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Leser erwartet vielleicht nun die Erklärung der Veränderung, welche in der Physiognomie des Marquis Vanni stattgefunden, als er das Billet des Fürsten von Castelcicala las, und des Befehls, die Tortur auf einen andern Tag zu verschieben, nachdem er gelesen.

      Diese Erklärung ist sehr einfach. Wir brauchen zu diesem Zweck dem Leser blos den Inhalt des Billets selbst mitzutheilen.

      Derselbe lautete:

      »Der König ist vorige Nacht wieder angekommen. Die neapolitanische Armee ist geschlagen. In vierzehn Tagen werden die Franzosen hier sein.

»C.«

      Nun hatte der Marquis Vanni bedacht, daß der Augenblick, wo die Franzosen im Begriff stünden, in Neapel einzuziehen, nicht geeignet sei, die Tortur an einem Gefangenen in Anwendung bringen zu lassen, der keines andern Verbrechens angeklagt war, als Anhänger der Franzosen zu sein.

      Was Nicolino betraf, der trotz seines Muthes von einer schweren Prüfung bedroht gewesen, so kehrte er in den Kerker Nummer 3 in der zweiten Etage unter dem Zwischenstock, wie er sagte, zurück, ohne zu wissen, welchem glücklichen Zufalle er es zu verdanken hatte, so wohlfeilen Kaufs davongekommen zu sein.

       Zweites Capitel.

      Der Abbé Pronio

      Ungefähr zu derselben Stunde, wo der Fiscalprocurator Vanni seinen Gefangenen wieder in den Kerker zurückführen ließ, erschien der Cardinal Ruffo, einem dem König während der Nacht gegebenen Versprechen gemäß, an der Thür der königlichen Gemächer.

      Da Befehl ertheilt worden war, ihn vorzulassen, so gelangte er ohne Hinderniß bis zu dem König.

      Der König hatte eben eine Unterredung unter vier Augen mit einem Manne von etwa vierzig Jahren.

      Daß dieser Mann ein Abbé war, sah man an der kaum bemerkbaren Tonsur, welche mitten unter einem Wald von schwarzem Haar fast gänzlich verschwand. Uebrigens war er von rüstigem Körperbau und schien eher geschaffen, die Uniform eines Carabiniers als das geistliche Gewand zu tragen.

      Ruffo trat einen Schritt zurück.

      »Ich bitte um Verzeihung, Sire,« sagte er. »Ich glaubte Euer Majestät allein zu treffen.«

      »Treten Sie nur ein, treten Sie nur ein, mein lieber Cardinal!« sagte der König. »Sie stören durchaus nicht. Ich stelle Ihnen den Abbé Pronio vor.«

      »Ich bitte um Verzeihung, Sire,« sagte Ruffo lächelnd.

      »Ich kenne den Abbé Pronio nicht.«

      »Ich auch nicht,« sagte der König. »Der Herr Abbé tritt eine Minute vor Ihnen, Eminentissime, ein; er kommt im Auftrage meines Beichtvater Monseigneur Rossi, Bischofs von Nicosia. Eben hatte er den Mund geöffnet, um mir zu erzählen, was ihn hierherführt. Er wird es nun, anstatt mir allein, uns beiden erzählen. Alles, was ich nach den wenigen Worten, welche der Herr Abbé gesprochen, weiß, besteht darin, daß er ein Mann ist, welcher gut spricht und noch besser zu handeln verspricht. Erzählen Sie Ihre Angelegenheit. Der Herr Cardinal Ruffo ist ein Freund von mir.«

      »Ich weiß es, Sire,« sagte der Abbé, indem er sich vor dem Cardinal verneigte, »und zwar einer Ihrer besten Freunde.«

      »Wenn ich nicht die Ehre habe, den Herrn Abbé Pronio zu kennen, so sehen Sie, daß dagegen der Herr Abbé Pronio mich kennt.«

      »Und wer kennte Sie nicht, Herr Cardinal, Sie, den Befestiger von Ancona! Sie, den Erfinder eines neuen Ofens zur Herstellung von glühenden Kugeln.«

      »Ah, da sind Sie gefangen, Eminentissime!« sagte der König lachend. »Sie erwarteten, daß man Ihnen Complimente über Ihre Beredsamkeit und Frömmigkeit mache, und siehe da! man macht Ihnen deren über Ihre kriegerischen Leistungen.«

      »Ja, Sire. Wollte Gott, daß Eure Majestät das Commando der Armee lieber Seiner Eminenz anvertraut hätte, anstatt dem hergelaufenen Prahlhans.«

      »Herr Abbé, das was Sie da sagen, ist eine große Wahrheit,« bemerkte der König, indem er Pronio die Hand auf die Schulter legte.

      Ruffo verneigte sich.

      »Ich glaube aber, sagte er, »der Herr Abbé ist nicht blos gekommen, um Wahrheiten zu sagen, welche er mir erlauben wird für Schmeicheleien zu nehmen.«

      »Sie haben Recht, Eminenz,« sagte Pronio, indem er sich seinerseits verneigte. »Eine von Zeit zu Zeit und wenn die Gelegenheit sich dazu darbietet, ausgesprochene Wahrheit kann allerdings zuweilen dem Unklugen schaden, der sie jagt, aber niemals dem König, der sie hört.«

      »Sie besitzen Geist, mein Herr,« sagte Ruffo.

      »Das habe ich mir auch gleich gedacht,« sagte der König, »und dennoch ist er weiter nichts als schlichter Abbé, während ich zur Schande meines Cultusministeriums in meinem Königreiche so viel Esel habe, welche Bischöfe sind.«

      »Aber Alles dies sagt uns nicht, was den Abbé zu Euer Majestät führt.«

      »Ja, sagen Sie es, sagen Sie es, Herr Abbé. Der Cardinal erinnert mich daran, daß ich noch mehr zu thun habe. Wir hören Sie.«

      »Ich werde mich kurz fassen, Sire. Gestern neun Uhr Abends war ich bei meinem Neffen, welcher Postmeister ist.«

      »Sehr richtig,« sagte der König.

      »Ich sann eben nach, wo ich Sie schon gesehen hätte. Jetzt besinne ich mich. Dort war es.«

      »Ja wohl, Sire. Zehn Minuten vorher war ein Courier vorbeigekommen, hatte Pferde bestellt und zu dem Postmeister gesagt: »Laffen Sie vor allen Dingen nicht warten; es ist für einen sehr vornehmen Herrn.« Dann war er lachend weitergesprengt. Ich ward nun neugierig, diesen vornehmen Herrn zu sehen. Als der Wagen hielt, näherte ich mich demselben und erkannte zu meinem großen Erstaunen den König.«

      »Er hat mich erkannt und nichts von mir verlangt! Das ist schon sehr hübsch von ihm, nicht wahr, Eminentissime?«

      »Ich behielt es mir für diesen Morgen vor, Sire,« antwortete der Abbé, indem er sich verneigte.

      »Sprechen Sie weiter! Sie sehen, daß der Cardinal Ihnen zuhört.«

      »Mit der größten Aufmerksamkeit, Sire.«

      »Der König, den man in Rom wußte, fuhr Pronio fort, »kam allein in einem Cabriolet zurück, von einem einzigen Cavalier begleitet, welcher die Kleider des Königs trug, während der König die Kleider dieses Cavaliers anhatte. Dies war ein Ereigniß.«

      »Und zwar ein stolzes,« sagte der König.

      »Ich befragte die Postillone von Fondi, und von Postillon zu Postillon bis auf den von Albano zurückgehend, hatten die unsrigen erfahren, daß eine große Schlacht geliefert, daß die Neapolitaner geschlagen worden und daß der König – wie soll ich sagen, Sire?«, fragte der Abbé, sich ehrerbietig verneigend, »daß der König –«

      »Ausgerissen war. Entschuldigen Sie, meine Herren, wenn ich mich dieses etwas unedlen Ausdrucks bediene,« sagte der König lachend, »ich weiß aber, daß er hier am rechten Orte ist.«

      »Ich kam nun,« fuhr der Abbé fort, »auf den Gedanken, daß, wenn die Neapolitaner wirklich auf der Flucht wären, sie in einem Striche bis nach Neapel rennen würden, und daß es folglich nur ein Mittel gäbe, die Franzosen aufzuhalten, welche, wenn man sie nicht aufhielte, den Besiegten auf den Fersen folgen würden.«

      »Und welch ein Mittel wäre dies?« fragte Ruffo.

      »Die Abruzzen und die Terra di Lavoro zu revolutionisieren und, da man den Franzosen keine Armee mehr entgegenstellen kann, ihnen ein Volk entgegenzustellen.«

      Ruffo sah Pronio an.

      »Sollten Sie vielleicht zufällig ein Mann von Genie sein, Herr Abbé?« fragte er ihn.

      »Wer weiß,« antwortete dieser.

      »Die Sache sieht mir ganz so aus.«

      »Laffen Sie ihn weitersprechen, lassen Sie ihn weiter sprechen,« sagte der König.

      »Demzufolge nahm ich heute Früh ein Pferd von meinem

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