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Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe
Читать онлайн.Название Gesammelte Werke
Год выпуска 0
isbn 9783962816056
Автор произведения Wilhelm Raabe
Жанр Языкознание
Серия Gesammelte Werke bei Null Papier
Издательство Bookwire
Eine trübe Lampe beleuchtete das Vierkleeblatt, und woeful, woeful, woeful war für die abenteuernden Damen die Vorstellung, dass die nächste Tür in ihre Schlafkammer führe und sie demnächst gezwungen sein würden, sich zu Bett zu legen, während ganz Hohenstaufen rund um sie her äußerst munter, wach und bewegt bleiben werde.
Auf den Zehenspitzen aber war Pechle an die Pforte geschlichen, die auf den Hausflur leitete, und warf durch die Spalte einen vorsichtigen, vergnügten Blick auf die klägliche Gruppe am Tisch. Die Situation war ihm klar, und die Gesichter der Damen bedurften auch gar keines Kommentars. Miss Christabel und Frau Lucie von Rippgen bereueten es, ihren Wagen nach Göppingen zurückgeschickt und die beiden Herren auf der öden, kahlen Kuppe des Burgberges in der unheimlichen Nacht einsam zurückgelassen zu haben. Leise und unbemerkt von Christabel und Lucie zog Pechle sein Haupt zurück, erfasste jetzt seinerseits den Baron am Rockschoss, zog ihn gegen die Treppe hin, die in den oberen Stock des Hauses emporführte, und flüsterte:
»Wir steigen sofort auf unsern Tanzboden und essen grad über ihren Köpfen zur Nacht. Sie haben es! Sie haben es! Im Notfall sind wir augenblicklich zur Hand; aber jetzt stellen wir uns nicht zum zweiten Mal vor, sondern warten ruhig ab, was die Götter weiter über ihre Bequemlichkeit und Gemütsstimmungen beschließen. Du, Ferdinand, die Engländerin verdient wahrhaftig, mich immer noch besser kennen zu lernen, aber – nun fort und zwar auf den Zehen! Vor allen Dingen übrigens lass mich ein Wort mit dem Lammwirt wegen unserer Verpflegung reden; es ist nicht das erste Mal, dass ich bei ihm übernachte, und wir schätzen uns gegenseitig.«
Das sechszehnte Kapitel.
Je lustiger und wilder es im Tanzsaal des Ochsen zuging, desto stiller und stummer lag der im Lamm da; nur die Geister, die Gerüche früherer Feste und Jubelnächte waren noch nicht aus ihm entwichen. Sie durchschwebten, durchwogten gespenstisch den weiten Raum und es entging dem Baron keineswegs, dass sie da waren. Er nannte sie »grauenhaft«.
Die Stühle, Bänke und Tische, auf und an denen sonst das muntere Völkchen der Umgegend sein Behagen nahm, waren jetzt mit Kunst bis an die verrauchte Decke aufeinander getürmt; es war Platz vorhanden, einem Fähnlein waiblingischer Lanzenknechte ein Strohbett aufzuschütten. Der Wirt zum Lamm in Hohenstaufen jedoch bereitete seinem Freund, dem Doktor Pechlin ein behaglicheres Lager, als sich durch ein auseinandergebreitetes Bund Stroh herrichten ließ, und auch der königlich sächsische Assessor außer Dienst fand, um seine Glieder zu strecken, einen Platz, der schlimmer aussah, als er in Wirklichkeit war.
Aber die zwei Freunde suchten ihre Kissen fürs erste noch nicht auf, – auch der Baron nicht, der sich doch kaum noch auf den Füßen hielt. In der Mitte der dunkel um sie her sich dehnenden Wüste nahmen beide zuvörderst ihr Abendessen ein, – Pechle mit Appetit und Heiterkeit, der Baron mit dem, vielleicht auch anderen Leuten als ihm bekannten Würgen in der Kehle.
Er war nicht der erste in der Welt, dem eine unklare und eigentlich gar nicht begründete Gewissensangst schlimmer zusetzte, als einem behaglichen Bösewicht alle seine wohlüberlegten Schandtaten und Sünden; und der auf den nächsten Hügeln gewachsene Wein bekam dem Freund gleichfalls besser, als ihm, des weiland römischen Reiches Frei- und Bannerherrn Ferdinand von Rippgen aus Dresden, dem er gar nicht zusagte. –
Während des Essens horchte der Baron fort und fort hinunter nach den eichenen Bohlen des Fußbodens; nach dem Essen legte sich der Exstiftler mit elegischem Aufatmen und mit der Zigarre noch einige Augenblicke in das geöffnete Fenster, und blickte hinaus auf das dunkle bewegte Dorf, die stille übrige Landschaft und empor zu dem nur hier und da durch einen glitzernden Stern gekennzeichneten Firmament. Bald rief er auch den Reisegenossen zu sich, legte ihm den Arm um den Nacken, klopfte ihn auf die Schulter und sprach:
»Ebert, mich scheucht ein trüber Gedanke vom blinkenden Weine
Tief in die Melancholei!«
»Dich auch?« rief der Baron im höchsten Zweifel und jammervollsten Tone.
»Nun natürlich, denn es wäre doch viel vergnüglicher, wenn die zwei Weiber mit uns oder wir da unten mit ihnen zu Nacht gegessen hätten. Aller Verdruss und alles Elend in der Welt läuft auf dieses Abgesondertsitzen der für einander geschaffenen Seelen hinaus. Jetzt überkommt mich und dich die große Poesie der Welt im ruhigen Einschlürfen dieser balsamischen Nachtluft und Hinhorchen auf den Frieden der Erde; – so lyrisch wie jetzt hab’ ich mich lange nicht gestimmt und aufgestimmt gefühlt, und wen haben wir, um ihm unsere Stimmungen mitzuteilen? Ich dich und du mich! Genüge ich dir dazu, so ist mir das sehr angenehm; aber, offen gestanden, du genügst mir nicht, und wäre es mir viel lieber, die Engländerin sähe hier an deiner Stelle mit mir zum Fenster hinaus. Du könntest dann ja mit deiner Frau aus dem anderen gucken.«
»Das könnte ich, und es wäre freilich –«
»Was wäre es?«
»O nichts!« seufzte der Baron, und wir, – wir die Unbeteiligten stellen gerade an dieser Stelle die Frage, was uns eigentlich die holde Landschaft und der stille Sternenhimmel angehn? Nicht das geringste; denn unser Platz ist augenblicklich nicht einmal im verhältnismäßig ruhigen und friedlichen Lamm, sondern im stürmisch aufgeregten, lichterglänzenden, musik- und tanzdurchtosten Ochsen. Im Ochsen ist er, und wie schwer und sauer es uns auch dann und wann ankommen mochte, unsere Pflicht haben wir noch stets getan, und der leisen, ernsten Stimme in unserem Busen haben wir noch zu jeglicher Stunde bereitwillig Folge geleistet und werden stets ihr Folge leisten.
Im Ochsen zu Hohenstaufen, im staubwolkenerfüllten, erstickendheißen Saale schlingt sich der schwäbische Wirbeltanz mit allem dazu gehörigen Spektakel.