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      An Deck zogen alle die Köpfe ein, als er dicht über die Masten dahinstrich, dann wild mit den schweren Flügeln schlug und wieder Auftrieb erhielt. Er segelte gegen den Wind und schraubte sich langsam höher, dann begann er, weite Kreise um das Schiff zu ziehen.

      Dem abergläubischen Profos fuhr der Schreck gewaltig in die Knochen.

      „Das bedeutet nichts Gutes“, versicherte Carberry in der Kuhl jedem, der es hören wollte. Sie drängten sich förmlich danach und hingen begierig an des Profos Lippen, Ferris Tucker, Smoky, Blacky, Stenmark, Dan und die anderen.

      „Das ist einer der Vögel, die auf ihren Flügeln schwebend schlafen“, erläuterte Carberry. „Sie rufen Sturm hervor. Sie können sehr lange schweben, ohne die Schwingen zu regen, sie ändern die Richtung, indem sie einen Flügel so leicht bewegen, daß es niemand sieht. Wir kriegen Unglück, sage ich euch!“

      „Und wenn wir ihn mit einer Muskete abknallen?“ fragte Smoky, der Deckälteste erregt.

      „Um Himmels willen.“ Der Profos winkte ab. „Einen von ihnen zu schießen, ist bedenklich, sehr bedenklich sogar. Ich kenne keinen Fall bei dem die Reise hinterher gut verlaufen ist. Man kann ihn aber mit einem Stück Speck angeln und ihn dann an Deck sterben lassen. Das ist ganz etwas anderes.“

      Als Carberry geendet hatte, wurde die Stimmung noch gedrückter. Voller Unbehagen sahen sie dem Riesenvogel nach, der immer noch seine Kreise zog, mal hinter dem Schiff herflog, es dann wieder überholte.

      Smoky kannte auch ein paar Geschichten, in denen einzelne Vögel Unglück über ein Schiff gebracht hatten.

      „Fast alle sind hinterher gesunken“, sagte er. „Und jetzt kann man den Sturm schon fast riechen“, setzte er hinzu.

      Dan O’Flynn pfiff erregt durch die Zähne. Das hätte er lieber nicht tun sollen, denn obwohl ihn an Bord jeder als vollwertigen Mann akzeptierte, war er für den Profos plötzlich wieder das Bürschchen.

      „Bist du wahnsinnig, du Rotznase?“ schrie der Profos. Mit einem Satz war er bei Dan, packte ihn am Kragen und schüttelte ihn durch.

      „Das Mistvieh da oben kündigt den Sturm an, und jetzt mußt du ihn auch noch herbeipfeifen! Weißt du nicht, daß Pfeifen erst recht Stürme herbeizieht?“

      Dan war so verdattert, daß er erst gar nicht versuchte, sich aus dem Griff zu befreien.

      „Das habe ich nicht gewußt“, sagte er kleinlaut.

      „Dann merk dir das verdammt gut! Wen ich jetzt noch einmal pfeifen höre, dem ziehe ich persönlich die Haut in Streifen von seinem verdammten Affenarsch. Habt ihr das alle verstanden?“

      Sie hatten alle verstanden. Keiner lachte über Carberrys Lieblingsspruch, Dan schon gar nicht, dem der Schreck jetzt auch gehörig in die Knochen gefahren war.

      „Der Todesvogel“, murmelte Tukker und zeigte auf das große Tier, das sich gerade wieder anschickte, die „Isabella“ zu umkreisen.

      „Wenn er sich auf dem Mast niederläßt, sind wir verloren.“

      Ein paarmal sah es so aus, als wollte der große Albatros sich auf der Mastspitze niederlassen, aber das Gebrüll der Männer verscheuchte ihn noch rechtzeitig.

      Selbst Hasard sah jetzt besorgt zum Himmel.

      „Sieht verdammt so aus, als würden wir in ein schweres Wetter hineinsegeln. In dieser merkwürdigen Farbe allerdings auch noch nie gesehen.“

      Ben Brighton, der neben ihm auf dem Achterkastell stand, seufzte. Mit halben Ohr lauschte er den Schauermärchen, die Carberry unermüdlich vom Stapel ließ.

      „Dieser Vogel bereitet mir auch Sorgen“, sagte er. „An der Geschichte ist wirklich etwas Wahres dran.“

      Die Dünung war jetzt länger als zuvor. Der Himmel war von einem Gelb, das wie reiner Schwefel aussah. Die Luft schien sich zu dicken Klumpen zu ballen. Schwül und zäh wie ein feuchter Schwamm, legte sie sich den Männern beklemmend auf die Lungen. Ein paar Meilen weiter schien das Meer unvermittelt in den Himmel überzugehen.

      Und dann erschienen übergangslos Kreuzseen. Von zwei Seiten rollte die Dünung auf die „Isabella“ zu, langgezogene Wellen, kleine Schaumkronen auf den Häuptern, stürmten sie heran, klatschten gegen die Bordwände und trafen dann zusammen.

      Das Schiff schüttelte sich. Eine Fallbö stieß von schräg oben nieder, ein Segel killte, hing ganz schlaff und knatterte dann plötzlich los, daß die Männer sich unwillkürlich duckten. Erst dann blähte es sich wieder.

      Und plötzlich befand sich der ranke Rahsegler in einem Zentrum der absoluten Windstille. Kein Laut war mehr zu hören, unnatürliche Ruhe breitete sich aus.

      Bevor Hasard den Befehl geben konnte, die Marssegel zu reffen, füllten sie sich langsam mit Wind, bauschten auf und schoben das Schiff erneut vorwärts.

      In der Kuhl standen die Männer, ohne sich zu rühren. Der einzige, der sich bewegte, war Arwenack, der Schimpanse. Er stieg aus dem Großmars abwärts, beschämt und so verängstigt, als hätte man ihn gerade beim Klauen von Früchten in der Kombüse erwischt.

      Er gab keinen Laut von sich, bleckte nur die Zähne, sah immer wieder nach oben und schlich dann geknickt unter das Vordeck.

      Die Seewölfe sahen ihm bestürzt nach.

      „Der weiß, was uns bevorsteht“, sagte Carberry. „Tiere merken das viel früher als Menschen. Jetzt verkriecht er sich. Nicht mal Dan schaut er an, seinen Liebling.“

      „Kein Wunder“, erboste sich Blakky, „der Idiot hat ja mit seiner verdammten Pfeiferei das alles herbeigepfiffen.“

      Dan O’Flynn ging sofort auf Blakky los und hielt ihm drohend die Faust unter die Nase.

      „Sag bloß, ich bin an dem Wetter schuld, Mann! Oder an der dunkelgelben See! Ich bin auch froh, wenn ...“

      „Klar bist du daran mitschuldig“, unterbrach der Profos. „Du und der Vogel. Im Sargasso-Meer pfeift man nicht, denn jeder weiß, daß man bei leichtem Wind nicht pfeifen soll. Bei Windstille ist das etwas anders, aber genauso gut kann man dann dreimal am Fockmast kratzen. Der Teufel ist ein reizbarer Geselle, der das Pfeifen für eine Störung oder Herausforderung hält, die er sich nicht gefallen läßt. Hast du das jetzt endlich begriffen?“

      Dan wurde immer kleinlauter, zumal die anderen ausnahmslos auf des Profos Seite standen. Sogar Batutis Stirn hatte sich umwölkt.

      „Nicht gut, wenn Dan pfeifen“, sagte er vorwurfsvoll. „Großes Vogel auch nicht gut. Auch nicht gut, wenn gehen Freitag in See. Dann alle sterben.“

      Dan O’Flynn kratzte sich verlegen den Kopf.

      „Ich löse Stenmark im Großmars ab“, sagte er, „vielleicht kann ich das dann wieder einrenken.“

      „Seid ihr alle verrückt geworden?“ dröhnte in ihrem Rücken plötzlich Hasards Stimme auf, der in der Kuhl erschienen war. „Was steht ihr herum und quatscht vom Teufel, he? Habt ihr nichts besseres zu tun? Achtet auf die Segel, damit uns nicht eine Bö umwirft!“

      Seine Stimme war laut, doch die anderen sahen ihm an, daß auch er sich nicht wohl fühlte. Der beste Kapitän war schließlich nicht vom Aberglauben verschont, und so sorgte sich auch Hasard, allerdings nicht in dem Ausmaß wie die anderen.

      Er wollte sie ablenken, beschäftigen, denn wenn sie nur noch herumstanden und unkten, wurde alles nur noch schlimmer.

      Es wurde noch dunkler. Jetzt war der Himmel gelbbraun, und die Luft schien zu knistern. Immer wieder entstanden Kreuzseen, zwischendurch schlief der Wind ein. Kehrte er wieder, dann heulte er mit klagenden Tönen durch die Takelage, pfiff in den Pardunen, jaulte durch die Wanten, blähte blitzartig die Segel.

      Und auf der „Isabella“ fanden sich die Männer zusammen, berieten, flüsterten, erzählten – und hatten Angst. Gegen die Elemente konnten sie sich nicht wehren, da waren sie hilflos allem ausgeliefert.

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