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setzte sich.

      »Weil ich gerade aus der Wohnung der unbekannten Toten vom Fluss komme, deren Identität jetzt zweifelsfrei bekannt ist …, es ist Carlotta Perucci.«

      Dann erzählte sie ihrer Freundin alles, was sie gesehen und gehört hatte.

      »Linda, wenn du diese Armseligkeit gesehen hättest. Es wäre dir durch Mark und Bein gegangen. Es gab nichts Persönliches in der Wohnung …, wie verloren, wie einsam die arme Carlotta gewesen sein muss. Und in welche Panik sie geraten sein musste, als sie von dem Ausbruch des Mafia-Bosses gelesen hatte.«

      Linda hätte jetzt lieber weiter über Andreas geredet. Sie riss sich zusammen. Gewiss, das Schicksal der Frau war tragisch. Aber sie hätte etwas ändern können.

      »Leonie, du darfst es nicht so nahe an dich herankommen lassen. Du hängst schon viel zu tief in diesem Fall. Sieh einmal, auch wenn in der Zeitung erwähnt ist, dass dieser Mafia-Boss hier bei uns auftauchen könnte«, sie betonte das letzte Wort nachdrücklich, »so bedeutet es nicht zwangsläufig, dass er ihretwegen herkommt, hergekommen ist. Wie auch immer. Aus so einem Grund bringt man sich nicht um. Wenn du meine Meinung wissen willst, die Frau war psychisch krank. Und im Übrigen wenn der Schmuck so wertvoll ist, warum hat sie ihn nicht verscherbelt? Es ist doch ein bisschen irr, sich ihn um den Hals zu legen und mit in den Tod zu nehmen …, während ihrer Lebzeit hätte sie mehr davon gehabt. Was geschieht denn jetzt damit? Die gesamte Familie ist tot …, er wird bei der Polizei unter der Nummer sowieso in der Arsevatenkammer landen. Und niemand mehr wird sich daran erinnern.«

      Linda sprach wie Kommissar Schuster. War ihr eigenes Weltbild verschoben, oder waren Paul Schuster und leider ihre Freundin Linda auch so wenig sensibel?

      Nein, Linda nicht, die bremste für einen Igel, und riskierte dabei, ihr Auto zu zertrümmern.

      Sie hätte nicht herkommen dürfen.

      Linda war voller Euphorie, freute sich über die roten Rosen ihres Lovers, träumte bereits von einem gemeinsamen Leben.

      Und sie kam aus der Trostlosigkeit, hatte vorgeführt bekommen, was aus einem glücklichem, behütetem Leben werden konnte.

      Sie hatte die Angst Carlottas förmlich gespürt, ihre Verstrickung, aus der sie nicht herausfand.

      All die verlorenen Jahre. Dieses verlorene Leben.

      Sie selbst hatte auch Bitteres erfahren müssen. Den Flugzeugabsturz ihrer Eltern, den Tod ihres geliebten Mannes. Aber sie war liebevoll aufgefangen worden von ihrer Tante Klara, ihrem Röschen.

      Carlotta Perucci hatte niemanden gehabt. Sie war allein gewesen mit ihrer Einsamkeit, mit ihrer Angst.

      Sie durfte nicht mehr daran denken. Linda hatte recht. Sie dufte sich da nicht mehr hineinsteigern.

      Sie musste es loslassen. Der Fall war gelöst.

      Leonie stand auf.

      »Linda, tut mir leid. In meiner Stimmung hätte ich nicht zu dir kommen dürfen. Das war mehr als egoistisch. Du bist glücklich, froh, und ich verderbe dir die gute Laune.«

      »Tust du nicht. Eine Freundschaft wie unsere muss alles aushalten. Ich mache mir deinetwegen halt Sorgen. Seit du mit dieser Leiche konfrontiert wurdest, bist du wie besessen. Ich wünsche mir ehrlich, ich hätte an diesem Sonntag Zeit für dich gehabt. Dann wärst du nicht mit dem Kommissar zusammengerempelt. Du hättest, wenn überhaupt, eine kurze Notiz in der Zeitung gelesen, und das wär’s dann auch gewesen …, das Schicksal geht manchmal wirklich mehr als nur seltsame Wege.«

      Leonie umarmte ihre Freundin.

      »Es sollte wohl so sein. Alles musste auf meinen Weg kommen.«

      »Du kannst einen prima Roman daraus machen. Es sind unheimlich viele Spannungsmomente. Und es ist eine fertige Geschichte. Du musst dir nichts mehr ausdenken.«

      »Und genau das werde ich nicht tun. Carlotta hat ihren Frieden verdient. Und ehe du jetzt so argumentierst wie Kommissar Schuster. Ja, ich bin davon überzeugt, dass sie in den Himmel kommen wird. Wenn es jemand verdient hat, dann sie.«

      Linda fühlte sich ertappt. Sie hätte genau diese Bemerkung gemacht. Leonie hatte ihr den Wind aus den Segeln genommen. »Ist ja schon gut. Soll sie in Frieden ruhen.«

      So gern Leonie sonst bei ihrer Freundin war: Jetzt wollte sie nichts wie weg. Und sie war froh, dass Linda nach draußen gerufen wurde, weil ein Vertreter gekommen war.

      Die gaben sich in der Schneiderschen Buchhandlung die Klinke in die Hand, weil hier immer große Aufträge zu holen waren, die eine fette Provision versprachen.

      »Wir telefonieren …, und Linda, sei mir nicht böse, weil ich nicht auf deine Euphorie angesprungen bin.«

      Linda lachte. »Vielleicht ist die ja ein wenig übertrieben. Andreas ist ein Goldschatz, aber so richtig kennen wir uns wirklich nicht. Und du weißt doch, am Anfang einer Beziehung sieht man alles durch die rosarote Brille, und wenn man die erst mal abgezogen hat …«

      »Dann kann es noch schöner werden«, beendete Leonie den Satz. »Zumindest war es bei Robert und mir so.«

      Sie durfte jetzt nicht anfangen zu weinen, nicht jetzt, da sie ohnehin so nah am Wasser gebaut hatte.

      Eine letzte kurze Umarmung, ein letztes Winken, dann lief Leonie aus der Buchhandlung, als sei der Leibhaftige hinter ihr her.

      Was war nur los mit ihr?

      Warum musste sie immerzu an Carlotta denken? Weil ihr dadurch bewusst wurde, welch schönes, privilegiertes Leben sie selbst hatte?

      Sie ging nicht zu ihrem Auto, sondern lief die paar Schritte zur Rathaus-Konditorei.

      Sie würde ihrer Tante ein Stück Stachelbeer-Baiser-Torte mitbringen. Die gab es nirgendwo so gut, und Klara Gräfin von Rosenstein vergaß, während sie sie in sich hineinstopfte, alle guten Manieren.

      *

      In der Nacht hatte Leonie wirre Träume, aus denen sie schweißgebadet aufwachte und danach nur schlecht wieder einschlafen konnte.

      Dementsprechend müde war sie am nächsten Morgen, und dementsprechend war auch ihre Laune.

      Sie mümmelte an einer Scheibe Toast herum, versuchte durch die zweite Tasse Kaffee munterer zu werden, dann griff sie eher lustlos nach der Zeitung.

      Meistens stand doch nichts Interessantes drin. Das Wichtige hatte man längst am Vorabend in den Nachrichten erfahren.

      Tante Klara bestand darauf, das Abonnement bestehen zu lassen, und wenn Röschen etwas wollte, dann sollte man ihr tunlichst den Willen lassen.

      Sie faltete die Zeitung auseinander, und ihr Blick fiel auf die Schlagzeile.

      »Flüchtiger Mafia-Boss nach einer Schießerei in einer Pizzeria erschossen.«

      Welch spektakuläre Überschrift!

      Sofort war Leonie hellwach, verschlang den Artikel.

      Es konnte natürlich ein Zufall sein.

      Doch es sprach eine ganze Menge dafür, dass es der Mann war, der den Tod des gesamten Perucci-Clans zu verantworten hatte und durch den letztlich auch die arme Carlotta in den Tod getrieben worden war.

      Sie hatte es geahnt!

      Doch war er, wenn er es denn tatsächlich war, ihretwegen gekommen, um die breite, lange Blutspur noch zu verlängern?

      Um sich die Genugtuung zu verschaffen, auch noch die letzte Perucci erwischt zu haben?

      Nun, mehr oder weniger hatte er es geschafft. Es gab keine Peruccis mehr.

      Immer wieder musste Leonie den Artikel lesen, und sie würde auf jeden Fall gleich versuchen, den Kommissar zu erreichen.

      Ihre Tante kam ins Frühstückszimmer gestürzt. »Das wollte ich nicht«, jammerte sie.

      »Was wolltest du nicht, Tante Klara?« Leonie konnte die Aufregung ihrer

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