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Und wenn wir dem Drachen begegnen, dann fasse du dein Schwert, und ich will meine Laute schlagen. Ein tapferes Schwert, ein tapferes Lied, sollten die nicht des Drachen Herr werden?«

      So zogen sie selbander hinaus in die weite Welt, den Drachen, den Drachen zu töten.

      Einsame Gegend

      Jäh stürzt der Berg hinunter ins Meer. Auf seinem Abhang trägt er viele bunte Steine: weiße Marmortrümmer mit verspülten Ornamenten, roten Porphyr und gelbgefleckten Alabaster, blauen Labrador, auf dem die Sonne metallische Funken entzündet, Jaspis und Achat. Alles Köstliche, an dem eine hohe Kultur sich ergötzte, liegt hier beisammen – ein Haufen schöner Scherben.

      Oben, wo eine zackige Felswand den Gipfel krönt, wächst ein Feigenbaum mit Früchten, die niemand pflückt. Eine abgestorbene Aloe kauert neben ihm; sie streckt aus ihren braunen, runzeligen Blättern einen kahlen Blütenstengel hoch hinauf in die heiße Luft. Olivenbäume, kärglich befiedert mit dünnem silbernen Laub, stehen einzeln umher. Wie vom Durste gepeinigt, winden sich ihre verlechzten Stämme. Aber satt gleißen die grünen Aloen, die in breitem Gestrüpp den Fuß des Felsens umgeben. Zwischen ihren Blättern, die scharf und spitzig sind wie Schwerter, verbirgt sich ein Säulenkapitäl. Und ein Portikus mit gebrochenen Säulen erhebt sich inmitten. Er führt in die dunkle, verschwiegene Felsentiefe,

      In ihrem Innern ruht ein Tempel verschollener Götter, eingeschnitten in das harte Gestein. Der Eingang ist verschüttet, durch viele Erdbeben verschüttet, die alle verwitterten Brocken des Felsengipfels heruntergegossen und die Säulen des Portikus. geknickt haben wie Rohrschäfte. Unzugänglich ragt die Felswand vor dem Heiligtum; mit trotziger Abwehr schaaren sich die Aloen herum und verbieten den Zugang.

      In mondlosen Nächten, wenn der Himmel von Sternen funkelt, und spielende Delphine Krystalle über das aufrauschende Meer streuen, geht eine hohe marmorne Frau aus dem verschütteten Eingang hervor. Stilvoll geordnet fällt ihr weißes Gewand in unbeweglichen Falten an ihren Gliedern herab. Sie berührt im Schreiten mit ihren nackten Füßen den Boden, aber die Schwerter der Aloen verletzen sie nicht.

      Am Strande des Meeres bleibt sie stehen und wendet sich hinaus ins Grenzenlose. Ihre rechte Hand erhebt sie ausgestreckt zum Himmel. Ist es eine Klage? Ist es eine Drohung? Ist es eine Beschwörung? Und ihre linke Hand ruht, zur Faust geballt, auf ihrer steinernen Brust, als wollte sie die starre Oberfläche zerdrücken, oder als wollte sie die starre Oberfläche verteidigen. Und ihre blinden Statuenaugen schauen hinaus in eine Welt, die jenseits ist.

      Und wie sie steht und schaut, öffnen sich ihre Marmorlippen zu einem Seufzer.

      Als ein tötlicher Hauch geht dieser Seufzer durch die Welt. Die Luft wird kalt, das Meer verstummt, die Delphine sinken in die schwarze Tiefe. Alles Lebendige erstarrt in eisigem Schweigen. Stille des Todes breitet sich aus. Nur in ihrer unnahbaren Höhe funkeln die Sterne, die ewigfernen Sterne.

      Aber wenn aus den Morgenwolken die lärmende Sonne bricht, ist die bleiche steinerne Frau verschwunden.

      Und die Sonne steigt. Brennend steigt sie herauf über die verlassene Küste. Die Felswand glüht; die Oliven werden aschfarben, der Feigenbaum welkt und seine kleinen Früchte beben vor Angst, zu verdorren.

      Da kommt aus dem verschütteten Tempel die andere Gottheit hervor. Ein seltsames zottiges Wesen mit einem spöttischen Bocksgesicht und behenden Bocksbeinen. Kurze dicke Hörner wachsen über seiner braunen Stirne, die von Fett und Schweiß glänzt. Breitspurig stellt es sich zwischen den Trümmern auf und läßt mit Behagen die Sonne auf seine haarige Brust scheinen. Doch nicht lange bleibt der Gott still. Er klettert auf die Kante der Felsen und lugt neugierig hinüber in das Tal, wo die Ziegen weiden. Und wenn ein einfältiger Hirte, der sich zu weit vorgewagt hat, vor seinem Anblick erschrocken die Flucht ergreift, bricht er in schallendes Gelächter aus. Lachend jagt er mit tollen Sprüngen über den Abhang zur Küste, daß der Schutt in Staubwolken aufwirbelt und die bunten Steine hinter ihm her kollern. Unten wirft er sich in die laue Flut, stampft mit den Füßen, wälzt sich jauchzend auf einer Sandfläche und hascht nach den silbernen Fischen, die zutraulich um ihn herumschwänzeln. Dann springt er heraus auf eine Klippe, sitzt dampfend in seiner heißen feuchten Bockshaut und holt die Flöte hervor, die hinter seinem hochgespitzten Ohr steckt. Er beginnt zu blasen, Wunderliche alte Weisen bläst er, Urtöne, die kein menschliches Ohr mehr vernehmen kann.

      Und während er spielt, geht eine heimliche Bewegung durch die Welt. Das Meer wird blauer, der Himmel glänzender; die Olivenbäume richten sich auf wie vom Regen belebt; die kleinen Feigen schwellen an; in dem Innern der gepanzerten Aloen gehen winzige Knöspchen künftiger Blüten auf; vertrocknete Samen, die der Westwind ans Land geweht hat, regen sich im Staube und wollen keimen.

      Aber wenn die Dämmerung über das Meer streicht, ist der übermütige alte Gott in den Felsen zurückgekehrt.

      Hinter dem verschütteten Eingang wohnen die beiden Gottheiten. Dort sind sie beisammen. Aber niemand weiß, wie. In dieser Tiefe ist alles Geheimnis. Hassen sich die Beiden, die so ungleich sind? Oder lieben sie sich mit jener unglücklichen Leidenschaft, mit der die Gegensätze ewig zu einander streben?

      Der Schatten

      Es war sehr kalt. Das Licht des Vollmondes glänzte blendend auf dem frischgefallenen Schnee. Ich watete darin bis über die Knöchel; ein feiner glitzernder Staub wirbelte beständig unter meinen Kleidern auf. Vor mir aber watete mein Schatten. Eilig lief er dahin und begleitete mich getreulich durch die ausgestorbenen schweigenden Gassen. Der Schnee verschlang alle Geräusche, von denen die Mitternacht der Städte belebt ist; ich hörte meine eigenen Schritte nicht.

      Da kam mir ein Gedanke. Ich blieb stehen. Das ist zwar kein Grund, stehen zu bleiben; zu meiner Rechtfertigung muß ich aber bemerken, daß es ein ganz verblüffender Gedanke war, der mir da eben gekommen war, ein phänomenaler, schicksalsschwerer Gedanke. Die Menschheit allerdings, fürchtʼ ich, wird wenig Nutzen davon ziehen; nicht, weil sie überhaupt von allen phänomenalen Gedanken bisher wenig Nutzen zog, sondern weil mein phänomenaler Gedanke lediglich eine Privatangelegenheit meiner Person betraf. Ich befand mich nämlich damals in jenem sonderbaren und abnormen Zustand, den man gewöhnlich mit dem schwachen Worte »Verliebtheit« bezeichnet.

      Als ich so stille stand, hörte ich einen gähnenden Seufzer, wie von jemandem, der nach einem tiefen Schlafe langsam erwacht. Ich sah mich um – niemand da. Alles leer, alles einsam. Hatte ich mein eigenes Seufzen für ein fremdes gehalten? Ich wollte weitergehen; da trat ich auf eine schwammige, gallertartige, elastische Masse, und eine schwindsüchtig heisere Stimme sagte:

      »Au! so gib doch Acht, du trittst mir ja auf den Bauch!«

      Und nun bemerkte ich, daß mein Schatten, der so klar auf der schimmernden Fläche lag, sich aufgebläht hatte und sich als dunstiger Körper vom Boden abhob. Er stützte sich halbliegend auf seinen linken Ellbogen; seine rechte Hand, die einem bläulichen Rauchwölkchen gleich sah, streckte er gegen mich aus, wie jemand, der will, daß man ihm beim Aufstehen behilflich sei.

      Schleunig trat ich einen Schritt zurück, um diesen unverschämten Rebellen vermittelst der optischen Gesetze in die gebührenden Schranken zu weisen. Aber es war zu spät. Er hatte sich schon emanzipiert und allen Respekt vor den altbewährten Naturgesetzen verloren. Schwerfällig unbeweglich blieb er auf der Stelle liegen, losgetrennt von der Gestalt, mit der er fünfundzwanzig Jahre unauflöslich verbunden gewesen war.

      Ich dachte, daß ihm vielleicht durch gütliches Zureden noch beizukommen wäre.

      »Was fällt dir ein?« sagte ich vorwurfsvoll. »Das geht doch nicht, daß du dich auf einmal benehmen willst, als wärest du dein eigener Herr. Sei gescheit; lege dich wieder hin, wie sichʼs gehört, und laß mich weiter gehen. Habe ich nicht Kummer genug? Willst auch du mir abtrünnig werden und mich allein lassen?«

      Er kehrte sich nicht an meine Worte. Mit blindem Eifer, pustend und stöhnend, suchte er sich auf die Beine zu stellen. Dabei schlotterte er am ganzen Leibe vor Anstrengung; krampfhaft klammerte er sich an die Mauer, um sich im Gleichgewicht zu erhalten.

      Recht kläglich sah er aus, in die Länge gezogen, schwarzblau vom Kopf bis zu den Füßen, und ganz unausgearbeitet in den Details, nur gerade der notdürftige Umriß eines

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