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fünf Uhr,« sagte Robert Peel zu mir, als er mich verließ.

      Ich arbeitete mit einer Ruhe, welche alle meine Cameraden in Erstaunen setzte. Der Lehrer merkte nichts. Die abendlichen Freistunden kamen; wir gingen wieder in den Hof. Robert kam auf mich zu.

      »Hier,« sagte er und gab mir einen Brief. »Paul schreibt Dir, daß es ihm leid thue, Dich geschlagen zu haben. Mehr kannst Du von ihm nicht verlangen.«

      Ich nahm den Brief. Der Inhalt war so wie Robert sagte.

      »Jetzt, lieber John,« setzte Peel hinzu und nahm meinen Arm, »sehr

      will ich Dir etwas sagen.

      Ich habe deinen Wunsch erfüllt, weil Paul Wingfield ein schlechter Camerad ist und weil es mir lieb war, daß er von einem jüngeren einen Denkzettel bekam. Aber wir sind noch keine Männer, wir sind Knaben. Unsere Handlungen haben kein Gewicht, unsere Worte keine Geltung; ich habe noch fünf bis sechs, Du hast noch neun bis zehn Jahre Zeit, ehe wir wirklich eine Stellung in der Welt einnehmen werden. Wir dürfen unseren Jahren nicht vorauseilen. Was für einen Bürger oder Soldaten eine Schmach ist, kann einem Schüler gleichgültig sein. In der großen Welt duellirt man sich, aber auf der Schule klopft man sich. Kannst Du boxen?«

      »Nein.«

      »Nun, ich will Dich’s lehren; und wenn Dich Einer angreift, ehe Du im Stande bist Dich zu wehren, so werde ich ihn tüchtig durchbläuen.«

      »Ich danke, Robert. Wann wirst Du mir die erste Lection geben?«

      »Morgen um elf Uhr.«

      Robert hielt Wort. – Als der Vormittagsunterricht beendet war, ging ich in sein Zimmer. Das Boxen wurde nach den Regeln der Kunst betrieben und regelmäßig fortgesetzt. Ich besaß eine weit größere Kraft und Gewandtheit als andere Knaben meines Alters, und nach einem Monate konnte ich’s mit den größten meiner Mitschüler aufnehmen. Uebrigens hatte mein Raufhandel mit Paul großes Aufsehen gemacht, und keiner trat mir zu nahe.

      Dieses Abenteuer zeigt, wie verschieden ich von anderen Knaben meines Alters war. Ich hatte eine ganz ungewöhnliche Erziehung genossen, die mich körperlich und geistig abgehärtet hatte. Mein Vater und Tom hatten bei jeder Gelegenheit eine so große Verachtung der Gefahr gezeigt, daß ich letztere später nie als ein Hinderniß betrachtete. Diese Unerschrockenheit war bei mir nicht Naturanlage, sondern ein Ergebniß des Unterrichtes.

      Uebrigens wurden die in dem Briefe meines Vaters an den Doctor Butler ertheilten Weisungen genau befolgt. Man gab mir, wie mehren größern Schülern, einen Fechtmeister und ich machte sehr rasche Fortschritte in der Fechtkunst. Die schwierigsten Turnübungen waren nichts im Vergleiche mit dem Matrosendienst, den ich auf meiner Brigg versehen hatte, und schon am ersten Tage gab ich Beweise von meiner Kraft und Gewandtheit, welche mir die Anderen nicht nachthun konnten.

      Die Zeit Verstrich mir also schneller, als ich erwartet hatte. Ich war aufmerksam und fleißig, und außer meinem hartnäckigen, unbeugsamen Charakter hatte man mir nichts vorzuwerfen. Aus den Briefen meiner guten Mutter ersah ich, daß zu Williamhouse die günstigsten Berichte über mich eingelaufen waren. Ich sah indeß den Ferien mit großer Freude entgegen. Je näher die Abreise von Harrow kam, desto lebendiger wurden meine Erinnerungen an das Vaterhaus. Von Tag zu Tag erwartete ich Tom. Eines Morgens sah ich unsern Reisewagen vor dem Hause halten. Tom stieg aus und hob meinen Vater und meine Mutter aus dem Wagen.

      Meine Freude war unaussprechlich. Es gibt im Leben drei oder vier solcher Augenblicke, wo der Mensch ganz glücklich ist; und wie kurz diese Augenblicke auch sind, so genügen sie doch, um das Leben lieb und werth zu machen. Meine Eltern begaben sich mit mir zu dem Doctor Butler. Man lobte mich in meiner Gegenwart nicht allzusehr, aber man gab meiner Mutter deutlich zu verstehen, daß man mit mir zufrieden sei. Meine guten Eltern freuten sich herzlich.

      Als wir den Doktor Butler verließen, fand ich Robert Peel, der mit Tom sprach. Tom schien entzückt über das was ihm Robert erzählte. Der Letztere hatte bereits Abschied von mir genommen, weil er den Ferienmonat ebenfalls bei seinen Eltern zubringen wollte. Er hatte sich seit meinem Abenteuer mit Paul Wingfield immer als mein Freund bewährt. Sobald sich eine schickliche Gelegenheit darbot, ging Paul mit meinem Vater auf die Seite und sprach leise mit ihm. Mein Vater kam auf mich zu, küßte mich und sagte für sich hin: »Ja, ja, es wird ein ganzer Mann aus ihm.« Meine Mutter wollte wissen, was es gebe; Sir Edward gab ihr durch einen Wink zu verstehen, sie möge sich gedulden, sie solle es schon erfahren. Die Zärtlichkeit, mit der sie mir gute Nacht wünschte, bewies, daß er im Laufe des Tages Wort gehalten hatte.

      Meine Eltern erboten sich, eine Woche mit mir in London zuzubringen; aber meine Sehnsucht nach Williamhouse war so groß, daß ich lieber sogleich nach Derbyshire abreisen wollte. Mein Wunsch wurde erfüllt. Am andern Morgen fuhren wir ab.

      Das Wiedersehen meiner Heimat nach dieser ersten Abwesenheit machte einen unbeschreiblichen Eindruck auf mich. Die Hügelkette, welche Chester von Liverpool trennt; die zum Schlosse führende Pappelallee, in welcher mich jeder Baum zu begrüßen schien; der Hofhund, der ans seiner Hütte sprang und fast die Kette zerriß, um mich zu bewillkommnen; Mistreß Denison, die mich in ihrem irischen Kauderwelsch fragte, ob ich sie nicht Vergessen; mein mit freiwilligen Gefangenen angefülltes Vogelhaus; der gute Sanders, der pflichtschuldigst seinen jungen Herrn begrüßte – kurz Alles machte mir Freude, sogar der Doktor und Mr. Robinson, obgleich ich diesen beiden Herren nicht sehr gewogen gewesen war, weil ihre Ankunft fast immer das Signal zum Schlafengehen war.

      Ich fand Alles unverändert. Jedes Hausgeräth war an seinem gewohnten Platze. Der Lehnstuhl meines Vaters stand am Camin, der Arbeitstisch meiner Mutter am Fenster, der Spieltisch indem Winkel hinter der Thür.

      Alle Bewohner des Schlosses hatten in meiner Abwesenheit ihr ruhiges, zufriedenes Leben fortgesetzt; ich allein hatte einen neuen Weg betreten und fing an mit freudigen, vertrauenvollen Blicken in die Ferne zu schauen.

      Mein erster Besuch galt dem See. Ich eilte meinem Vater und Tom voraus, um meine Brigg einen Augenblick früher wiederzusehen. Sie wiegte sich noch immer anmuthig auf derselben Stelle; ihre Wimpel flatterten im Winde; das Boot lag in der Bucht. Ich legte mich in das hohe Gras und weinte vor Freude. Mein Vater und Tom holten mich ein. Wir stiegen in das Boot und begaben uns an Bord.

      Das Verdeck war Tags zuvor gescheuert und gebohnt worden: man sah, daß ich in meinem schwimmenden Palast erwartet wurde. Tom feuerte eine Kanone ab. Es war der Signalschuß für die Schiffsmannschaft. Zehn Minuten nachher waren unsere sechs Matrosen am Bord.

      Ich hatte von der Theorie nichts vergessen, und meine gymnastischen Uebungen hatten meine Kraft und Gewandtheit vermehrt. Ich führte jedes Manöver so rasch und sicher aus wie der geschickteste Matrose. Mein Vater war überglücklich und sah mich gleichwohl mit Besorgniß im Takelwerk herumklettern. Tom klatschte in die Hände; meine Mutter, die uns nachgekommen war und vorn Ufer zusah, wendete sich oft ab, um meine halsbrechenden Künste nicht zu sehen.

      Die Tischglocke rief uns ins Schloß zurück. Es waren viele Gäste geladen, um meine Rückkehr zu feiern.

      Der Doktor und Mr. Robinson erwarteten uns vor der Thür. Beide befragten mich über meine Studien und Beide schienen mit meinen Kenntnissen sehr zufrieden.

      Nach Tische ging ich mit Tom zum Scheibenschießen. Abends wurde ich, wie vormals, das ausschließliche Eigenthum meiner Mutter.

      Ich hatte vom ersten Tage an meine frühere Lebensweise wieder angenommen: ich hatte überall meinen Platz wieder gefunden, und nach drei Tagen erschien mir das verflossene Schuljahr wie ein Traum. O, wie schnell vergehen die schönen frischen Jugendjahre! Und doch erfüllen sie die ganze übrige Lebenszeit mit Erinnerungen! Viele wichtige Dinge habe ich vergessen, aber die geringsten Vorfälle meiner Schuljahre sind tief in mein Gedächtniß eingegraben. – Die fünf Jahre, welche meinem Eintritt in das College folgten, vergingen mir wie ein Tag ; aber wenn ich zurückblicke, schienen sie mir von einer andern Sonne erleuchtet, als meine übrige Lebenszeit. Wie viel Unglück ich nachher auch ertragen habe, ich danke dem Himmel für meine glückliche Jugend.

      So kam das Ende des Jahres 1810. Ich war im siebzehnten Jahre.

      Meine Eltern holten mich wie gewöhnlich im Spätherbst ab ; aber dieses Mal zeigtest sie

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