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bzw. Heine und die Folgen ergründen. Das Problematische, Befremdliche an Karl Kraus sei nicht verschwiegen. Da ist zunächst sein Verhältnis zur zu seiner Zeit gerade entstehenden Psychoanalyse, der hier höchst geistreiche und vergnügliche Aphorismen gewidmet sind. Sicher ist zu bedenken, dass Kraus’ satirische Angriffe vor allem jener verflachenden Breitenwirkung der jungen Wissenschaft galten und nicht in erster Linie dieser selbst. Recht ist ihm in jedem Fall zu geben, wenn er sich scharfsinnig gegen einen Reduktionismus wendet, der allzu platt alle Dimensionen des Menschseins in durchschaubare Mechanismen des Unbewussten auflösen will. Doch es bleibt der Eindruck, dass hier »das Kind mit dem Bade« ausgeschüttet wird. Übrigens empfand umgekehrt Sigmund Freud für Karl Kraus – vor allem wegen dessen mutiger Haltung gegenüber der verlogenen Gesellschaftsmoral und Sexualgesetzgebung – größte Hochachtung.

      Problematisch, ja aus heutiger Sicht schier unerträglich sind viele Aussagen zum Thema „Frau“; auf viele wurde deshalb in dieser Auswahl auch verzichtet. Hier ist auf den Hintergrund zu verweisen: Im Jahr 1903 erschien das Buch Geschlecht und Charakter des erst 23-jährigen Otto Weininger, das von vielen damaligen Größen der Geisteswelt enthusiastisch gefeiert wurde. Weininger schöpft darin aus einem reichhaltigen philosophischen, psychologischen, biologischen und historischen Wissen, das er zu einer Theorie der Geschlechter verarbeitet, die heute nur noch als hanebüchen bezeichnet werden kann: Der Frau spricht er von Natur her jegliche Fähigkeit zu Logik, Ethik etc. ab, er weist ihr das Feld der Lust und Sinnlichkeit zu. Individualität, Wille, etc. eignen einzig dem Mann. Karl Kraus gehörte – wie etwa auch Strindberg – zu den vielen Intellektuellen seiner Zeit, die Weiningers Thesen begeistert rezipierten. Nach Weiningers spektakulärem Suizid noch im Jahr des Erscheinens seines Buches erschienen Würdigungen in der Fackel. Diese kruden Auffassungen stehen allerdings auch in auffallendem Kontrast zur Hochachtung, die Karl Kraus selbst den von ihm geliebten Frauen entgegenbrachte – der früh verstorbenen Schauspielerin Annie Kalmar, seiner großen Liebe Sidonie von Nádherny und schließlich Helene Kann, die ihn ins Sterben begleitete – und von der es beeindruckende literarische Zeugnisse (etwa Gedichte) gibt. Gerade diejenigen, die Kraus schätzen und verehren, berührt es dennoch peinlich, dass Kraus aus dieser trüben Quelle schöpft. Allerdings: Im Gegensatz zu Weininger selbst hat Kraus ganz andere, höchst progressive Schlussfolgerungen aus diesen Thesen gezogen! Dazu gehört etwa die Verteidigung der Prostitution – einer Dienstleistung, die sich jeder bürgerlichen Moralität als überlegen erweist. Sie fügt sich freilich ein in Kraus` Gesamthaltung zu Sexualmoral und Sexualgesetzgebung. Dazu zählt seine unerschütterliche Position, dass sich der Staat in Belange des Geschlechtslebens nicht einzumischen habe und dass gerade die gesetzlich verordnete Sexualmoral das Verbrechen – etwa in Gestalt von Erpressung und Wucher – zeitige. Mit größter satirischer Schärfe etwa »erledigt« Kraus Maximilian Harden, der den politischen Gegner mit dem Vorwurf der Homosexualität zu diskreditieren versucht. Als Hintergrundlektüre der diesbezüglichen hier wiedergegebenen Aphorismen sei Kraus’ programmatischer Essai Sittlichkeit und Kriminalität empfohlen, aber auch Die chinesische Mauer. In seinen Aussagen zur Vielgestaltigkeit des Eros, der sich jeder bürgerlichen Reglementierung widersetzt, hat sich Kraus wiederum als feinsinniger Beobachter und Interpret menschlichen Empfindens erwiesen.

      Schon erwähnt wurde die Haltung Karl Kraus’ zum Ersten Weltkrieg, der in diesem Band neben knappen Aphorismen auch durchaus längere Textabschnitte gewidmet sind. Am 1. August 1914, als der Mainstream der Literaten in den abstoßendsten Jubel der Kriegsbegeisterung einstimmte, hat Karl Kraus zunächst geschwiegen. Erst im Dezember brach er dieses Schweigen mit seiner programmatischen Anrede In dieser großen Zeit. Sie sei nachdrücklich als Hintergrundlektüre der hier wiedergegebenen Texte empfohlen – ebenso wie die vielen, oft kurzen und leichter verdaulichen Glossen aus den Kriegsjahrgängen der »Fackel«.

      Möge diese Aphorismensammlung vor allem dazu anregen, mehr aus dem Werk von Karl Kraus zu lesen. Die hier erwähnten Texte können als kleine Leseanleitung dienen.

      Für viele, die Karl Kraus hier zum ersten Mal lesen, wird sich da und dort ein Widererkennungseffekt einstellen: »Schon mal gehört!« Viele seiner Aphorismen wurden aus dem Gesamtzusammenhang herausgepflückt und ohne Quellenangabe weitertradiert. Selbst die humorlosesten »Komiker« unserer Fernsehunterhaltung haben sich an Karl Kraus vergriffen. Die Herkunft vieler „Bonmots“, die bei Kraus noch Gedanken waren, ist heute vielfach nicht mehr bewusst. Freilich hat Kraus auch dies schon vorweggenommen und darauf hingewiesen, dass seine Gedanken nur innerhalb der Atmosphäre seines Gesamtwerkes wirklich lebendig gedeihen und davon isoliert schnell verwelken. Und der posthumen Ausschlachtung seines Werkes ist er selbst in der für sich selbst entworfenen Grabesinschrift zuvorgekommen:

      Wie leer ist es hier an meiner Stelle. Vertan alles Streben. Nichts bleibt von mir als die Quelle, die sie nicht angegeben.

       Bruno Kern

      1Hans Weigel, Karl Kraus oder Die Macht der Ohnmacht, München 1972.

ERSTES BUCH

      I. WEIB, FANTASIE

      Des Weibes Sinnlichkeit ist der Urquell, an dem sich des Mannes Geistigkeit Erneuerung holt.

      Die wahre Beziehung der Geschlechter ist es, wenn der Mann bekennt: Ich habe keinen andern Gedanken als dich und darum immer neue!

      Das gedankenloseste Weib liebt im Dienste einer Idee, wenn der Mann im Dienste eines Bedürfnisses liebt. Selbst das Weib, das nur fremdem Bedürfnis opfert, steht sittlich höher als der Mann, der nur dem eigenen dient.

      Männerfreuden – Frauenleiden.

      Wenn eine Frau auf das Wunderbare wartet, so ist es ein verfehltes Rendezvous: Das Wunderbare hat auf die Frau gewartet. Die Unpünktlichen!

      Nichts ist unergründlicher als die Oberflächlichkeit des Weibes.

      Den Inhalt einer Frau erfasst man bald. Aber bis man zur Oberfläche vordringt!

      Der Spiegel dient bloß der Eitelkeit des Mannes; die Frau braucht ihn, um sich ihrer Persönlichkeit zu versichern.

      Die Erotik des Mannes ist die Sexualität des Weibes.

      Der »Verführer«, der sich rühmt, Frauen in die Geheimnisse der Liebe einzuweihen: Der Fremde, der auf dem Bahnhof ankommt und sich erbötig macht, dem Fremdenführer die Schönheiten der Stadt zu zeigen.

      Das aktive Wahlrecht des Männchens haben die Realpolitiker der Liebe geschaffen.

      Sie behandeln eine Frau wie einen Labetrunk. Dass die Frauen Durst haben, wollen sie nicht gelten lassen.

      Eine

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