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Aber dieses kleine Ich auf der Bühne stand in einem geheimnisvollen Zusammenhang mit dem großen Ich. das da als Zuschauer bei Tische saß. Alle seine Sprünge und alle seine Possen, seine tragischen und seine lustigen Capriolen, sein Gelächter und seine Tränen, ich erlebte sie mit. Ich empfand alle Verantwortlichkeit für das Wesen, das sich dort herumtrieb. Wie eine Mutter, deren Tochter eben ausgepfiffen wird, saß ich im Parterre; und so oft mein kleines Ich den Mund öffnete, bekam ich vor Lampenfieber Herzklopfen.

      Nun begannen die auf der Bühne jenen Tanz, genannt Ballabile der Erkenntnis. Er bestand darin, daß sie sich gegenseitig einen großen, harten, grünlichen Apfel zuwarfen, mit dem sie Ball spielten.

      Ach, ich kannte dieses barbarische Spiel gar wohl und auch den unreifen Apfel, der da hin- und herflog und Beulen schlug, wohin er traf. Die andern, die wichen gewandt nach rechts und nach links; sie bogen sich vor, sie bogen sich zurück und fingen den Apfel und warfen ihn weiter mit Schalkheit und Geschick.

      Nur mein kleines Ich begriff das Spiel nicht. Tölpelhaft stand es da und ließ den Apfel auf seine Brust, auf seinen Scheitel niederprallen. So oft es getroffen wurde, zog es sich schmerzhaft in sich zusammen, als war es eine Schnecke, die gern in ihr Haus kröche, wenn sie nur eins hätte. Indessen nahmen ihm die andern den Apfel vor der Nase weg und tanzten in leichtem Wirbel davon.

      Ergrimmt über die Mitleidenschaft, in die ich gezogen war, rief ich meinem kleinen Ich zu: »Du Tölpel, warum spielst du da mit? Merkst du denn nicht, daß du kein Tänzer bist? Herunter mit dir! Ich kann deine dilettantischen Possen nicht länger ertragen.«

      Aber mein kleines Ich war ganz toll und närrisch; je öfter es getroffen wurde, desto erpichter schien es auf den Tanz zu sein. Es stolperte und stotterte von einem zum andern in rätselhafter Verwirrung. Es machte unverständliche Gebärden, halb pathetisch und halb possenhaft; es knixte mit untertänigem Zähne- fletschen immer hinter demjenigen her, der gerade den Apfel in Händen hielt. Ich konnte mir seine Absichten nicht erklären; nur in seinem atemlosen Gesicht las ich, wie es innerlich voll Angst, voll Zorn, voll Verzweiflung war. Neben dem gleichmütigen Ballerinen- lächeln der andern nahm sich diese Miene ganz verächtlich aus.

      Da geschah es, daß mein kleines Ich den Apfel einmal fing. Mit gierigen Blicken betrachtete es ihn von allen Seiten. Himmel – es sah ganz so aus, als ob ihm der Mund danach wässerte! Es wollte alles Ernstes in diesen sauren Apfel beißen!

      Auch die auf der Bühne errieten den thörichten Vorsatz, mit dem mein kleines Ich umging. Sie suchten ihm den Apfel zu entlocken; und da es ihn gutwillig nicht herausgab, machten sie kurzen Prozeß. Sie waren ihrer sieben gegen einen; was half da sein Sträuben und Strampeln!

      Kaum war der Apfel aus seinen Händen, so verfiel es wieder in seine täppische Untertänigkeit; es schien gewillt, das Spiel gleich von vorne zu beginnen.

      Das also warʼs! Nach disem Apfel, nach diesem ungenießbaren, sauren Apfel ging sein Streben! Welchen geheimnisvollen Wert besaß dieser Apfel in seinen Augen? Dachte es vielleicht, weil einmal um eines Apfels willen ein Paradies verloren gegangen war, so könnte durch diesen Apfel ein Paradies zurückgewonnen werden? Hielt es diesen Apfel für das magische Arkanum, das man zu sich nehmen mußte, um Glück und Macht zu erlangen? »Weißt du denn nicht,« rief ich, »daß dieser Apfel nur zu einem überlegenen Spiel bestimmt ist? Weißt du denn nicht, daß man sich nur ein Magendrücken auf Lebenszeit zuzieht, wenn man sichʼs einfallen läßt, Ernst zu machen und den Apfel zu essen?«

      Indes hatten die Sieben das Spiel gewechselt. Sie nahmen mein kleines Ich und stellten es an einem Ende der Bühne auf, legten ihm den Apfel auf den Kopf und geboten ihm, stillezuhalten. Und aus den Koulissen langten sie sieben Armbrüste hervor, und legten sieben Pfeile darauf und zielten – wahrhaftig, sie zielten nach seinem Herzen, statt nach dem Apfel!

      Starr und steif stand mein kleines Ich, starr und steif hielt es seinen einfältigen Kopf hoch und blinzelte nicht. »Es ist ja nur ein Spiel!« sagte es mit einer Stimme, die von verhaltener Angst bebte. »Nicht wahr, es ist nur ein Spiel?«

      »Nein, nein!« schrie ich verzweifelt. »Sie zielen nach deinem Herzen, diesmal ist es kein Spaß! Das Spiel hast du für Ernst genommen, den Ernst nimmst du als Spiel! Kannst du denn nicht unterscheiden?«

      Sie zielten lange – und ich fühlte mein eigenes Herz schon durchbohrt von der siebenfachen Schärfe des Eisens, das von den Schäften nach meinem kleinen Ich blitzte.

      Dann schössen sie ab. Der Apfel kollerte auf den Boden, unversehrt; mein kleines Ich sank in die Knie. War es zu Tode getroffen?

      Es zog die sieben Pfeile aus seinem Herzen und trocknete hastig das Blut, das aus der Wunde floß. »Ich weiß, es ist nur ein Spiel!« sagte es entschuldigend. »Aber mein Herz versteht den Unterschied zwischen Spiel und Ernst noch nicht. Deshalb ist es so ungeschickt, zu bluten, wenn es getroffen wird..

      »Warum antworten Sie nicht?« sagte eine laute Stimme, während eine warme Hand sich auf meinen Arm legte. »Mindestens seit zehn Minuten starren Sie auf die Tür, als wäre dort weiß Gott was zu sehen!«

      O meine Freunde! Ihr seht ihn nicht, den magischen Spiegel, in dem ihr mit mir auf der Bühne tanzt! Ihr seht die Schlange nicht, die sich um mein Herz windet, kalt, kalt!

      Ein Zwist

      Irgend ein indischer, chinesischer oder altmexikanischer Gott mit drei Köpfen hatte soeben die Welt geschaffen. Fix und fertig stand die Maschine da. Sie war ein unerreichtes Meisterstück, ein Perpetuum mobile; der Gott brauchte nur P! zu machen, und alle die Milliarden Räder, große und kleine, gezahnte und ungezahnte, mußten laufen, zuerst eines, dann zwei, dann vier, dann acht, dann sechzehn und so fort in geometrischer Progression, bis das ganze Riesenwerk in Gang war für alle Ewigkeit.

      Äonen hindurch hatten die drei Köpfe darüber nachgesonnen, und lange waren sie über das System der Konstruktion nicht einig gewesen. Den Linken verdroß es, daß das Ding, einmal fertig und angeheizt, fortschnurren sollte ohne Unterbrechung und ohne daß ein weiteres Hinzutun notwendig wäre.

      »Wenn ich mich künftig gar nicht mehr einmischen soll«, wandte er ein, »wozu bin ich dann da? Seht ihr nicht ein, daß wir alle drei vollständig überflüssig sind, sobald die Maschinerie zu gehen angefangen hat?«

      Die beiden anderen sahen das in der Tat nicht ein. Sie beharrten mit dem Stolze der Erfinderschaft auf dem Perpetuum mobile als der Krone aller denkbaren Erfindungen und erklärten es unter ihrer Würde, sich aus Liebhaberei mit einer weniger vollkommenen Einrichtung abzugeben.

      »Sollen wir vielleicht in Zukunft«, sagten sie, »beständig dahinter her sein und täglich oder stündlich wieder aufziehen, nachheizen, einölen und dergleichen? Dieser erbärmliche Okkasionalismus würde uns ja den ganzen ästhetischen Genuß verderben!«

      Und da sie in der Majorität waren, setzten sie ihre Ansicht durch.

      Nun war der große Augenblick gekommen. Der Gott stellte sich an die Weltachse, eine ungeheure Röhre aus glänzend poliertem Stahl, die vom Zenith bis zum Nadir lief, und richtete seine drei Köpfe nach oben, nach unten und nach der Mitte. Dann zählte er: »Eins, zwei, drei«. Und bei drei machten sie alle nach oben, nach unten und nach der Mitte mit einem leicht nachstürzenden Hauch: P!

      Da begann sich das Werk zu regen wie ein schlafendes Ungeheuer, das mit Gebrüll erwacht. Langsam setzte sich eine Transmission nach der andern in Bewegung, die Räder fingen an, sich zu drehen, und Gottes Hauch sprang wie ein elektrischer Funken von einem Nietenkopf zum andern. Bald war das Ganze in Gang, donnernd und dröhnend, schmetternd und schwirrend, rollend und rasselnd, klappernd und klirrend: in seinem Höllenlärm scheinbar ein chaotisches Durcheinander, aber für die Augen des Meisters ein Schauspiel voll Wohlklang und sinnreich klarer Mechanik, an dem er sich nicht ersättigen konnte.

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