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ich Ihnen nicht sagen.«

      Punin seufzte laut auf.

      »Ach, wenn wir uns hier niederlassen könnten, wenn auch nur eine Zeit lang! So aber das ewige Hin- und Herziehen, ohne Obdach, ohne Ruhe, die Seele kann da gar nicht wieder zu sich selbst kommen . . .«

      »Sagen Sie mir doch,« unterbrach ich ihn, »gehören Sie nicht . . . zum geistlichen Stande? War Ihr Vater nicht im Dienst der Kirche?«

      Punin wendete sich zu mir um und blinzelte mich an. »Was ist wohl die Ursache dieser Frage, mein Jüngling?«

      »Je nun, Sie gebrauchen zuweilen solche Ausdrücke, wie man sie in der Kirche hört, wenn der Psalmist die Horen (horae) liest.«

      »Sie meinen slavonische Phrasen? Je nun, das braucht Sie nicht in Erstaunen zu setzen, im gewöhnlichen Leben sind solche Reden und Sprüche nicht anwendbar, wenn man aber in Begeisterung geräth, dann freilich kommen Einem erhabene Gedanken. Hat Ihnen denn Ihr Lehrer der russischen Literatur das nicht erklärt ?«

      »Nein, davon hat er nie mit mir gesprochen,« antwortete ich. »Wenn wir auf dem Lande sind, habe ich auch keine Lehrer. In Moskau aber ihrer eine Menge.«

      »Und bleiben Sie lange auf dem Lande?«

      »Etwa zwei Monate, nicht länger, Großmama sagt, daß mich das Landleben verwöhnt. Eine Gouvernante ist auch hier bei mir.«

      »Eine Französin?«

      »Ja, eine Französin.«

      Punin kratzte sich mit dem Finger das Ohr. – »Eine alte Mamsell wahrscheinlich ?«

      »Ja, sie nennt sich Mademoiselle Friquet.«

      Ich schämte mich mit einem male gestanden zu haben, daß ich zwölfjähriger Mensch nicht einen Erzieher, sondern noch eine Erzieherin habe und ich beeilte mich hinzuzufügen: »Aber ich mache mir nichts aus ihr, lasse mir nichts von ihr gefallen . . . «

      Punin schüttelte den Kopf. »O, adeliges Junkerlein, Junkerlein! wirst bald kein Russe mehr sein – kommt fremdes Zeug in den Kopf hinein – wirst selbst ein Fremder sein! . . .«

      »Wie, Sie reden ja in Versen ?« fragte ich verwundert.

      »Das merken Sie jetzt erst? Oh! sattle ich nur meinen Pegasus – kommt meine Rede gleich in Fluß! . . .«

      In diesem Augenblicke erschallte im Garten hinter uns ein greller Pfiff. Mein Gesellschafter sprang behende auf, – »Leben Sie wohl, junges Herrlein; mein Kamerad sucht und ruft mich . . . Was wird er mir Neues sagen? Leben Sie wohl und bleiben Sie mir gewogen.«

* * *

      Er huschte durch die Büsche und verschwand; ich aber blieb noch auf meiner Bank sitzen. Ich fühlte eine gewisse angenehme Veränderung in mir vorgehen, gerade als ob ich um Vieles älter geworden. Einen Menschen der Art hatte ich noch im Leben nicht gesehen. So saß ich eine Zeitlang in Gedanken . . . da fiel mir meine vergessene Mythologie ein und ich schlenderte nach Hause. Zu Hause erfuhr ich, daß die Großmutter Baburin bei sich als Gutsschreiber angestellt habe; man hatte ihm im Dienerschaftsflügel auf dem Stallhofe ein Zimmerchen angewiesen, wohin er auch schon mit seinem Kameraden übergezogen war.

      Als ich am andern Morgen meinen Thee getrunken hatte, machte ich mich sogleich, ohne bei Mademoiselle Friquet um Erlaubniß zu bitten, auf den Weg dahin. Ich fühlte das Bedürfniß, mich wieder mit jenem sonderbaren Menschen zu unterhalten. Ohne an die Thür zu klopfen – eine Gewohnheit, die bei uns ganz unbekannt war – trat ich ohne Weiteres in’s Zimmer. Wen ich gesucht hatte, meinen neuen Freund Punin, fand ich nicht vor, wohl aber seinen Beschützer, den Philantropen Baburin. Er stand ohne Rock mit weit , auseinandergespreizten Beinen vor dem Fenster und rieb sich sorgfältig mit einem langen Handtuche den Kopf ab.

      »Was ist Ihnen gefällig 2« sagte er mich anblickend, ohne seine Beschäftigung einzustellen und die Brauen, wie unzufrieden über die Störung, zusammenziehend.

      »Ist Punin nicht zu Hause?« fragte ich so ungezwungen wie möglich.

      »Herr Punin, Nikander Wawilitsch, ist augenblicklich nicht zu Hause,« antwortete Baburin, ohne sich zu beeilen; »erlauben Sie mir jedoch, Ihnen zu bemerken, junger Mensch, daß es nicht anständig ist, so, ohne zu fragen, in ein fremdes Zimmer einzudringen.

      Junger Mensch? das mir? Wie durfte er es wagen! – Vor Zorn stieg mir das Blut zu Kopf.

      »Sie kennen mich wahrscheinlich noch nicht,« hub ich nicht mehr in ungezwungenem, wohl aber in hochfahrendem Tone an: »ich bin der Enkel Ihrer Gutsbesitzerin!

      »Das ist mir vollkommen gleich,« erwiderte Baburin, sein Handtuch wieder zur Hand nehmend. »Wenn Sie auch der Herrschaft Enkel sind, so steht Ihnen damit das Recht nicht zu, ohne anzuklopfen und zu fragen in ein fremdes Zimmer zu dringen.«

      »Was ist denn das hier für ein fremdes Zimmer ? Was fällt Ihnen ein? Ich bin hier – wie überall – im eigenen Hause.«

      »O nein, da sind Sie in einem gewaltigen Irrthum. Hier bin ich zu Hause, weil nach Abmachung dieses Zimmer mir für meine Arbeit überwiesen ist.«

      »Ich bitte, keine Lehren;« unterbrach ich ihn; »ich weiß besser als Sie, daß . . .«

      »Sie müssen noch lernen,« fiel er mir scharf in’s Wort, »Sie sind noch in dem Alter, wo man lernt und nicht lehrt . . . Was mich betrifft, so kenne ich meine Verpflichtungen, aber auch meine Rechte vollkommen gut; wenn Sie also fortfahren, auf diese Weise mit mir zu reden, so muß ich Sie bitten, mich zu verlassen . . .«

      Womit dieser Streit geendet haben würde, weiß ich nicht, in diesem kritischen Augenblicke aber kam, hin und her schwankend und mit langen Schritten, Punin in’s Zimmer. Aus unsern Gesichtern errieth er wahrscheinlich, daß irgend eine unfreundliche Begegnung zwischen uns stattgefunden haben müsse, denn er streckte mir freundlich lächelnd seine beiden Hände entgegen und rief aus:

      »Ah Herrlein, Herrlein! mich zu besuchen gekommen!« (Was ist denn das? Dachte ich, es scheint fast, als ob der Sonderling mich schon dutzt?) »Wollen wir rasch in den Garten gehen; was ich da Herrliches gefunden habe! . . . Was sollen wir im dumpfigen Zimmer sitzen.«

      Ich folgte Punin; auf der Thürschwelle hielt ich es jedoch meiner Würde angemessen, noch einen herausfordernden Blick auf Baburin zu werfen. Er antwortete mir mit einem gewissen geringschätzenden Achselzucken und blies sogar auf sein Handtuch, wahrscheinlich um anzudeuten, wie wenig er sich aus mir mache.

      »Welch’ ein unverschämter Mensch Ihr Freund ist!« sagte ich zu Punin, als sich die Thür hinter uns geschlossen hatte.

      Mit großer Bestürzung blickte mich Punin, plötzlich stehen bleibend, an.

      »Von wem belieben Sie so zu reden?« fragte er mich anstierend.

      »Nun, natürlich von ihm . . . wie nannten Sie ihn doch noch . . . von diesem Baburin.«

      »Von Paramon Semeonitsch?«

      »Nun ja, von jenem braunen Tatarengesicht.«

      »Ei, ei, ei! Herrlein, Herrlein! Wie können Sie wohl dergleichen reden?! Paramon Semeonitsch ist der ehrenhafteste, würdigste Mensch auf Gottes Erdboden, voll der strengsten Grundsätze, ein ganz außergewöhnlicher Mensch! Freilich, beleidigen läßt der sich nicht, weil er seinen Werth kennt. Mit dem, mein Lieber, muß man höflich umgehen, das ist – und hier neigte sich Punin herab zu meinem Ohr und flüsterte – ein Republikaner!«

      Verdutzt blickte ich Punin an. Eine solche Aufklärung hatte ich durchaus nicht erwartet. Aus meinen Geschichtsbüchern wußte ich, daß die Griechen und Römer in früheren Zeiten einmal Republikaner gewesen waren und stellte mir diese in Helmen und runden Armschilden und mit bloßen Beinen vor; daß es aber in unserer Zeit, besonders in Rußland im Twerschen Gouvernement, noch Republikaner geben solle, das verwirrte meine Begriffe und schien mir unbegreiflich.

      »Ja, ja, mein Lieber, ja, Paramon Semeonitsch ist ein Republikaner,« wiederholte Punin; »so und nun werden Sie künftig wissen, wie Sie von einem solchen Menschen zu reden haben! Jetzt aber kommen Sie in den Garten. Stellen Sie sich vor, ich habe da ein Kukuksei in einem Rothschwänzchennest gefunden! Wunderbar, nicht wahr?«

      Ich

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