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nach seinem Kinde um; so erzählte man mir wenigstens in Weelde und die Leute, welche mir das sagten, hatten Peter Drießens selbst noch gekannt.«

      »Die Leute wissen nicht, was sie sagen, Freund,« fiel der Colonel ein. »Ich schrieb selber zweimal aus Egypten, um Nachrichten über das Kind zu erhalten, doch die Briefe blieben ohne Antwort, und als ich nach Klebers Tod nach Frankreich zurückkehrte und nun hoffte, selber etwas Näheres darüber erfahren zu können, als ich mit klopfendem Herzen die Haide durchtrabte, um es zu sehen, und dem Orte nahte, wo des Alten Hütte gestanden hatte, fand ich nur einen Haufen Asche. Da brach mir das Herz fast; was ich da fühlte, das kann ich euch unmöglich beschreiben, Secretarius. Glücklicherweise hörte ich von den Bauern, daß Drießens mit der kleinen Monika sich gerettet hätte und weggezogen wäre, um sich hier und da ein Almosen zu erbetteln.«

      »So ist es, Herr Colonel. Die Frau des Schulmeisters verbrannte zu Pulver und Asche; er allein, das Monikachen auf dem Rücken und ein klein eisern Kistchen unterm Arm, entkam dem Brande, bekam dann einen schönen Bettelbrief und machte sich mit dem Kinde auf den Weg, um in den Dörfern Hilfe und ein Unterkommen zu suchen. Ich weiß aus guter Hand, daß man ihn mit der kleinen Monika bettelnd gesehen hat zu Meerhout, zu Olmen, zu Balen und zu Moll; da wurde er krank und starb. Erst seit gestern, weiß ich, daß da sein letztes Stündlein schlug; der Gemeindeschreiber von Moll, mein werthester Herr Collega, schickte mir seinen Todesschein und fügt dabei, man habe in den Taschen des armen Schulmeisters nichts gefunden, was auf die Spur des Kindes führen könnte, wonach ich, wie er wohl weiß, ohne Kisten und Kasten suche. Von dem eisernen Kistchen spricht er auch nicht. Glaubt ihr, Herr Colonel, daß der Drießens so schlecht gewesen sein könnt, dem Kinde vielleicht ein Leides zu thun, oder es in der Haide, oder im Walde zurückzulassen?«

      »Oh nein, nein,« rief der Colonel. »Er war mein Lehrer, und ist stets mein Freund geblieben, mein bester Freund. Als der Vater mit dem Kinde zu ihm kam und ihm sagte, daß er nach Holland wollte, um, wie man meint, unter Pichegrü Dienst zu nehmen, bat er selbst, daß der Vater Monika bei ihm sollte in Kost thun, sowohl um seine alten Tage zu erheitern, als auch zum Besten des Kindes, welches anders unter fremde Hände gekommen wäre. Ich bin versichert, Secretarius, daß er das Kind irgendwo bei guten Leuten hat gelassen, und denen auch das eiserne Kästchen gegeben hat.«

      »Das ist auch meine Meinung, Herr Colonel, und da meine Nachforschungen mich vermuthen lassen, daß Monika sich zwischen Rethy und Meerhout befinden muß, so bin ich Willens, morgen nach Moll zu gehen und alle umliegenden Dörfer und Pachthöfe zu durchsuchen.«

      »Brav, Freund Secretarius, thuet also, eure Mühe wird nicht sonder Belohnung bleiben. Ich habe noch einige Tage Zeit und will sehen, ob ich euch nicht dabei helfen kann. Heute Abend schlafen wir zu Lichtaert, und morgen gegen Mittag sind wir gleichfalls bei dem Secretarius der Gemeinde Moll, um mit euch zu überlegen, was wir weiter machen sollen. Sparet kein Geld, Freund, nehmet euch einen gemächlichen Wagen und ermüdet euch nicht nutzlos. Bis morgen denn und gebe Gott einen glücklichen Ausschlag!«

      Mit den Worten stand der Colonel auf, drückte des Gemeindeschreibers Hand und kehrte zur Krone zurück. Eine Stunde später trabten zwei Reiter auf der Straße hin, welche nach Lichtaert führt.

      IV

      Am folgenden Tage frühmorgens schon ritt der Colonel mit dem Lieutenant auf dem schlangenförmig sich windenden Haidewege gen Moll zu.

      Die Sonne stand in vollem Glanze schon an dem blauen Himmel, und entsaugte der weiten Sandfläche einen unstät wankenden Nebel, der sie einem unendlichen Heerde mit farbloser Flamme nicht ungleich machte. Der eigenthümliche Duft der Haide und der Dampf der Schaddenfeuer7 füllte die Luft ringsum; die Heuschrecken sangen ihr eintönig Lied und tausend andere Thierchen spielten zwischen den Haideblumen. All dies ergriff gewaltig das Gemüth des Colonels. In solcher Luft waren ihm seine schönsten Jünglingsjahre entflohen; alles bis zum magern Grase zu, rief theure Erinnerungen in ihm auf. Das Haupt tief auf die Brust gebeugt, ritt er vor dem Andern her; der Zügel hing nachlässig an dem Pferde herab.

      Mehr als eine Stunde lang ehrerbietigte der junge Lieutenant das schweigen des Colonels; dann aber spornte er sein Pferd, daß es zur Seite des andern sprang und sprach mit tröstender stimme:

      »Ei Colonel, so lasset doch diese Betrübniß fahren. Ich verstehe wohl, daß ihr verlanget, euer Kind wieder zu sehen, aber ein Mann, wie ihr, der dem Feinde und dem Tode tausendmal sonder Angst ins Auge sah, der mag sich doch nicht durch einen gewöhnlichen Schmerz niederbeugen lassen.

      »Gewöhnlicher Schmerz?« frug der Colonel. »In der That, Adolph, es ist ein gewöhnlicher Schmerz, aber minder tief ist er darum nicht. Sieh mal, Freund, in meinem ganzen Leben liebte ich nur einmal ein Weib. War es auch nur eine Bäuerin, dann verfolgte mich das Andenken an sie doch stets, bis auf das Schlachtfeld. Sie ist todt, die arme Barbara, doch ließ sie mir ein Kind zurück, welches sie mir um den köstlichen Preis, um den ihres Lebens schenkte. Und ich muß nun fürchten, daß dieser einzige Rest meines Glückes bettelnd umirrt, daß das Arme Hunger und Elend erduldet, während ich Mittel genug besitze, um es für ewig glücklich zu machen; ich muß mir sie denken, Rechenschaft von mir verlangend über ihr Kind . . . «

      »Ei was, Colonel, ihr nehmt die Sache zu phantastisch,« fiel der Lieutenant ein. »Das ist aber das Mittel nicht, euren Schmerz zu lindern. Seht doch alles bei kühlerem Blute an. Ein Kriegsmann muß Macht genug über sich haben, sich über ein Unglück zu trösten und wäre es auch noch hundertmal größer wie dieß.«

      »Meinst du denn, Adolph, man umkleide das Herz so leicht mit Eisen, wie den Körper? O da irrtest du sehr. Ich weiß, du glaubest, allem Gefühle Valet gesagt zu haben, du scheinst mir selbst stolz darauf; doch glaube ich, daß du nur dich selber täuschest. Seit sechs Jahren hast du dein Dorf verlassen, nicht wahr? Wenn nun aber, wenn in diesem Augenblick hinten am äußersten Ende des Horizontes die Hütte auftauchte, worin deine stockalte Mutter wohnt, wie dann?«

      Der Lieutenant schwieg einige Augenblicke, dann entgegnete er mit beschämt niedergeschlagenen Augen:

      »Ja, das würde mich doch Thränen kosten, Colonel!«

      »Ah, dann wird es dir auch nicht allzuschwer werden, zu begreifen, daß ich mich ganz der frohen Hoffnung hingebe, mein Kind wieder zu finden, und daß ich Freudenthränen vergießen würde, so Gott es in meine Arme zurückführte. Hab ich doch weder Vater noch Mutter, noch Brüder, noch Verwandte. Nur ein Wesen auf dieser ganzen weiten Welt, was mit mir durch die Bande des Blutes verbunden ist, und das ist mein Kind. Ach, als die gute Barbara starb, legte sie es noch in meine Arme und ihr letztes Wort war ja: »Ach hab es doch immer lieb!«

      Die Stimme des Colonels hatte sich bei den Worten so gedämpft, daß der Lieutenant ehrerbietig sein Pferd anhielt und schweigend hinterdrein ritt. Der Colonel aber bemerkte das bald, hielt im gleichen sein Pferd an, bis sie wieder nebeneinander waren, und sprach dann tief gerührt:

      »Adolph, legtest du deine Hand auf mein Herz, du würdest fühlen, wie gewaltig das Blut mir durch die Adern stürmt. Wundere dich nicht, daß meine Augen so feucht schimmern, siehst du dort hinten inmitten der Wachholdersträuche die prächtige Buche am Bache? Die hörte mein erstes Liebeswort. Unter ihrem Laube hörte ein zitternd Mädchen mein Liebesgeständniß. Hier kennt Alles mich: Gras, Haide, Bach und Baum grüßt mich in stummer, rührender Sprache. Laß uns hier absteigen; ich möchte sehen, ob die Buche noch meinen und Barbara’s Namen trägt, den ich vor Zeiten einmal hineingeschnitten.«

      Beide saßen ab und führten die Pferde am Zaum; am Bache angekommen, banden sie die Thiere an einem Baume an und sprangen über das schmale Wasser. Vor der Buche sanken des Colonels gefaltete Hände, sein Haupt neigte sich, und unter der Wimper hervor nur drang sein Blick auf das alte Liebeszeichen.

      Plötzlich doch schrak er, wie von einem elektrischen Schlage getroffen, zusammen, und lauschte gleich nachher aufs gespannteste leisen, fernher dringenden Tönen. Der Lieutenant stutzte nicht wenig ob der Bewegung seines Obristen und schlug die Rechte an den Degen, doch ein Blick des Colonels gebot ihm Stille; er stand regungslos.

      Von den Erlen her klangen jene Töne, rein wie Silber, und bald ließ sich eine Stimme, wie die eines Kindes unterscheiden, welche sang:

      Ricketicketack,

      Ricketicketu;

      Eisen

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<p>7</p>

Schadden sind Rasen von kleinem Haidekraut, welche mit einem Spaten abgestochen und wie Torf gebrannt werden. Sie verbreiten einen eignen Geruch, der bei günstigem Wetter in sehr großer Entfernung schon die Nähe der Haiden verkündet. Wer einmal in dem Kempnerlande wohnte, wird, und wäre er zwanzig Jahre anderswo gewesen, den Geruch gleich wiedererkennen.