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spähte durch die schwarzbraunen Stämme. Nach links. Nach rechts. Stapfte weiter. Schmunzelte über sich selbst, weil er merkte, dass er sich über Begegnung freuen würde. Keine Seele seit Stunden, der man zumindest ein „Guten Morgen“ hätte zurufen können. Wo waren die Pfälzer denn alle?

      Da sah er Spuren, die links vom Pfad Löcher in den Schnee gestanzt hatten. Er blieb stehen und betrachtete sie. Pferdespuren? Ein Hirsch? Er sah in die Richtung, in die sie führten. Sie verliefen sich im Unterholz. Ob dort eine Ansiedlung lag? Er drehte den Kopf und sah auf den Pfad, den er weitergehen würde. So oder so nur Wald weit und breit. Ob er es hier versuchen sollte?

      Und dann, eindeutig: Rauchgeruch. Ganz sicher. Ein warmes Herdfeuer. Die steifen Glieder aufwärmen. Ein Becher heißer Würzwein vielleicht. Seine Füße liefen von selbst, wadentief sank er im Schnee ein.

      Nach einigen Minuten blieb er erneut stehen. Ein Kind schrie. Ein sehr kleines Kind, ein Säugling noch.

      Also lebte dort wirklich wer.

      Munter stapfte er voran.

      O’r argol, das Kind schrie sich ja die Seele aus dem Leib! Es wollte sich gar nicht beruhigen. Jetzt zeterte auch noch ein Weib. Und dazu eine Männerstimme, die zornig Befehle spie. Herrje, in einen Zwist mochte er nicht hineingeraten. Das war selten ratsam. Besser man mischte sich nicht in die Belange anderer Leute ein.

      Da verstummte das Schreien.

      Kurz darauf erspähte er eine Hütte. Aufgetaucht aus dem Nichts. Sie war schwer auszumachen. Eingezwängt zwischen Stämmen und Büschen, windschief und winzig. Ryss blieb stehen. Er äugte hinüber. Männerstimmen drangen heraus. Und das Kind hob wieder zu greinen an. Er verharrte. Das Reisen hatte ihn vorsichtig gemacht. Man war besser auf der Hut. Umkehren? Aber eine warme Suppe … Die Tür schepperte mit dumpfem Knirschen auf, zwei Männer kamen heraus.

      Ryss handelte unwillkürlich. In der Sekunde, da er begriff, dass sie einen Toten zwischen sich schleppten, machte er einen Satz hinter den nächsten Baumstamm. Er erfasste noch die Gleichzeitigkeit, mit der alles geschah, bevor er sich für seine Ungeschicktheit verfluchte: Seine Bewegung war zu rasch gewesen, es knackte und knarzte, als er umknickte, das Gleichgewicht verlor, stürzte und heiser aufschrie, weil ihm die Kanten seines Kastens in die Rippen stachen. Schnee rieselte auf ihn herab, die Männer ruckten die Köpfe in seine Richtung. Sie ließen den Toten fallen wie einen Mehlsack und stürmten mit grimmiger Entschlossenheit auf ihn zu.

      „Dass dich der Teufel schände, was ist da drin?“

      Der mit der roten Nase und der dünnen Stimme kniete neben seinem Rucksack und hielt ihm das bauchige Fläschchen aus grünem Waldglas hin. Der zweite Mann, der gepflegter aussah, stand daneben und ließ ihn nicht aus den Augen.

      Ryss lag am Boden, eine Körperlänge von der offenen Feuerstelle entfernt. Er bewegte die Arme, die man ihm auf dem Rücken gebunden hatte, und verzog missfällig das Gesicht. „Getrocknete Mausköpfe“, antwortete er gleichmütig und hoffte, dass man nicht hörte, dass ihm das Herz im Halse schlug. Er verwünschte seine Tölpelhaftigheit. Ließ sich von diesen beiden Kalbsköpfen gefangen nehmen. Mit Genugtuung sah er zu, wie Rotnase das Glas von sich weg hielt und ungläubig darauf starrte, wobei er die schräg stehenden Augen zusammenkniff, dass die Haut der Unterlider schmale Wulste warf. Er sah grobschlächtig aus. Rote strähnige Borsten wie ein Ire, die dazu passende rote Knollennase, fleischige Lippen. Ein roter Kinnbart von gut zwei Zoll Länge und zerfranst wie bei einem Ziegenbock, zu dem das hellbraune Lederwams passte, das er über einem Lederhemd trug. Ein Haudrauf, wenn man ihn fragte.

      „Was verschlägt dich in diese abgeschiedene Ecke?“, fragte der, der stand. Sein Mantel war aus gutem Wollstoff, wie er ihn bei den Wallonen gesehen hatte. Er hielt Stulpenhandschuhe in der Hand und schlug damit immer wieder auf die Innenfläche der anderen Hand. Er hatte sehr kurz geschorenes braunes Haar, einen dünnen Oberlippenbart, schmale Lippen, einen senkrechten Bartstrich zum Kinn, der in einen dürftigen braunen Kinnbart mündete. Verwirrend war, dass er in den Augen des Mannes eine Art melancholischer Trauer las, die ihn eigentümlich an die eigene erinnerte.

      „Ich habe mich verirrt.“ Ryss’ Herz klopfte. Neben der Hüttentür, keine drei Schritte entfernt, lag die Leiche eines Mannes wie ein hingeworfener Sack. Schweinepisse und Teufelsdreck – der war keines natürlichen Todes gestorben! Das Blut an seiner Seite sprach eine deutliche Sprache. Und was hatte es mit dem Weib auf sich? Auf einer dünnen Strohschütte hinter ihm kauerte ein verängstigtes Mädchen, das einen Säugling in den Armen hielt. Sie gab keinen Mucks von sich. Gehörte sie einem der beiden Misthaufen?

      Der Stehende kickte ihm die Stiefelspitze in die Seite. Ryss zuckte von ihm weg.

      „Wer bist du? Und was ist das für eine Färbung in deiner Aussprache?“

      „Nur ein umherziehender Krämer, Herr.“

      Die beiden wechselten einen Blick.

      Er deutete mit dem Kinn zum Glas, das Rotnase neben sich am Boden abgestellt hatte, und sagte leichthin: „Ich biete vielerlei Hilfliches an. Die Mausköpfe, sie erleichtern das Zahnen einem Kind. Nichts für Euch, nehme ich an.“

      „Mach dich nicht lustig, Milchgesicht! Außerdem heißt es hilfreich.“ Rotnases Stimme schepperte dünn. Sie passte nicht zu diesem verschlagenen Rohling.

      „Ich meinte nur, Herr, Ihr selbst braucht ihn nicht, so Ihr jedoch habt ein zahnendes Kind, ich empfehle Euch, ihn um den Hals zu binden dem Kind. Mein Ehrenwort, jede Maus sprang noch putzfidel umher, ehe ich ihr den Kopf abbiss.“

      „Erzähl keinen Scheiß!“

      „Das tue ich nicht, Herr. Ich handelte ehrlos, würde ich die Köpfe abkaufen dem erstbesten Bettler, von dem ich annehmen muss, dass er zuerst tötete die Maus, bevor er den Kopf abschnitt. Das wäre unwirksam und daher unlauter und daher ich verrichte die Schmutzarbeit selbst und beiße den lebenden Mäusen die Kö…“

      „Quatsch mich nicht zu.“

      Aber er horchte auf! Ryss äugte zu dem Stehenden, nickte dann zu dem Toten hin, bemühte sich um einen unterwürfigen Ton, gab sich dienstbar und bemerkte bedauernd: „Wäre ich früher zu Euch gefunden, hätte ich sicher helfen können Eurem armen Verwandten. Ich habe Mittel gegen mancherlei Gebrechen.“ Nahmen sie ihm ab, was er damit andeutete? Dass er einen gewaltsamen Tod nicht in Betracht zog? Wohl kaum. Es war ihm ein Gräuel, Rotnase zuzusehen, der Tiegel und Säckchen aus seinem Rucksack klaubte, den Kasten hervorholte und ihn öffnete. Er enthielt Fächer, damit zerbrechliche Dinge nicht kaputtgingen. Beide Männer starrten argwöhnisch auf das Gewirr aus Ton- und Glasgefäßen.

      „Was ist das?“, fragte Rotnase und hob ein Gläschen hoch.

      „Gummi Arabicum.“

      Er schaute fragend, also erklärte Ryss: „Ich mische es mit anderem zu einem Gemenge, um gefeit zu sein gegen Gifte.“

      Rotnase feixte – und ließ das Gläschen fallen. Es zerbarst nicht, sondern rollte weg.

      Ryss schluckte.

      Das nächste Gläschen.

      „Pulverisierte Mäuse“, sagte Ryss so gleichgültig wie möglich. In Wahrheit mischte er Staub und Sand und gab vor, es seien pulverisierte Mäuse. „Gegen Fallsucht“, ergänzte er rasch, noch ehe Rotnase fragen konnte.

      Diesmal warf der Haudrauf es mit Schwung ins Feuer, wo es mit einem hässlichen Knacken zerbarst.

      „Also?“, fragte der, der stand.

      „Bitte!“, sagte Ryss und grollte sich selbst für den flehentlichen Ton. Aber sie zerstörten sein Einkommen! Was er in Apotheken oder von Kräuterweibern erwarb, kostete Geld!

      „Du bist also zufällig hier?“

      Rotnase zurrte ein rotfleckiges Säckchen auf, äugte hinein und warf es dann grinsend ins Feuer. Das waren die getrockneten Wolfsbeeren. Ryss stöhnte auf. „Ja. Ich bin unterwegs nach Süden.“

      „Im Winter?“

      „Ein

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