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Verstandes besaß.

      Der Hund folgte dem Vogte und wir folgten dem Hunde.

      Als wir an dem Zaune ankamen, der den Entenfang umgab, setzte sich der Hund, um zu warten, bis er gebraucht wurde. Der Vogt und die Kinder kauerten hinter dem Zaun, und guckten durch das äußerste Hundeloch, durch das man einen völligen Überblick über den See hatte. Es war ein windstiller Tag; nicht eine Welle trübte die Spiegelfläche des Sees; sanfte, graue Wolken überzogen den Himmel und verbargen die Sonne den Blicken. Wir guckten durch das Loch im Zaun. Da waren die wilden Enten – im Bereich des Entenfanges versammelt – auf dem friedlichen Spiegel des Wassers, friedlich ihre Federn ordnend. Der Vogt machte dem Hunde ein Zeichen. Der Hund sah den Vogt an; und, langsam vorwärts schreitend, ging er durch das Loch, so dass er sich auf dem schmalen Landstreifen zeigte, der sich von der äußeren Seite des Zaunes in den See senkte.

      Zuerst entdeckte eine Ente, dann eine andere, endlich ein halbes Dutzend zusammen, den Hund.

      Der neue Gegenstand, der auf der einsamen Szenerie erschien, wurde sofort auch der alles verschlingende Gegenstand der Neugierde der Enten. Die Äußersten derselben begannen langsam dem seltsamen, vierfüßigen Geschöpf entgegen zu schwimmen, das regungslos am Ufer saß. Zu zweien und dreien rückte das ganze Gros der Wasservögel allmälig der Avantgarde nach. Näher und näher an den Hund heranschwimmend, machten die schlauen Enten plötzlich Halt und auf dem Wasser sitzend, betrachteten sie aus einiger Entfernung das Phänomen auf dem Lande.

      Der Vogt, der hinter dem Zaune kniete, flüsterte »Trim!« Als er seinen Namen hörte, wendete sich der Dachshund um, und sich durch das Loch zurückziehend, war er den Blicken der Enten entschwunden. Die Vögel saßen regungslos auf dem Wasser und wunderten sich und warteten. Einen Augenblick später war der Hund herum gegangen und zeigte sich in dem nächsten Loch des Zaunes, das mehr nach innen belegen war, wo der See den äußersten Windungen der Bucht folgte.

      Das zweite Erscheinen des Hundes erregte neue Neugier unter den Enten. Mit einem Ruck schwammen sie wieder vorwärts, um den Hund wiederholt und näher in Augenschein zu nehmen; dann, um ihre gesicherte Stellung nicht zu verlieren, hielten sie wieder an, und zwar unter dem äußersten Bogen des Entenfanges. Wiederum verschwand der Hund und die erstaunten Enten warteten. Es entstand eine Pause – und Trim erschien zum dritten Male, im dritten Loche des Zaunes, welches weiter landeinwärts, an der Bucht lag. Zum dritten Male lockte unwiderstehliche Neugier die Enten weiter und weiter vorwärts in die verhängnisvollen Bogen des Entenfanges. Zum vierten und fünften Male begann das Spiel, bis der Hund die Wasservögel Schritt für Schritt weiter vorwärts in die inneren Räume des Entenfanges gelockt hatte. Dort erschien Trim zum letzten Male. Ein letztes Vorwärtsbringen, eine letzte vorsichtige Pause wurde von den Enten gemacht. Der Vogt zog an den Schnüren. Das beschwerte Netzwerk sank senkrecht ins Wasser und verschloss den Entenfang. Nun wurden die Enten zu Dutzenden und Dutzenden durch ihre eigene Neugier gefangen – durch keine andere Lockspeise als einen kleinen Hund! Wenige Stunden darauf waren sie alle als tote Enten auf dem Wege zu den Londoner Märkten befindlich.

      Als der letzte Akte der seltsamen Komödie im Entenfange zu Ende war, legte mir die kleine Mary ihre Hand auf die Schulter, erhob sich auf die Zehspitzen und flüsterte mir ins Ohr:

      »George! Komm mit mir nach Hause. Ich möchte dir etwas zeigen, was sehenswerter ist als die Enten.«

      »Was ist es?«

      »Es ist eine Überraschung. Ich sage es nicht.«

      »Willst du mir einen Kuss geben?«

      Das reizende kleine Geschöpf legte seine schlanken, sonnverbrannten Arme um meinen Hals und sagte:

      »So viele Küsse als du willst, George.«

      Sie sagte es unschuldig und ich ebenso. Der gute, gemütliche Vogt, der gerade von seinen Enten zur Seite blickte, sah uns in unserer kindlichen Courmacherei einander in den Armen liegen. Er drohte uns mit seinem dicken Zeigefinger und lächelte trübe und zweifelhaft:

      »Oh, Mr. George! Mr. George!« sagte er. »Wenn Ihr Vater heimkehrt, meinen Sie, dass er damit einverstanden sein wird, wenn sein Sohn und Erbe die Tochter seines Vogtes küsst?«

      »Wenn mein Vater heimkehrt«, sagte ich mit großer Würde, »so werde ich ihm die Wahrheit sagen. Ich werde ihm sagen, dass ich Ihre Tochter zu heiraten gedenke.«

      Der Vogt lachte laut auf und kehrte zu seinen Enten zurück.

      »Nun! Nun!« hörten wir ihn zu sich selbst sagen, » sie sind ja noch Kinder. Es ist noch nicht nötig, die armen Dinger jetzt schon zu trennen.«

      Mary und ich hörten uns sehr ungern Kinder nennen. Von rechtswegen war einer eine Dame von zehn Jahren und der andere war ein dreizehnjähriger Herr. Wir verließen sehr ungehalten den Vogt und gingen Hand in Hand nach Hause.

       Zweites Kapitel

      Zwei junge Herzen

      »Er wächst zu schnell«, sagte der Doktor zu meiner Mutter, »und wird für einen Knaben von seinem Alter viel zu klug. Lassen Sie ihn sechs Monate lang aus der Schule, Madame, damit er zu Hause in der freien Luft umherlaufen kann; und sehen Sie ein Buch in seiner Hand, so nehmen Sie es ihm fort. Das sind meine Verordnungen!«

      Diese Worte waren für ein Lebensschicksal entscheidend.

      Um des Doktors Rat zu befolgen, wurde ich unbeschäftigt gelassen und durchstreifte einsam, ohne Brüder, Schwestern oder Gefährten meines Alters, die Umgebungen unseres einsamen Landhauses. Die Tochter des Vogtes war, wie ich, ein einziges Kind und hatte gleich mir keine Spielgefährten. Wir begegneten uns auf unseren einsamen Wanderungen an den Ufern des Sees. Aus unzertrennlichen Gefährten wurden wir allmälig zärtliche Liebende und beabsichtigten unser bräutliches Verhältnis ehe ich zur Schule zurückkehrte zur vollen Reife zu bringen, indem wir uns heirateten.

      Was ich schreibe ist kein Scherz. So töricht es »vernünftigen Menschen« auch erscheinen mag, wir beiden Kinder waren Liebesleute – wenn solche überhaupt je existiert haben.

      Wir kannten keine andere Freude, als die alles umfassende, die wir einer in des andern Gesellschaft fanden. Wir zürnten der Nacht, weil sie uns trennte. Wir flehten unsere beiderseitigen Eltern an, uns im nämlichen Zimmer schlafen zu lassen. Ich grollte meiner Mutter und Mary war ungehalten über ihren Vater, wenn sie uns auslachten und nach unseren ferneren Wünschen befragten. Wenn ich von jenen Tagen bis zur Zeit meines Mannesalters vorwärts blicke, erinnere ich mich lebhaft der glücklichen Stunden, die ich damals verlebte. Aus der späteren Zeit aber wüsste ich kein Entzücken dem zu vergleichen, das ich damals unaussprechlich und unwandelbar empfand und das mein ganzes, junges Herz erfüllte, wenn ich mit Mary die Felder durchstreifte; wenn ich mit Mary in meinem Boot den See durchkreuzte; wenn ich Mary nach der grausamen Trennung der Nacht wiedersah und in ihre geöffneten Arme flog, als wären wir Monde und Monde lang getrennt gewesen.

      Welch eine Anziehungskraft fesselte uns so eng in einem Alter aneinander, wo der sympathische Zug der Geschlechter in ihr, wie in mir noch verborgen schlief?

      Wir wussten es nicht und bemühten uns nicht es zu ergründen, wir gehorchten dem Triebe uns zu lieben, wie der Vogel dem Triebe zu fliegen folgt.

      Man darf durchaus nicht voraussetzen, dass wir hervorragende Gaben oder Vorzüge besaßen, die uns in irgendeiner Art vor anderen Kindern unseres Alters auszeichneten. Wir waren durchaus nicht anders als andere. Man hatte mich in der Schule einen klugen Jungen genannt, aber es gab tausend Knaben in tausend anderen Schulen, die so gut wie ich obenan in der Klasse saßen und ihre Auszeichnungen erhielten. Um die Wahrheit zu sagen, ich ragte in keiner Weise hervor, außer – wie man zu sagen pflegt, dass ich »groß für mein Alter« war. Mary, ihrerseits, entwickelte keine besonderen Reize. Sie war ein zartes Kind mit milden, grauen Augen und von bleicher Gesichtsfarbe; sie war seltsam scheu, still und zurückhaltend, außer, wenn sie mit mir ganz allein war. Die Schönheit, die sie in jenen jungen Jahren schmückte, lag in einer gewissen ungekünstelten Reinheit und Liebenswürdigkeit des Ausdrucks und in der reizenden rotbraunen Farbe ihres Haares, das zierlich und anmutig in wechselndem Glanze strahlte. Obgleich wir dem äußeren Anscheine nach zwei ganz gewöhnliche Kinder waren, schien ihr Geist und der meine doch geheimnisvoll durch einen verwandten

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