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einen Traum, Rosamunde, den ich vorige Nacht hatte. Seit den ersten Tagen meiner Blindheit – nun, ich dachte, du wolltest mich nicht eher wieder küssen, als bis ich dir gesagt hätte, woran ich gedacht?«

      »Ich kann nicht umhin dich zu küssen, Lenny, wenn du von dem Verlust deines Augenlichts sprichst. Sage mir, mein armer Junge, helfe ich dir diesen Verlust ersetzen? Bist du glücklicher als du sonst zu sein pflegtest und habe ich einigen Anteil am Schaffen dieses Glückes, sei er auch noch so gering?«

      Sie wendete, indem sie dies sagte, das Gesicht hinweg, aber Leonard war ihr zu rasch. Seine forschenden Finger berührten ihre Wange.

      »Rosamunde, du weinst!« sagte er.

      »Ich sollte weinen?« antwortete sie mit plötzlich erheuchelter Heiterkeit. »Nein,« fuhr sie nach einer augenblicklichen Pause fort, »ich will dich niemals täuschen, Geliebter, auch nicht in der unbedeutendsten Kleinigkeit. Meine Augen dienen jetzt uns beiden, nicht wahr? Du verlässest dich in Bezug auf alles, was dein Gefühlssinn dir nicht sagen kann, auf mich und ich darf mich des Vertrauens nicht unwürdig machen, nicht wahr nicht ? Ja, ich weinte wirklich, Lenny, aber nur ein ganz klein wenig. Ich weiß nicht, wie es kam, aber es war mir auf einmal, als hätte ich dich in meinem ganzen Leben noch nie so bemitleidet wie gerade in diesem Augenblick. Doch laß dies nur gut sein – ich bin nun fertig. Erzähle weiter – du wolltest mir etwas mitteilen.«

      »Ich wollte sagen, Rosamunde, daß ich, seitdem ich das Augenlicht verloren, einen seltsamen Umstand an mir bemerkt habe. Ich träume sehr viel, aber ich träume niemals von mir als einem Blinden. Ich besuche in meinen Träumen oft Orte, die ich gesehen, und Leute, die ich kannte, als ich mein Gesicht noch hatte, und obschon ich während dieser Träume mich meiner ebenso selbst bewußt fühle, wie wenn ich vollkommen munter und wach bin, so fühle ich mich doch niemals blind. Ich wandere in meinem Schlafe an allen Orten, die ich sonst besucht, umher, ohne daß ich den Weg durch Tasten zu suchen brauche. Ich spreche im Schlafe mit einer Menge alter Freunde und sehe den Ausdruck ihres Gesichts, welchen ich als Wachender niemals wiedersehen werde. Es ist nun über ein Jahr her, daß ich das Gesicht verloren und dennoch war es mir wie der erschütternde Schlag einer neuen Entdeckung, als ich vergangene Nacht aus meinem Träume erwachte und mich plötzlich besann, daß ich blind war.«

      »Was für ein Traum war es, Lenny?«

      »Nur ein Traum von dem Orte, wo ich dich das erste Mal sah, als wir beide noch Kinder waren. Ich sah die Waldwiese wie sie vor Jahren war, mit ihren knorrigen Wurzeln und den sich um sie herumrankenden Heidelbeerbüschen, in einem noch schattigen Lichte, welches von dem regnerischen Himmel durch dichtes Laub fiel. Ich sah den Schlamm auf dem Wege in der Mitte der Waldwiese mit den Spuren von den Hufen der Kühe an manchen Stellen und den scharf eingedrückten Ringen an andern, wo die Bäuerinnen kurz zuvor in ihren Holzschuhen vorübergetratscht waren. Ich sah das schmutzige Wasser zu beiden Seiten des Fußweges nach dem Regen ablaufen und ich sah dich, Rosamunde, als wildes ungezogenes Mädchen, über und über mit Schmutz bedeckt – gerade wie du damals wirklich warst – während du dein schönes blaues Überröckchen und deine hübschen kleinen feisten Hände beschmutztest, indem du einen Damm machtest, um das laufende Wasser aufzuhalten und über die Entrüstung deiner Wärterin lachtest, als sie versuchte, dich hinwegzuziehen und nach Hause zu führen. Alles dies sah ich, gerade so wie es zu jener Zeit wirklich war, seltsamerweise aber sah ich mich selbst nicht als den Knaben, der ich damals war. Du warst ein kleines Mädchen und die Waldwiese befand sich in ihrem alten vernachlässigten Zustande, und dennoch, obschon ich ganz in der so fernen Vergangenheit war, befand ich mich doch, was mich selbst betraf, in der Gegenwart. Während des ganzen Traums war ich mir unbehaglich bewußt, ein erwachsener Mann, mit einem Worte genau das zu sein, was ich jetzt bin, nur mit der Ausnahme, daß ich nicht blind war.«

      »Was für ein Gedächtnis mußt du haben, Geliebter, daß du dir alle diese kleinen Umstände nach den Jahren, welche seit jenem nassen Tage auf der Waldwiese vergangen sind, in die Erinnerung zurückrufen kannst! Wie gut weißt du, was ich als Kind war! Erinnerst du dich auch noch ebenso lebhaft, wie ich vor einem Jahr aussah, als du mich – o Lenny, es bricht mir fast das Herz, wenn ich daran denke – als du mich zum letzten Mal sahst?«

      »Ob ich mich dessen entsinne, Rosamunde? Mein letzter Blick auf dein Antlitz hat dein Bildnis meiner Erinnerung in Farben gemalt, die nie erbleichen können. Ich habe viele Bilder in meinem Geiste, dein Bild aber ist das hellste und schönste von allen.«

      »Und es ist auch das beste Bild, welches man von mir haben könnte – in meiner Jugend gemalt, Geliebter, als mein Gesicht fortwährend bekannte, daß ich dich liebte, obschon mein Mund nichts sagte? Es liegt einiger Trost in diesem Gedanken. Wenn Jahre über uns beiden dahingegangen sind, Lenny, und wenn die Zeit beginnt, mir ihre Spuren aufzudrücken, dann wirst du nicht zu dir selbst sagen: ‚Meine Rosamunde beginnt zu welken; sie wird immer weniger dem ähnlicher, was sie war, als ich sie heiratete.’ Für dich, Geliebter, werde ich niemals alt werden; das schöne jugendliche Bild in deiner Erinnerung wird immer noch mein Bild sein, auch wenn meine Wange gerunzelt und mein Haar grau ist.«

      »Immer noch dein Bild – stets dasselbe, mag ich so alt werden als ich wolle.«

      »Aber weißt du auch gewiß, daß es in allen Teilen klar ist ? Gibt es darin nirgends zweifelhafte Linien, unvollendete Winkel? Ich habe mich, seitdem du mich sahest, noch nicht verändert – ich bin gerade noch so wie ich vor einem Jahre war. Gesetzt nun, ich fragte dich, wie ich jetzt aussehe, könntest du mir es sagen, ohne einen Irrtum zu begehen?«

      »Stelle mich auf die Probe.«

      »Soll ich? Dann sollst du einen vollständigen Katechismus durchmachen. Ich ermüde dich doch nicht, wenn ich so auf deinem Knie sitze? – Also, erstens: wie groß bin ich, wenn wir beide nebeneinander stehen?«

      »Du reichst mir gerade bis ans Ohr.«

      »Richtig. Das wäre die erste Frage. Nun zur zweiten: Wie sieht mein Haar auf deinem Bild aus?«

      »Es ist dunkelbraun. Es ist stark und voll und auf deiner Stirn für den Geschmack gewisser Leute ein wenig zu tief hereingewachsen.«

      »Kümmern wir uns nicht um gewisse Leute. Steht es auch für deinen Geschmack zu tief?«

      »Nein, durchaus nicht. Ich liebe es so; ich liebe die kleinen natürlichen Wellenlinien, die es gegen die Stirn bildet. Ich liebe es so zurückgestrichen, wie du es trägst, in einfachen Flechten, welche deine Wangen und dein Ohr sichtbar lassen, und vor allen Dingen liebe ich jenen großen glänzenden Knäuel, den es bildet, wenn es an deinem Hinterkopfe zusammengebunden ist.«

      »O Lenny, wie gut erinnerst du dich meiner so weit! Gehe nun ein wenig tiefer herab.«

      »Ein wenig tiefer heißt bis auf die Augenbrauen. Es sind auf meinem Bild sehr nett und sauber gezeichnete Augenbrauen.«

      »Ja, – aber sie haben einen Fehler. Sage mir, was für ein Fehler ist dies.«

      »Sie sind nicht so stark markiert als sie es sein könnten.«

      »Abermals richtig – und meine Augen?«

      »Sind braune Augen, große Augen, wachsame Augen, die sich fortwährend umschauen, Augen, die bald sehr sanft, bald wieder sehr lebendig sein können. Zärtliche und helle Augen, gerade wie in dem gegenwärtigen Augenblick, aber fähig, auf einen sehr leichten Anreiz hin, sich ein wenig zu weit zu öffnen und etwas allzufunkelnd entschlossen auszusehen.«

      »Dann hüte dich, ihnen dieses Aussehen jetzt mitzuteilen! Was gibt es unter den Augen?«

      »Eine Nase, die nicht ganz groß genug ist, um mit ihnen in richtigem Verhältnis zu stehen – eine Nase, die einen leichten Hang besitzt, das zu sein, was man eine –«

      »O sprich dieses abscheuliche Wort nicht aus! Schone meine Empfindlichkeit wenigstens insoweit daß du es ins Französische übersetzest. Sage retroussé und gehe über meine Nase so schnell als möglich hinweg.«

      »Nun, dann muß ich bei dem Munde stehen bleiben und gestehe, daß dieser der Vollkommenheit so nahe als möglich kommt. Die Lippen sind von lieblicher Form, von frischer Farbe und von unwiderstehlichem Ausdruck. Sie lächeln auf meinem Bilde und ich bin überzeugt, daß sie auch jetzt mich anlächeln.«

      »Wie

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