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sie.

      »Onkel Alf will aber nicht mein Papa sein«, sagte Dagmar trotzig.

      »Doch, das würde er gern sein«, widersprach Melanie.

      »Will er nicht sein«, bockte Dagmar. »Hab’ es gehört.«

      »Du hast gelauscht und tust, als könntest du kein Wässerchen trüben!«, entfuhr es Melanie zornig. »War ich nicht immer lieb zu dir? Habe ich dir nicht schöne Kleidchen und Spielzeug gekauft und alles, was du dir gewünscht hast?«

      In ihrer Stimmung wurde ihr gar nicht bewusst, dass gerade solche Reden falsch waren.

      Dagmar schob die Unterlippe vor.

      »Hab’ ich doch gar nicht gesagt«, flüsterte sie weinerlich. »Wenn ich doch fort soll, bist du nicht mehr meine Mama.«

      »Ich will dich doch behalten«, erklärte Melanie nun. »Du musst zu jedem sagen, dass du bei uns bleiben willst. Auch zu Ursula.«

      Dagmar überlegte. »Warum ist sie meine Mama und nicht du?«, fragte sie dann. »Und wo ist mein Papa?«

      Melanie blickte das Kind nachdenklich an. Vielleicht konnte sie mit einer klugen Antwort Dagmars unbegreiflichen Widerstand besiegen.

      »Du hast keinen Vater, darum wollen wir deine Eltern sein.«

      Dagmar sah sie ernsthaft an.

      »Jedes Kind hat einen Papa«, entgegnete sie.

      Melanie war nicht so klug und auch nicht so beherrscht, wie sie gern sein wollte.

      »Aber deiner hat euch im Stich gelassen«, sagte sie erregt. »Er sorgt nicht für euch. Deshalb musst du andere Eltern haben.«

      Dagmar versank in Schweigen. Das konnte ein vierjähriges Kind nun wahrhaftig nicht begreifen.

      »Wir gehen jetzt zum Friseur!«, erklärte Melanie energisch.

      Als wäre das wichtig! Dagmar setzte ihre trotzigste Miene auf.

      »Aber meine Haare lasse ich mir nicht schneiden!«, stieß sie hervor. »Meine Mutti soll erst sagen, ob ich sie schneiden lassen soll.«

      »Dann bleib im Bett«, fuhr Melanie das Kind an. »Ich gehe allein.«

      Das war noch nie passiert. Alles machte sie heute falsch, aber sie war so voller Groll, dass ihr dies nicht bewusst wurde.

      Sollte Dagmar nur sehen, wie es war, allein zu sein. Vielleicht würde ihr dann schnell klar werden, wie gut sie es bei ihnen hatte.

      *

      Dagmar schluckte die Tränen herunter, als die Tür unten ziemlich laut ins Schloss fiel. Sie war unsagbar traurig, dass die Mama so böse geworden war.

      Nein, das war nicht ihre Mama, das war Tante Melanie, die früher manches Mal gesagt hatte, von ihrer Mutter würde sie dieses oder jenes bestimmt nicht bekommen.

      Jetzt konnte sie sich wieder daran erinnern, obgleich es Monate zurücklag, und sie so etwas dann nie mehr gesagt hatte, nachdem Dagmar sie Mama nannte.

      Dagmar dachte sich jetzt alles Mögliche aus. Gestern war ihre Mutti hier gewesen, und sie hatte »Dagmar« gerufen. Aber sie hatte die Mutti nicht erkannt, und dann war sie so schnell fortgelaufen.

      Tante Melanie hatte gesagt, dass der Papa sie im Stich gelassen hätte.

      Vielleicht waren sie zu ihm auch böse gewesen und er war so fortgelaufen. Konnte das nicht sein?

      Die Welt der Vierjährigen war völlig in Unordnung geraten, und nun war sie ganz allein in dem großen Haus und fürchtete sich.

      Sie stand auf und betrachtete im Spiegel ihre langen Haare. Ihr gefielen sie sehr gut so. Man konnte Zöpfchen flechten oder sie zu einem Pferdeschwanz zusammenbinden. Vielleicht würde die Mutti es so viel lieber haben als kurz.

      Dann machte Dagmar den Kleiderschrank auf und betrachtete die vielen hübschen Kleider.

      Doch eigentlich trug sie viel lieber Hosen, weil man sich an denen die Hände abwischen konnte, und man sah nicht alles.

      Unten im Schrank lagen welche, die nicht mehr ganz sauber waren und die sie nur anziehen durfte, wenn sie im Garten spielte.

      Jetzt begann sie sich anzuziehen. Es ging nicht so leicht, denn sonst hatte Tante Melanie ihr immer dabei geholfen. Aber sie war doch schon ein großes Mädchen und konnte sich auch allein ankleiden.

      Draußen schien die Sonne. Sie wollte nicht den ganzen Vormittag im Haus bleiben. Tante Melanie blieb immer schrecklich lange beim Friseur, und der Weg dorthin war auch ziemlich weit.

      Manchmal ließ ja Onkel Alf sein Auto da, wenn seine Frau etwas vorhatte, aber heute war er damit weggefahren. Auch das hatte Dagmar gehört.

      Die Schuhe zuzubinden fiel ihr nicht leicht. Sie machte einfach einen Knoten. Dann ging sie hinunter und öffnete die Haustür.

      Es war gar nicht kalt. Einen Mantel brauchte sie nicht anzuziehen, und lange wollte sie ja auch nicht draußen bleiben.

      Sie ließ die Tür einen Spalt offen und dachte sich nichts dabei.

      Zuerst blieb sie eine Weile im Garten. Dann lugte sie auf die Straße, ob sie vielleicht einen Spielkameraden entdeckte. Aber kein Kind war zu sehen.

      Sie wollte sich ihre Puppe holen, aber da fand sie die Tür verschlossen.

      Der Wind musste sie zugeschlagen haben, doch auf den Gedanken kam Dagmar nicht.

      Die Tür war zu, und sie konnte nicht mehr ins Haus. Tante Melanie, die schon so zornig auf sie war, würde nun bestimmt noch viel zorniger werden.

      Vielleicht geschah das nicht, wenn sie zum Friseur ging und lieber gleich beichtete. Wenn du etwas anstellst und mir gleich die Wahrheit sagst, bekommst du keine Strafe, hatte Tante Melanie immer gesagt.

      Also beschloss Dagmar, zum Friseur zu gehen. Sie kannte den Weg ganz gut und setzte sich in Bewegung.

      Die ersten beiden Straßen kannte sie genau. Da lagen auch die Geschäfte, in denen sie immer einkauften. Doch an der nächsten Kreuzung ging sie in der falschen Richtung, ohne dass es ihr auffiel.

      Sie marschierte weiter, die Hände in den Hosentaschen vergraben, ein hübsches kleines Mädchen in nicht ganz sauberen Hosen und einem verwaschenen Pullover, der reichlich dünn war.

      Sie begann zu frieren und lief schneller. Aber nirgendwo war der Friseur zu sehen, zu dem Tante Melanie immer ging, und plötzlich waren gar keine Häuser mehr da, sondern eine Landstraße.

      Dagmar war schrecklich hungrig, denn sie hatte heute noch nichts gegessen, und sie war schon sehr weit gelaufen. Sie kannte die Zeit nicht und wusste nicht, dass sie schon fast eine Stunde unterwegs war.

      Sie erblickte drüben auf einer Wiese Ponys und war abgelenkt. Die musste sie sich doch einmal ganz nahe ansehen. Blindlings lief sie über die Straße, ohne auf den Wagen zu achten, der schnell näherkam. Er bremste. Aber er hatte sie doch noch gestreift, und Dagmar fiel hin.

      Sie fühlte einen heftigen Schmerz, und dann wurde es ganz schwarz um sie.

      Totenbleich taumelte ein Mann aus dem Wagen. Es war Gottfried Großmann, der Besitzer des Fohlenhofs. Seine junge Frau Fränzi saß schreckerstarrt auf ihrem Sitz.

      »Ein Kind, mein Gott, ein Kind!«, stöhnte sie.

      Gottfried Großmann hatte Dagmar aufgehoben. Sie schien nicht schwer verletzt, war aber bewusstlos.

      »Wir müssen sie gleich in die Klinik bringen«, murmelte er voller Angst. »Ich konnte doch nichts dafür, Fränzi. Sie ist geradewegs in den Wagen gelaufen.«

      »Wenn sie nur lebt!«, flüsterte Fränzi Großmann. »Es ist schrecklich, Friedel.«

      Sie setzte sich auf den Rücksitz und nahm das Kind in den Arm.

      »Wie kann man aber auch ein so kleines Ding allein auf die Straße gehen lassen«, sagte sie. »Nach Erlenried

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