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Tief neigt er sich über das wächserne Gesicht des Sohnes.

      Maßlose Angst umklammert sein Herz. Ist das Gesicht nicht bereits vom Tod gezeichnet? Er will sich erheben und zur Klingel greifen, aber er ist wie gelähmt.

      Die umschatteten Lider heben sich. Lothars helle Augen blicken verständnislos zur Decke empor. Sein Mund verzieht sich schmerzhaft. Ganz wenig versucht er den Kopf zu drehen und sinkt mit geschlossenen Augen wieder zurück.

      Rudolf Hermann hält den Atem an. Er hört das Stöhnen, langanhaltend und qualvoll.

      Lothar versucht ein zweites Mal die Augen zu öffnen und den Kopf zu bewegen. Groß sind die hellen Augen auf das gespannte Gesicht des Vaters gerichtet. Die beiden Augenpaare halten einander fest.

      »Vater«, flüstert der Kranke erschüttert, »lieber Vater!«

      »Sei still, mein Junge«, ganz tief neigt Hermann sich zu dem Kranken hinab. »Hast du große Schmerzen? Soll ich nach dem Arzt klingeln?«

      Leichtes Kopfschütteln. Voll Glück spürt Herrmann, wie sich Lothars Finger fest um seine schlingen. Stumm, die Augen wieder geschlossen, liegt Lothar auf seinem Bett.

      Die Zeit verrinnt. Regungslos verharrt Hermann und bewacht den leichten Schlummer seines Sohnes.

      Herrgott, erhalte ihn mir – fleht Hermann innerlich – vielleicht wird alles noch gut.

      Er fährt schreckhaft zusammen, als der Arzt neben ihm steht, gefolgt von der Schwester.

      Hermann erhebt sich, taumelt und zieht sich in den Hintergrund des Zimmers zurück. Er hört den Arzt leise mit dem Verletzten sprechen und wie er der Schwester einige Anweisungen gibt.

      »Herr Doktor!« Rudolf Hermann hascht nach dem Arm des Arztes, als dieser an ihm vorbeigeht, um das Zimmer zu verlassen. Doktor Rauher macht eine Kopfbewegung, und Hermann folgt ihm. Draußen stehen sie sich gegenüber. »Wird er es überstehen?«

      Es ist immer dieselbe Frage, die man ihm, dem Arzt, stellt, und er kann zunächst nie etwas Genaues sagen. »Ich will es hoffen«, weicht er aus. Und als er die Verzweiflung in den hellen Augen des Mannes sieht, erklärt er: »Die Knochenbrüche werden heilen. Natürlich kann man Komplikationen nie voraussehen. Aber ich muß Ihren Sohn noch einmal röntgen wegen innerer Verletzungen.«

      »Und wann – wann werden Sie Gewißheit haben?«

      »In einer Stunde«, erwidert der Arzt. »Sie dürfen warten, wenn Sie wollen.«

      Er geht den Weg wieder zurück und setzt sich auf die Bank, auf der er in der Nacht Stefanie angetroffen hat. Er sieht, wie man seinen Sohn aus dem Zimmer und zum Fahrstuhl rollt. Kein Laut kommt von der fahrbaren Trage. Man hat ihm wohl eine schmerzstillende Spritze verabreicht.

      Hermann fröstelt. Ihm ist, als würde er alle Schmerzen erleiden, durch die sich sein Sohn hindurchkämpfen muß.

      Er hat sich vornübergebeugt. Die Hände läßt er zwischen den Knien baumeln. Er hat plötzlich Zeit, so viel Zeit. Was augenblicklich zu tun ist, wird von Emil Weber bestens erledigt. Das weiß er.

      Sein ganzes Denken gilt seinem Sohn und dem heißen Wunsch nach Gewißheit, damit die furchtbare Angst von ihm genommen wird.

      Er fährt empor, als Doktor Rauher vor ihm steht. Im Nu springt er auf die Beine.

      »Nun?«

      Nie wird Hermann das Lächeln des Arztes vergessen, der ihm gleich sympathisch war. Es ist beruhigend und begütigend zugleich.

      »Keine inneren Verletzungen«, sagt er hoffnungsvoll und greift schnell zu, denn die kraftvolle Gestalt Hermanns gerät ins Taumeln.

      »Hoppla, hoppla«, lacht Doktor Rauher leise auf. »Sie wollen doch nicht schlappmachen?« Schon lange hat er bemerkt, wie elend der Mann aussieht.

      Hermann hat sich schnell gefangen. »Also dürfen wir hoffen?« stammelt er, und Doktor Rauher nickt. »Gehen Sie zu ihm. Er ist bei Bewußtsein.«

      Und wieder sitzt Rudolf Hermann neben Lothar, und wieder finden sich ihrer beiden Hände. Schweigen ­herrscht zwischen ihnen. Wie eine Insel des Friedens, zumal der Kranke augenblicklich schmerzfrei ist unter der Wirkung der Spritze, so erscheint Hermann dieses Zimmer.

      Und dann wird dieses beglückende Schweigen zwischen Vater und Sohn jäh unterbrochen.

      Es beginnt mit dem harten Aufsetzen hoher Hacken auf den Fliesen draußen vor der Tür, die geräuschvoll aufgerissen wird, und Stefanie Hermann stürzt ins Zimmer.

      Rudolf Hermann zuckt zusammen. Solange er sich zurückerinnert, ist Stefanie immer geräuschvoll aufgetreten.

      »Lothar, mein Junge«, weint sie auf. »Wie konnte das nur geschehen? Mein Gott, was habe ich diese Nacht durchgemacht. Bald gestorben bin ich vor Schreck und Aufregungen. Hast du Schmerzen? Warum verziehst du den Mund so?« Und sie neigt sich über das noch blasser gewordene Gesicht des Kranken und beginnt es mit Küssen zu bedecken.

      »Du sagst doch gar nichts, Liebling?« jammert Stefanie Hermann. »Bist du hier auch gut aufgehoben? Gefällt dir das Zimmer? Oder soll ich mit dem Arzt sprechen, daß man dir einen anderen Raum einräumt?«

      »Mama, bitte«, fleht Lothar, und seine Augen suchen den Blick seines Vaters.

      »Du hast mir meine Fragen gar nicht beantwortet, Lothar«, drängte Stefanie Hermann abermals. »Gefällt es dir hier nicht?«

      Hermann macht diesem einseitig geführten Gespräch ein Ende.

      »Siehst du nicht, wie sehr Lothar leidet?« raunt er ihr erbittert zu, und seine Hand zwingt sie zum Stillsitzen.

      Entsetzt hängen die schönen, aber kühlen blauen Augen der Frau an dem harten Gesicht des Gatten.

      »Ich meine es doch nur gut mit ihm«, beginnt sie abermals zu schluchzen. »Das ist doch kein Zimmer für meinen Sohn. Ich werde sofort veranlassen, daß er umgebettet wird.«

      »Du wirst dich ganz still verhalten, hörst du? Lothar leidet große Schmerzen. Wenn es der Arzt gestattet und wenn es Lothars Wunsch ist, dann meinetwegen. Jetzt laß den Jungen in Ruhe.«

      »Mama, bitte, geh«, kommt es schwach aus den Kissen.

      Stefanie Hermann läßt die Tränen abermals fließen.

      »Hörst du das?« stößt sie beleidigt hervor. »Wir sollen gehen.«

      »Nein, Vater soll bei mir bleiben«, bittet der Kranke und dreht das Gesicht ein wenig der Wand zu.

      »Lothar!« Das ist ein einziger empörter Aufschrei.

      »Gnädige Frau, darf ich Sie hinausbegleiten?« Verstört sieht die Frau empor. Keiner hat den Arzt kommen hören, aber er war Zeuge der für ihn sehr inhaltsreichen Unterhaltung.

      Willenlos gehorcht sie. An der Tür wirft sie noch einen Blick nach dem Bett zurück. Aber Lothar hält die Augen geschlossen. Sie schluchzt noch einmal auf und läßt sich dann davonführen.

      Stefanies Tränen sind schnell versiegt; eine unbändige Wut beherrscht sie. Man hat sie regelrecht hinausgeschmissen. Vom Krankenbett des Sohnes verjagt. Das wird sie Rudolf heimzahlen.

      »Nach Hause«, herrscht sie vor dem Portal den Chauffeur an und klettert in den Wagen, der eigens zu ihrer Verfügung steht, samt Fahrer. In steifer Haltung sitzt sie allein im Fond. Ihre Gedanken überschlagen sich hinter der Stirn.

      Tausend Qualen durchlebt Rudolf Hermann. Aber in ihm ist eine winzige Hoffnung. Vielleicht wird Lothar leben.

      Er ist selbst am Ende seiner Kraft. Die Aufregungen, die durcharbeitete Nacht, dann der Schock über das Unglück seines Sohnes, die durchgrübelte Nacht am Krankenbett und nun die langen einsamen Stunden als treuer Wächter haben ihm arg zugesetzt.

      »Ich glaube, Sie müssen nun einmal an sich denken.« Doktor Rauher neigt sich flüsternd Hermann zu. »Die Nachtschwester übernimmt Ihr Amt. Sie haben Schlaf ebenfalls nötig.«

      Mühsam

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