruhig: »Das ist der siebente durch Vernachlässigung hervorgerufene Todesfall in den letzten zwei Wochen.«
»Auf dem Totenschein steht Lungenentzündung«, widerspricht der Direktor, sieht aber dabei von seiner Schreiberei nicht auf.
»Der Arzt tut seine Pflicht nicht«, sagt der Pastor hartnäckig und klopft dabei sanft mit dem Knöchel auf den Schreibtisch, als begehre er Einlass bei dem Direktor. »Es tut mir leid, sagen zu müssen, der Arzt trinkt zu viel. Seine Patienten vernachlässigt er.«
»Oh, der Doktor ist schon ganz in Ordnung«, antwortet der Direktor flüchtig und schreibt weiter. Er gewährt dem Pastor keinen Einlass. »Ich wollte, Sie wären ebenso in Ordnung, Herr Pastor. Wie ist es, haben Sie Nummer 397 einen Kassiber zugesteckt oder nicht?«
Jetzt endlich begegnen sich der beiden Blicke, der des rotgesichtigen Direktors mit seinem Gesicht voller Schmisse und der Blick des von seinem Fieber verbrannten Geistlichen.
»Es ist der siebente Todesfall in zwei Wochen«, sagt Pastor Lorenz beharrlich. »Das Gefängnis braucht einen neuen Arzt.«
»Ich fragte Sie eben etwas, Herr Pastor. Würden Sie mir gütigst antworten?«
»Jawohl, ich habe Nummer 397 einen Brief übergeben, aber keinen Kassiber. Es war ein Brief seiner Frau, der ihm meldet, dass der dritte Sohn dieses Mannes nun doch nicht gefallen, sondern in Kriegsgefangenschaft geraten ist. Zwei Söhne hat er schon verloren, den dritten glaubte er auch tot.«
»Sie finden stets einen Grund, die Gefängnisordnung zu übertreten, Herr Pastor. Aber ich sehe mir dieses Spiel nicht lange mehr an.«
»Ich bitte um Ablösung des Arztes«, wiederholt der Pastor hartnäckig und klopft wieder leise auf den Schreibtisch.
»Ach was!«, schreit der rotgesichtige Direktor plötzlich los. »Belästigen Sie mich nicht mehr mit Ihrem blöden Geschwätz! Der Doktor ist gut, er bleibt! Und Sie, sehen Sie zu, dass Sie die Gefängnisordnung befolgen, sonst passiert Ihnen noch was!«
»Was kann mir passieren?«, fragte der Pastor. »Ich kann sterben. Und ich werde sterben. Sehr bald. Ich bitte nochmals um die Ablösung des Arztes.«
»Sie sind ein Narr, Pastor«, sagte der Direktor kalt. »Ich nehme an, Ihre Schwindsucht hat Sie ein bisschen verrückt gemacht. Wenn Sie nicht so ein harmloser Trottel wären – eben ein Narr! –, wären Sie längst gehängt. Aber ich habe Mitleid mit Ihnen.«
»Wenden Sie Ihr Mitleid lieber Ihren Gefangenen zu«, antwortete der Pastor ebenso kalt. »Und sorgen Sie für einen pflichtbewussten Arzt.«
»Sie machen die Tür jetzt am besten von außen zu, Herr Pastor.«
»Ich habe Ihr Versprechen, dass Sie für einen anderen Arzt sorgen?«
»Nein, nein, zum Donnerwetter, nein! Scheren Sie sich zum Henker!«
Jetzt war der Direktor doch in Wut geraten, er war aufgesprungen hinter seinem Schreibtisch und hatte zwei Schritte auf den Pastor zu gemacht. »Soll ich Sie mit