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die mühsam formulierten Worte, wenn er denn mal sprach – führten Matthew zu der Schlussfolgerung, dass der Mann wohl eine gute, wenn auch sehr einfache Seele war.

      Ein junges schwarzes Sklavenmädchen erschien mit einem Zinntablett, auf dem mit Wein gefüllte Kelche standen – es war echtes Kristallglas, und Woodward war beeindruckt. Solche Luxusgegenstände waren in den raubeinigen Kolonien nur selten zu finden. Bidwell drängte seine Gäste, zu trinken – und noch nie war Wein dankbarere Kehlen hinuntergeflossen als die des Richters und seines Gerichtsdieners.

      Ein wohlklingendes Läuten kündigte die Ankunft von weiteren Gästen an. Mrs. Nettles führte zwei Gentlemen ins Zimmer und verschwand dann wieder, um sich ihren Aufgaben in der Küche zu widmen. Die Bekanntschaft von Edward Winston hatten Woodward und Matthew bereits gemacht, doch der andere Mann, der sich hinkend auf einen gedrehten Spazierstock mit Elfenbeinknauf stützte, war ihnen fremd.

      »Unser Schulmeister Alan Johnstone«, stellte Bidwell ihn vor. »Wir schätzen uns sehr glücklich, dass Master Johnstone zu unseren Einwohnern zählt. Sein Oxford-Studium kommt uns allen zugute.«

      »Oxford?« Woodward schüttelte dem Lehrer die Hand. »Ich habe auch in Oxford studiert.«

      »Tatsächlich? An welchem College denn, wenn ich fragen darf?«

      »Christ Church. Und Ihr?«

      »All Souls.«

      »Ach, das waren herrliche Zeiten«, sagte Woodward, sah dabei jedoch Bidwell an, da er die Aufmachung des Schulmeisters etwas seltsam fand. Johnstone hatte sich das Gesicht weiß gepudert und die Augenbrauen dünn gezupft. »Nur zu gut kann ich mich noch an die vielen Abende erinnern, an denen wir den Inhalt der Bierkrüge des Chequers Inn genauestens studiert haben.«

      »Mir gefiel das Golden Cross besser«, sagte Johnstone mit einem leichten Lächeln. »Dort gab es das perfekte Studentenbier, sehr stark und sehr billig.«

      »Wie ich sehe, haben wir einen wahren Gelehrten unter uns.« Woodward lächelte zurück. »All Souls College also? Na, Lord Mallard wird nächstes Jahr wohl wieder betrunken sein.«

      »Sturzbetrunken, das denke ich auch.«

      Während sich die beiden Oxford-Studierten miteinander austauschten, widmete sich Matthew einem kurzen Studium von Alan Johnstone. Der dünne große Lehrer trug einen dunkelgrauen, schwarz gestreiften Anzug, ein weißes Rüschenhemd und einen schwarzen Dreispitz. Dazu eine einfache weiße Perücke, und in der Brusttasche seines Jacketts steckte ein weißes Spitzentaschentuch. Sein Alter war wegen des weißgepuderten Gesichts, auf dessen hervortretenden Wangenknochen Rougeflecken prangten, schwer zu schätzen, aber Matthew nahm an, dass er wohl vierzig bis fünfzig Jahre alt war. Johnstone hatte eine lange, aristokratische Nase, deren Nasenflügel sich leicht blähten, schmale blaue Augen, die zwar nicht unfreundlich, aber doch leicht reserviert dreinschauten, sowie die hohe Stirn eines Intellektuellen. Matthew warf einen kurzen Blick nach unten und sah, dass Johnstone schwarze, polierte Stiefel und weiße Strümpfe anhatte. Das rechte Knie war nur ein unförmiger Klumpen. Als er wieder aufsah, merkte er, dass der Lehrer ihm ins Gesicht starrte. Er spürte, wie er rot wurde.

      »Falls es Euch interessiert, junger Mann«, sagte Johnstone und zog die dünngezupften Augenbrauen in die Höhe, »es ist ein Geburtsdefekt.«

      »Oh … Verzeihung, das tut mir leid. Ich meine … ich wollte nicht …«

      »Na, na.« Johnstone streckte die Hand aus und klopfte Matthew auf die Schulter. »Beobachtungsgabe zeugt von einem wachen Verstand. Es ist wünschenswert, dass Ihr Eure Gabe schärft – aber bitte etwas unauffälliger.«

      »Jawohl, Sir«, sagte Matthew und wäre am liebsten im Boden versunken.

      »Manchmal sind die Augen meines Gerichtsdieners größer als sein Hirn«, warf Woodward als Entschuldigung ein. Auch ihm war das unförmige Knie aufgefallen.

      »Nun, besser zu groß als zu klein«, gab der Schulmeister zurück. »Allerdings ist es derzeit in dieser Siedlung anzuraten, sowohl die Augen als auch das Hirn in normalem Umfang zu belassen.« Er nippte an seinem Wein. Woodward nickte beifällig. »Und da wir gerade bei dem Thema sind, welches ja auch der Grund Eures Besuchs ist – darf ich fragen, ob Ihr sie schon gesehen habt?«

      »Nein, noch nicht«, erwiderte Bidwell schnell. »Ich dachte, dass der Richter zuerst die Einzelheiten hören sollte, bevor er sie zu Gesicht bekommt.«

      »Meint Ihr die Einzelheiten oder die Sonderheiten?«, fragte Johnstone, woraufhin Winston und Paine ein unwohles Lachen von sich gaben. Bidwell lächelte nur knapp. »Mal ganz ehrlich, so unter uns Oxford-Männern«, sagte er zum Richter. »Ich bin froh, dass ich nicht in Euren Schuhen stecke.«

      »Würdet Ihr in meinen Schuhen stecken, Sir«, sagte Woodward, dem es gefiel, mit dem Schulmeister zu scherzen, »wärt Ihr kein Oxford-Mann, sondern ein Kandidat für den Galgen.«

      Johnstone machte große Augen. »Ich verstehe nicht …?«

      »Meine Schuhe befinden sich in Gewahrsam eines Mörders«, erklärte Woodward und begann, die Geschehnisse in Shawcombes Wirtshaus in allen Details zu schildern. Der Richter hatte gemerkt, dass eine derartige Geschichte, die fast als Tragödie geendet hatte, so schnell Zuhörer fand wie eine Motte das Kerzenlicht. Voller Interesse bemerkte Matthew, dass der Richter in dieser Version der Geschichte schon von Anfang an sicher war, dass Shawcombe ein »Schurke, der Böses will« war und dass er sofort beschlossen hatte, vorsichtig zu sein, damit Shawcombe ihn nicht totschlagen konnte.

      Während die Geschichte neue Formen annahm, klingelte es wieder an der Tür. Mrs. Nettles erschien mit einem weiteren Gast. Der Gentleman war ein kleiner, zierlicher Mann, der Matthew an ein Käuzchen erinnerte. Sein Gesicht mit dem bleichen, zusammengezogenen Mund und der gebogenen Nase, den großen blassblauen Augen hinter runden Brillengläsern und den gerundeten Augenbrauen, die hoch auf der gerunzelten Stirn saßen, war ganz das einer Eule. Seine langen braunen Haare, die an den Schläfen mit Grau gesprenkelt waren, hingen ihm auf die Schultern, und sein Kopf war von einem schwarzen Dreispitz gekrönt.

      »Dr. Benjamin Shields, unser Arzt«, verkündete Bidwell. »Ben, wie geht's Euch?«

      »Ein schlimmer Tag, befürchte ich«, entgegnete der Arzt, dessen Stimme so laut, wie die eines wesentlich größeren Mannes war. »Entschuldigt, dass ich so spät komme. Ich war gerade noch bei den Chesters.«

      »Wie steht es um Madam Chester?«, fragte Winston.

      »Schlecht.« Shields nahm seinen Dreispitz ab und reichte ihn Mrs. Nettles, die wie eine dunkle Wand hinter ihm stand. »Es grämt mich, Euch sagen zu müssen, dass sie vor kaum einer Stunde verstorben ist. Diese Sumpfluft verstopft uns die Lungen und verdickt das Blut. Wenn sich nicht bald etwas ändert, Robert, wird unseren Grabschaufeln noch viel Arbeit bevorstehen. Guten Abend!« Mit ausgestreckter Hand ging er auf Woodward zu. »Ihr seid also der Richter, auf den wir schon so lange warten. Gott sei Dank, dass Ihr endlich gekommen seid!«

      »Wenn ich den Stadtrat von Charles Town richtig verstanden habe«, sagte Woodward, nachdem er dem Arzt die Hand geschüttelt und gemerkt hatte, dass diese sich sehr kalt und feucht anfühlte, »bin ich bereits der dritte Richter, der mit diesem Fall beauftragt wurde. Der Erste war im März, noch bevor er die Reise antreten konnte, an der Beulenpest gestorben, und der Zweite … tja, Richter Kingsburys Verbleib war bis gestern Nacht ungeklärt. Dies ist mein Gerichtsdiener Matthew Corbett.«

      »Angenehm, junger Mann.« Der Arzt schüttelte Matthew die Hand. »Sir«, sagte er zu Woodward. »Mir ist egal, ob Ihr der dritte, dreizehnte oder dreiunddreißigste Richter seid, der hiermit zu tun hat! Wir wollen nur, dass die Angelegenheit geklärt wird, und zwar je schneller, desto besser.« Er unterstrich seine Meinung mit einem scharfen Blick über den Rand seiner Brille hinweg. Dann roch er prüfend das Aroma, das sich langsam im Zimmer ausgebreitet hatte. »Aha, ein Braten! Was gibt's denn heute Abend, Robert?«

      »Hühnerbraten in Pfeffersoße«, sagte Bidwell, der nicht mehr so lebhaft klang wie noch vor ein paar Minuten. Der Tod von Dorcas Chester, einer großen alten Dame, deren Mann Timothy Fount Royals Schneider war, machte ihm

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