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so heuchlerisch verzogen, daß Frau Hummel aus den Zügen des geschätzten Mannes plötzlich einen Teufel herausgrinsen sah. Und ihre spitzen Bemerkungen über Judasse erschreckten wieder den Mimen, weil sie ihm die Gefahr offenbarten, sein bestes Haus zu verlieren, und je kläglicher er sich fühlte, desto zweideutiger wurde sein Ausdruck.

      Während aller dieser Vorfälle hielt sich die Familie Hahn gänzlich zurück. Kein Zeichen von unschicklicher Freude, keines von unnatürlichem Mitgefühl drang ans den schweigenden Mauern. Nur am Nachmittag, als Frau Hummel, um sich zu erholen, ein wenig in die Luft ging, begegnete ihr die Nachbarin. Und Frau Hahn, welche sich seit jener Gartenscene im Unrecht fühlte, blieb stehen und sprach freundlich ihr Bedauern aus, daß Frau Hummel einen so unangenehmen Vorfall erlebt habe. Aber da klang doch die feindliche Stimmung und der Verdacht des Mannes aus der Antwort heraus, sehr kalt und abweisend sprach Frau Hummel, und auch die beiden Frauen schieden in feindseliger Stimmung.

      Unterdeß saß Laura an ihrem Schreibtisch, sie besprach die Ereignisse des Tages in ihren geheimen Aufzeichnungen und dichtete mit leichtem Herzen die Schlußverse: »Sie sind dahin! von uns genommen ist der Fluch, und ausgetilgt der Flecken in des Schicksals Buch.« Diese Prophezeiung enthielt gerade soviel Wahrheit, als wenn sie nach dem ersten Scharmützel des trojanischen Krieges durch Kassandra in Hektors Stammbuch eingezeichnet worden wäre. Sie wurde durch endlose Gräuel der Folgezeit widerlegt.

      Zunächst war Speihahn gar nicht dahin, sondern blieb am Leben. Aber der nächtliche Verrath übte auf Leib und Seele des Geschöpfes einen betrübenden Einfluß. Er war nie schön gewesen, jetzt wurde sein Leib mager, der Kopf dick und sein zottiges Fell struppig. Die Glassplitter, welche der kunstvolle Arzt aus seinem Magen entfernte, fuhren gewissermaßen in die Haare, daß diese borstig am ganzen Leibe starrten wie an einer Flaschenbürste; das gewundene Schwänzchen wurde kahl, nur an der Spitze bestand eine Haarquaste, daß es aussah wie ein verbogener Korkzieher mit einem Kork am Ende. Mit diesem Schwanze wedelte er selten, auch sein Kläffen hörte auf, bei der Nacht wie am Tage wandelte er schweigend, nur ausnahmsweise vernahm man ein dumpfes Knurren, das zu denken gab. Er kehrte in das Leben zurück, aber die sanfteren Gefühle in ihm waren erstorben, sein Charakter wurde menschenscheu und schwarze Hintergedanken sammelten sich in seinem Innern, Anhänglichkeit und Berufstreue wurden vermißt, statt ihrer erwiesen sich lauernde Heimtücke und allgemeine Rachsucht. Doch Herr Hummel beachtete diese Umwandlung nicht. Der Hund war das Opfer einer unerhörten Bosheit, welche ihn, den Hausbesitzer, schädigen wollte, und wäre er zehnmal häßlicher und menschenfeindlicher gewesen, Herr Hummel hätte ihn doch zu seinem Lieblinge gemacht. Er streichelte ihn und nahm es dem Hunde gar nicht übel, wenn dieser zum Danke nach den Fingern seines Herrn schnappte.

      Während aus der neuen Brandstätte des Familienfriedens immer noch die Flämmchen sittlicher Entrüstung emporzüngelten, kehrte Fritz von seiner Reise zurück. In der ersten Stunde erzählte ihm die Mutter alle Vorgänge der jüngsten Zeit: das Glockenspiel, die Hunde, die neue Feindschaft. »Es war recht gut, daß du nicht hier warst. Hast du denn auch immer ein gutes Federbett gehabt? In den Gasthöfen sind sie jetzt mit den Decken gegen Fremde sehr rücksichtslos. Ich hoffe, auf dem Lande, wo sie die Gänse selbst ziehen, wird mehr Einsicht gewesen sein. Und wegen dieses neuen Zankes sprich mit dem Vater, thu, was du kannst, daß wieder Friede wird.«

      Fritz hörte schweigend den Bericht der Mutter und sagte endlich begütigend: »Du weißt, es ist nicht das erste Mal, es geht vorüber.«

      Diese Neuigkeiten trugen nicht dazu bei, den Doctor heiter zu stimmen. Er sah aus seiner Stube bekümmert nach dem Nachbarhause und den Fenstern des Freundes hinüber. Dort wurde wohl in Kurzem ein neuer Haushalt eingerichtet; konnte dann auch seine Freundschaft zum Professor von den Störungen betroffen werden, welche seit alter Zeit die beiden Häuser beschäftigten? Er ging daran, die Sammlungen seiner Reise zu ordnen, aber die Fußtapfen in der Höhle machten ihm heut eine unbehagliche Empfindung, und beim Hufschlag des wilden Jägers mußte er an die altklugen Worte Ilse’s denken: »es ist Alles Aberglaube.« Er legte die Hefte zusammen, ergriff den Hut und ging grübelnd und nicht gerade fröhlich gemuthet in den Stadtpark. Und als er wenige Schritte vor sich Laura Hummel auf demselben Wege dahinschweben sah, bog er seitwärts ab, um Niemandem aus diesem Hause zu begegnen.

      Laura trug ein Körbchen mit Früchten zu ihrer Frau Pathe. Die alte Dame bewohnte eine Sommerwohnung im nahen Dorfe, zu welchem ein schattiger Fußweg durch den Park führte. Es war zu dieser Stunde einsam im Stadtwald, und nur die Vögel beobachteten, wie sorglos der kleine Mund des behenden Fräuleins lachte, und wie glücklich zwei schöne tiefblaue Augen in das Dickicht spähten. Aber obgleich Laura eilte, sie hatte doch vielen Aufenthalt. Zuerst fiel ihr ein, daß die Blätter einer Blutbuche ihrem braunen Filzhütchen gut stehen würden, sie brach einen Zweig, nahm den Hut ab und steckte die Blätter auf, und um sich darüber zu freuen, behielt sie den Hut in der Hand und legte zum Schutz gegen einzelne verwegene Lichtstrahlen ein Flortuch über den Kopf. Dann bewunderte sie das Parket von Goldgelb und Grau, welches die Sonne auf den Boden malte. Dann lief gar ein Eichhörnchen über den Weg, fuhr blitzschnell an einem Baum hinauf und duckte sich in die Zweige, und Laura sah zu ihm empor und erkannte seine reizenden Ohrbüschel hinter dem Laub, und sie träumte sich selbst auf die Höhe des Baumes mitten unter Laub und Früchte, schaukelte auf den Zweigen, schwang sich von einem Ast auf den andern und machte zuletzt einen Spaziergang auf den Gipfeln wie auf grünen Hügeln hoch in der Luft über die flatternden Blätter. Als sie dem Wasser nahekam, das auf der andern Wegseite floß, erlebte sie, daß eine große Gesellschaft Frösche, welche am Uferrande in der Sonne saß, wie auf Kommando mit großem Satze ins Wasser sprang, sie lief hinzu und sah mit Erstaunen, daß die Frösche im Wasser weit anders aussahen als auf dem Lande, gar nicht wie Klötze, sondern daß sie dahinfuhren wie kleine Herren mit Bäuchlein und dicken Hälsen, aber langen Beinchen, welche tapfer ausgreifen. Und da ein großer Frosch auf sie zusteuerte und seinen Kopf gegen sie aus dem Wasser hob, fuhr sie zurück, schämte sich einen Augenblick, daß sie seiner Schwimmkunst zugesehen hatte, und lachte dann über sich selbst. So zog sie durch den Wald, selbst ein Sommervogel, leicht beschwingt und in Frieden mit aller Welt.

      Aber hinter ihr schritt ihr Schicksal. Speihahn nämlich hatte von seinem gewöhnlichen Platz an der steinernen Freitreppe ihr Beginnen nicht unbemerkt gelassen. Unter den wilden Haaren, die wie ein Schnurrbart über seine Augen hingen, war etwas aufgedämmert, er hatte ihr nachgeschielt, sich endlich aufgemacht und trottete jetzt schweigend hinter ihr her, ungerührt durch Sonnenstrahl, Fruchtkorb und das rothe Kopftuch seiner jungen Herrin. Mitten zwischen Stadt und Dorf stieg der Weg aus dem Thalgrunde und seinen Bäumen zu einer kahlen Ebene, auf welcher die Kriegsmacht der Stadt zuweilen ihre Uebungen hielt, in den friedlichen Stunden ein Schäfer die Herde weidete: der Pfad lief schräg über die offene Fläche dem Dorfe zu. Laura hielt auf der Höhe an und bewunderte die fernen Wollträger und den braunen Schäfer, der mit seinem großen Hut und Hakenstock sehr hübsch aussah. Schon war sie über die Herde hinausgekommen, da hörte sie hinter sich Gebell und drohendes Geschrei, sie wandte sich um und sah die friedliche Gemeinde in wildem Aufruhr. Die Schafe stoben auseinander, einige rannten kopflos in die Weite, andere lagen zusammengeballt in einem Quergraben, die Schäferhunde bellten, der Schäfer und sein Knabe liefen mit gehobenen Stöcken um den verstörten Haufen. Aber während Laura erstaunt in das Getümmel sah, wurde sie selbst davon umringt, der Schäfer und sein Junge sprangen auf sie zu, zwei große Schäferhunde folgten dem hetzenden Zuruf, sie fühlte sich von rauher Männerhand angepackt, das zornige Gesicht des Schäfers und sein Hakenstock bewegten sich dicht vor ihren Augen. »Ihr Hund hat mir die Herde auseinandergejagt, ich fordere Strafe und Zahlung.« Erstarrt und leichenblaß griff Laura nach ihrem Geldtäschchen, kaum vermochte sie zu bitten: »ich habe ja keinen Hund, lassen Sie mich los, lieber Schäfer.« Doch der Mann schüttelte wild ihren Arm, zwei riesige schwarze Thiere sprangen an ihr hinauf und schnappten nach ihrem Tuche. »Es ist Ihr Hund, und ich kenne das rothe Biest,« schrie der Schäfer.

      Das war kein Irrthum. Speihahn hatte nämlich ebenfalls die Schafherde beobachtet und seinen ruchlosen Plan geschmiedet. Plötzlich war er mit heiserem Gekläff auf ein Schaf zugesprungen und hatte es heftig ins Bein gebissen. Darauf Flucht der Herde, Zusammenstürzen des Haufens, Speihahn mitten darunter, kläffend, kratzend, beißend, dann linksab einen trockenen Graben entlang, den Abhang zum Walde hinunter in das dichteste Gesträuch. Jetzt trabte er in Sicherheit nach Hause zurück,

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