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      Punin und Baburin

      . . . Alt und krank beschäftigen sich meine Gedanken jetzt meist mit dem Tode, der ja mit jedem Tage näher kommt; selten nur gedenke ich der Vergangenheit, selten nur richtet sich mein geistiger Blick auf das, was nicht mehr ist. Nur zuweilen – wenn ich im Winter unbeweglich vor dem helllodernden Kaminfeuer sitze, oder im Sommer, wenn ich langsamen Schritts in der schattigen Allee auf und ab spaziere – steigen Bilder vergangener Zeiten in mir empor; nicht aber auf mein reiferes Alter oder meine spätere Jugendzeit haften die Gedanken. Sie entführen mich entweder in die frühen Tage meiner Kindheit oder meiner ersten Jünglingsjahre. So geschieht mir auch heute: ich sehe mich als zwölfjährigen Burschen bei meiner strengen, launischen, alten Großmutter auf dem Lande und aus dem Hintergrunde meiner Erinnerungen treten lebhaft zwei Gestalten hervor . . .

      Doch will ich der Reihe nach und im Zusammenhange erzählen.

       I.

      (1830)

      Der alte Diener Philippitsch trat, mit hohem, in Gestalt einer Rosette geknüpften Halstuch und feiner Gewohnheit nach, auf den Zehen in’s Zimmer. Mit zusammengekniffenen Lippen, einem grauen zusammengekämmten Haarbüschel mitten auf dem Scheitel, näherte er sich seiner gestrengen Herrin, grüßte ehrfurchtsvoll und überreichte meiner Großmutter auf einem eisernen Teller einen großen, mit einem adligen Siegel verschlossenen Brief. . .

      »Ist er selbst da?« fragte diese.

      »Sie geruhen zu befehlen?« fragte, statt zu antworten, Philippitsch schüchtern.

      »Tölpel! Der, welcher den Brief gebracht hat – ist er draußen ?«

      »Draußen . . . zu Befehl, draußen . . . er sitzt im Geschäftszimmer.«

      Aergerlich drehte die Großmutter ihren alterthümlichen Rosenkranz am Arm mit den Bernsteinkügelchen hin und her . . . »Sag’, ich laß’ ihm befehlen, hereinzukommen, und Du, Monsieur, wirst so gut sein und Dich ruhig verhalten.«

      Ich rührte mich schon so nicht und saß mäuschenstill im Winkel auf meinem Schemel.

      Die Großmutter hielt mich, wie unser Sprichwort es bezeichnend ausdrückt: »mit Fausthandschuhen aus Igelfell.«

      Fünf Minuten später trat ein Mann von etwa fünfunddreißig Jahren, mit schwarzen, dichten Haaren, einem blatternarbigen, bräunlich dunkeln Gesichte, hervorstehenden Backenknochen, einer Habichtsnase und dichten Augenbrauen, unter welchen ruhige und fast melancholisch blickende kleine graue Augen hervorschauten, in’s Zimmer. Diese Farbe der Augen und ihr Ausdruck harmonirte eigentlich nicht mit dem asiatischen Typus des übrigen Gesichtes. Ein langer kaftanartiger Rock bedeckte die ganze Gestalt. An der Thür blieb er stehen und grüßte, doch nur mit dem Kopfe allein.

      »Dein Name ist Baburin?« fragte die Großmutter und fügte für sich hinzu: »Ma foi, il a l‘air d‘un arménien.«

      »Zu dienen,« antwortete jener mit tiefer ruhiger Stimme. Als meine Großmutter ihn dutzte, schienen sich seine Brauen zitternd zusammenzuziehen. Er konnte doch unmöglich erwartet haben, daß die Großmutter »Sie« zu ihm sagen würde?

      »Du bist ein Russe, orthodoxer Religion?«

      »Das bin ich.«

      Die Großmutter nahm die Brille ab und fing an, sich den Menschen langsam, vom Kopf bis zu den Füßen zu betrachten. Er schlug vor ihrem scharfforschenden Auge den Blick nicht zu Boden und legte nur die Hände auf dem Rücken zusammen. Am meisten interessirte mich sein Bart: er war glatt rasirt, aber solch’ blaue Wangen und ein so blaues Kinn hatte ich in meinem Leben noch nicht gesehen.

      »Jacob Petrowitsch,« hub die Großmutter wieder an, »empfiehlt Dich in seinem Briefe sehr, er sagt, Du seist ein mäßiger, nüchterner und arbeitsamer Mensch; warum aber bist Du denn von ihm weggegangen?«

      »Weil ihm, gnädige Frau, in seiner Wirthschaft Leute anderer Art, als ich bin, nöthig sind.«

      »Anderer . . . Art? Hm, das versteh’ ich nicht recht.« Die Großmutter klapperte wieder mit den Rosenkranzperlen, »Jacob Petrowitsch schreibt mir weiter, Du habest zwei sonderbare Gewohnheiten oder Eigenheiten. Was sind das für Eigenheiten?«

      Baburin zuckte leicht die Achseln.

      »Ich weiß nicht, was dem Herrn beliebte meine Eigenheiten zu nennen. Vielleicht . . . daß ich durchaus keine körperliche Züchtigung zulasse . . . «

      Die Großmutter sah ihn verwundert an. »So? Also hat Jacob Petrowitsch Dich bestrafen lassen wollen?«

      Das dunkle Gesicht Baburin’s wurde über und über roth.

      »Sie haben mich falsch verstanden, gnädige Frau. Ich habe es mir zum Grundsatz gemacht, über die Bauern keine körperliche Züchtigung zu verhängen.«

      Diesmal wurde das Erstaunen der Großmutter noch größer als vorhin, sie schlug sogar die Hände zusammen.

      »Ah!« rief sie endlich aus und blickte ihn noch einmal scharf von der Seite an, »das also ist Dein Grundsatz. Nun, mir kann das vollkommen gleichgültig sein, denn ich brauche Dich nicht als Verwalter, sondern als Schreiber, fürs Rechenwesen. Wie ist Deine Handschrift?«

      »Ich schreibe gut, ohne orthographische Fehler zu machen.«

      »Ach, das ist mir auch gleich. Die Hauptsache ist mir eine deutliche Handschrift, ohne alle diese modischen Schnörkel, die ich nicht ausstehen kann. Nun und was ist Deine andere Eigenheit?

      Baburin zögerte etwas und antwortete verlegen:

      »Vielleicht hat der Gutsbesitzer damit gemeint – daß ich nicht allein bin.«

      »Du bist also verheiratet?«

      »Nein, das nicht . . . aber . . .«

      Die Großmutter runzelte drohend die Stirn. —

      »Es wohnt bei mir noch eine andere . . . männliche Person . . . ein Kamerad, ein armer Mensch, von dem ich mich aber nicht zu trennen gedenke . . . schon zehn Jahre leben wir zusammen.«

      »Ein Verwandter Von Dir ?«

      »Nein, kein Verwandter – ein alter Kamerad. Im Hauswesen findet durch ihn keine weitere Störung statt,« beeilte sich Baburin hinzuzufügen, wie um einer Entgegnung vorzubeugen. »Er lebt auf meine eigene Rechnung, wohnt mit mir in einem Zimmer und bringt dem Hause eher Nutzen als Schaden, da er, ohne ihm schmeicheln zu wollen, gut liest und schreibt und von musterhaftem Betragen ist.«

      Die Großmutter ließ Baburin ausreden und murmelte nur etwas zwischen den Zähnen, während sie die Augen zusammenkniff und ihn immer erstaunter ansah.

      »Er lebt also ganz auf Deine Kosten.«

      »Ganz und gar.«

      »Und Du erhältst ihn nur aus Mitleid ?«

      »Nein, ans Recht und Billigkeit . . . da es ja die Pflicht armer Leute ist, andere Arme zu unterstützen.«

      »Oho! Ich muß gestehen, das höre ich zum erstenmal. Ich habe bisher geglaubt, daß das eher die Pflicht der Reichen wäre.«

      »Für Reiche, verzeihen Sie, ist das eine Art Beschäftigung, für unser eins aber . . .«

      »Genug, genug, schon gut,« unterbrach ihn die Großmutter und hielt einen Augenblick nachdenkend inne, murmelte etwas zwischen den Zähnen, was ich bei ihr nicht gern sah, es war gewöhnlich der Verbote , eines herannahenden Unwetters:

      »Und wie alt ist Dein Kostgänger ?« fragte sie ihn plötzlich.

      »Er ist in meinen Jahren.«

      »In Deinen? – Und ich glaubte, er sei vielleicht Dein Pflegesohn, oder so etwas Aehnliches.«

      »O nein, er ist nur mein Kamerad – und überdies . . . «

      »Genug,« unterbrach ihn die Großmutter zum zweitenmale befehlerisch. »Ich sehe schon, Du bist, was man so einen Philantropen nennt. Jacob Petrowitsch hat ganz recht; in Deinem Stande – ist das wirklich sehr eigenthümlich; Du bist ein Sonderling. Jetzt aber habe ich mit Dir von Deinem Geschäft hier zu reden. Ich werde Dir erklären, was Du eigentlich bei mir zu thun hast. Ja, noch eins, was Deinen Gehalt betrifft, so . . . Que faites-vous ici? wendete sich die Großmutter plötzlich an mich, indem mich ihre stechenden Augen drohend aus dem

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