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      Prolog

       Die Rückkehr

      Das Schellen der Türglocke gellte penetrant durch die Eingangshalle. Sein Echo drang durch mit abgedeckten Möbelstücken vollgestellte Räume, hallte von Säulen aus Marmor und Alabaster wider und prallte gegen altertümliche Familienerbstücke und antike Vasen. Dennoch störte es keineswegs den Schlaf der Ahnen, welche, auf ewig festgehalten in Porträts, die dunklen, mit Papiertapeten verkleideten Wände zierten. Irgendwann verlor sich dieses unschöne Geräusch in dem gefliesten Durchgang zwischen Küche und Bediensteten-Trakt; nicht mehr wirklich ein Echo, nur mehr eine Erinnerung daran. Frieden kehrte in das Londoner Stadthaus zurück und das einzige Geräusch in diesem ansonsten totenstillen Haus war das regelmäßige mechanische Ticken der Standuhr in einer Nische im Treppenhaus. Sie war unverhangen, die Devise Tempus Fugit deutlich sichtbar in die glatte Oberfläche graviert. Das vornehme Ticken zeigte die Zeit in einem Haus an, in dem Zeit schon lange keine Bedeutung mehr hatte.

      Ein Knarzen gesellte sich zu dem stetigen Ticken der Uhr; das Knarzen von Ledersohlen auf glänzend weißen Bodenfliesen. Der Hüter des Hauses lief entschlossen und dennoch gemächlich auf die Vordertür zu. Er durchschritt den Korridor, den Rücken gerade, mit erhobenem Kopf, die adlerhaften Züge seines Gesichts teilnahmslos und ernst, die stechend saphirblauen Augen starr geradeaus gerichtet.

      Die Porträts folgten ihm ungerührt mit ihren apathischen Leinwandaugen, als er an ihnen vorüberschritt. Elektrisches Licht tauchte alles in eine gelbe Lumineszenz.

      Er passierte einen gewaltigen goldgerahmten Spiegel, der die gesamte Wand einnahm, ohne sein Spiegelbild auch nur eines Blickes zu würdigen, geschweige denn den gestärkten Kragen seines Hemdes und den Knoten seiner Krawatte zu überprüfen oder ob sein graues Haar ordentlich gescheitelt war.

      Die Türglocke schellte noch einmal, just als er seine Hand auf den Türknauf legte und die Haustür öffnete. Ein kurz geratener, stämmiger Mann trat draußen ungeduldig von einem Fuß auf den anderen und zuckte sogleich zurück, aufgeschreckt vom plötzlichen Erscheinen des Hausdieners.

      Der Mann sah an dem Butler empor und direkt in die kalten Augen, die ihn unter dichten Brauen drohend anblickten. Unangenehm berührt entzog er sich dem Augenkontakt, indem er die einschüchternde Erscheinung des Hausdieners von Kopf bis Fuß betrachtete.

      Der Butler war ein Mann ohne wirkliches Alter, obgleich er wohl keinesfalls jünger als fünfundvierzig sein konnte, ebenso gut aber auch bereits die sechzig erreicht haben mochte. Seine distanzierte Ausdrucksweise verriet Geringschätzung, die kantigen Gesichtszüge verliehen ihm etwas Aristokratisches; allerdings war seine Nase mit Sicherheit bereits an mehr als einer Stelle gebrochen gewesen. Sie ließ ihn wie einen in die Jahre gekommenen Preisboxer mit dem Benehmen eines überaus loyalen Gefolgsmanns erscheinen.

      »Ah, Nimrod.«

      »Mr. Screwtape, Sir«, entgegnete der Hausdiener. Sein Akzent klang ebenso geschliffen und kultiviert, wie sein Kragen frisch gestärkt und makellos war. »Sie werden schon erwartet. Bitte treten Sie ein.«

      Rein gar nichts in Nimrods Tonfall und seiner teilnahmslosen Ausdrucksweise deutete an, dass der Anwalt willkommen war. Tatsächlich fühlte sich Screwtape in der Rolle als Besucher eher wie ein unerwünschter Eindringling.

      »Mr. Quicksilver erwartet Sie in seinem Studierzimmer.«

      Der Butler machte einen Schritt zur Seite und schloss die Tür vor der Kälte und der Nacht. Screwtape nahm seine Melone mit einer Hand ab – einen Aktenkoffer hielt er fest in der anderen – und enthüllte dabei seinen schwachen Versuch, mittels einiger dünner, offensichtlich schwarz gefärbter Strähnen eine beginnende Glatze zu verdecken. Kleine Schweinsäuglein inmitten wabbeliger Gesichtszüge spähten hinter den dicken Gläsern seines Kneifers hervor, der sich beinahe in seinen kurzen, buschigen Schnauzbart schmiegte.

      »Darf ich Ihnen den Mantel abnehmen, Sir?«

      »N-nein, das ist nicht nötig. Ich werde ihn selbst nehmen.« Nimrod machte ihn immer äußerst nervös.

      »Sehr wohl, Sir.«

      Nimrods Tonfall klang geradezu mühselig. »Wenn Sie nun die Güte hätten, mir zu folgen.«

      Der Butler führte den Anwalt durch einige Räume, in denen diverse mit staubigen Tüchern bedeckte Möbelstücke standen und finster dreinblickende Porträts von Urahnen hingen, durch eine modrig riechende ehemalige Bibliothek und geradewegs zu der einzigen mit Eichenholz vertäfelten Tür. Dort hielt er inne und klopfte behutsam.

      »Kommen Sie herein«, erklang eine aristokratisch anmutende Stimme dahinter. Der Butler öffnete die Tür und bedeutete dem Besucher vorzutreten.

      Screwtape fand sich in einem großräumigen Studierzimmer wieder. Die Wände waren mit Bücherregalen gesäumt, und dazwischen, wo man einen kleinen Blick auf die Paisley-Tapete erhaschen konnte, hingen Aquatinta-Radierungen; Tuschätzungen in Nussbaumrahmen sowie getönte Fotografien, eingefasst in Lichtspektren, auf denen exotische Orte aus allen Teilen des Globus zu sehen waren. Ebenso standen dort allerlei kuriose Artefakte; zweifellos Ansammlungen aus ebenjenen Reisezielen auf den Bildern. Dazwischen konnte Screwtape den Speer eines Massai-Kriegers und einen Schild aus Antilopenhaut erkennen, ebenso eine birmanische Dämonenmaske und – am verstörendsten von all den Seltsamkeiten – einen dunklen, fleckigen Menschenschädel, verziert mit seltsamen Feuersteinkieseln und dem Gefieder eines Paradiesvogels. Der Anwalt konnte sich nicht vorstellen, woher dieses überaus spezielle Objekt gekommen sein mochte, wollte er aber auch nicht wirklich.

      Einiges an Mobiliar war auch in dem Zimmer untergebracht worden. Ein beachtlicher Mahagonischreibtisch stand direkt vor ihm, dahinter ein mächtiger Ledersessel. Er zählte noch einen weiteren solchen Stuhl und eine Chaiselongue. In einer Ecke hatte sich jemand in der Gartenbaukunst geübt und eine Schusterpalme in einen tönernen Topf gesetzt, der nun auf einem umgedrehten Pflanzensockel aus Ebenholz thronte. Der gesamte Raum war in Mahagoni und weinrotem Samt gehalten. Hinter dem Schreibtisch verdeckten schwere Vorhänge die großen Fenster und über einem schwarzen eisernen Kaminsims hing das imposante Porträt eines grauhaarigen und schnauzbärtigen Mannes. In seinem Tweed Jackett, der senffarbenen Weste und den Jagdhosen sah er exakt wie ein englischer Landadeliger aus, der gerade eine nachmittägliche Quengelei genoss. Zudem trug er eine Büchse in der rechten Hand; nur dass die Szene hinter ihm die afrikanische Savanne zeigte und sein Fuß auf dem Kadaver eines wilden Löwen ruhte.

      Screwtape blickte von dem Heldenporträt auf den darunter stehenden jungen Mann. Die Ähnlichkeit in der Familie war bemerkenswert.

      Papierschnipsel aus der Times bedeckten die abgenutzte grüne Lederoberfläche des Schreibtisches. Einige der Artikel waren wohl von besonderem Interesse für den jungen Mann, denn er las sie wieder und wieder, während er den Inhalt eines Kristallglases in seiner rechten Hand umherwirbelte. Als der Anwalt durch die Gläser seines Kneifers auf die Schnipsel spähte, erkannte er in den größeren Abschnitten der Schlagzeilen, dass es sich stets um dieselbe Bewandtnis handelte. Eine Überschrift schrie: Millionär und Lebemann im Himalaja vermisst, eine andere: Abenteuer mit Heißluftballon endet in Tragödie. Der jüngste Report trug die Aufschrift Quicksilver vermisst, vermutlich tot. Das Datum dieses Reports lautete auf den 3. April 1996.

      Die mit Bronze verzierte Uhr auf dem Kaminsims schlug zehn. Sekunden später wurde deren Echo von einer schweren Standuhr andernorts im Haus zurückgeworfen. Es lag etwas Verstohlenes in diesem Treffen und im Zusammenspiel mit Nimrods nachhaltiger Präsenz fühlte sich Screwtape unbehaglich. Warum sich zu solch später Stunde treffen, um eine Abmachung zu besiegeln, wenn doch nichts Schändliches bei dieser Unternehmung im Spiel war? Die nachtschlafende Zeit war den kriminellen Bruderschaften vorbehalten, die dann ihren gesetzeswidrigen Geschäften frönten.

      Normalerweise hätten solche Dinge den Anwalt gar nicht beunruhigt. Jeden Tag musste er sich mit dem Gesetz auseinandersetzen, und das Gesetz mit ihm. Ein Auge zudrücken, sich mit konfusen und verwirrenden Klauseln Sittenwidrigkeiten entgegenstellen und geheime Paragrafen verschleiern. Die Firma von Mephisto, Fanshaw & Screwtape war bereits seit fünf

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