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daß er nur noch zwei Stunden zu leben habe. Der junge Mann weinte heiße Thränen, während er die Verwerfung seines Gesuchs vernahm; er hat dem Priester gebeichtet, der einige Minuten später in sein Gefängniß kam und der ihn nicht eher als auf dem Schafott wieder verlassen hat. Nach seiner Beichte hat er zu dem Geistlichen gesagt:

      »—Ein so guter Christ man auch sein möge, mein Vater, so ist es doch sehr traurig, unschuldig sterben zu müssen, und besonders in meinem Alter!«

      »—Auch unser Herr Christus ist unschuldig gestorben. . .« erwiderte ihm der Priester.

      »—Ja, mein Vater, aber er büßte durch seinen Tod die Sünden der Menschen, während der meinige Niemandem nützt!«

      »Der Henker ist hierauf eingetreten, um die letzte Toilette des Verurtheilten zu machen.

      »– Wünschen Sie noch etwas, ehe Sie sterben?« fragte man diesen. r

      »– Ein Blatt Papier, eine Feder und Dinte,« antwortete er.

      »Das Verlangte wurde. ihm gebracht und er schrieb Folgendes:

      »In dem Augenblicke, wo ich sterben muß,

      »verzeihe ich Denen, die mich verurtheilt haben, denn bei

      »den Beweisen, die auf mir lasteten, würde ich an ihrer

      »Stelle das Nämliche gethan haben. Aber ich

      »schwöre nochmals, daß ich unschuldig bin an dem

      »Verbrechen, wegen dessen ich den Tod erleide,

      »und ich hoffe, daß einst die Wahrheit an den Tag

      »kommen wird, damit mein Name, so wie der meines

      »armen Vaters, welcher verschwunden, und meiner

      »unglücklichen Mutter, die in Wahnsinn verfallen ist,

      »wieder zu: Ehren komme.

»Jean Raynal.«
»Am 15. Juli 1825.

      »– Mein Vater, sagte der Verurtheilte hierauf zu dem Priester, ich bitte Sie, dieses Papier aufzubewahren; es enthält die Zukunft eines Unglücklichem der nur noch eine Stunde zu leben hat.«

      »Jean Raynal hat hierauf, nachdem er Speise und Trank verweigert, einen Wagen bestiegen und ist mit der größten Ruhe und Ergebenheit die Stufen des Schafotts hinaufgegangen.

      »Zwei Minuten später war die menschliche Gerechtigkeit gesühnt.«

      Erstes Kapitel.

      Der Nicolas

      Acht Jahre sind vergangen.

      Wir sind im October 1833, um neun Uhr Abends, und auf dem weiten indischen Ocean, dessen Wellen mit eintönigem Brausen von dem Archipel der Sundainseln bis zum Nebelkap ziehen, schwimmt ein Schiff in der Dunkelheit still und mühsam daher.

      Es ist der Nicolas, welcher von der Insel Madagascar kommt, am Kap anlegen und dann nach Manila steuern will.

      Auf dem Verdeck des Schiffes ist es einsam und still. Mit Ausnahme des wachthabenden Officiers, der, in seinen Regenmantel gehüllt und die Hände auf den Rücken gelegt, auf – und abgeht, und des Steuermanns an seinem Rade, ist kein lebendiges Wesen zu sehen.

      Die Nacht ist nicht allein dunkel, sondern kalt; der Himmel und das Meer haben eine gleichmäßige, schiefergraue Farbe und ein feiner Regen peitscht die Takelage des Schiffs.

      Man hört Nichts als das Krachen des Fahrzeugs, welches alle seine Kräfte anstrengt, um diese mächtige See zu überwinden, und sich, wie ein Roß Unter den Sporen des Reiters, auf seinem Kiele bäumt./P>

      Wir steigen in das Zwischendeck hinab um zu sehen, was hier vorgeht. In einer großen Kajüte, welche während des Tages als Speisesaal und des Abends als Versammlungszimmer dient, und die jetzt von einer an der Decke hängenden und mit einem breiten Schirme bedeckten Lampe erleuchtet wird, sitzen vier Personen um einen großen leeren Tisch. Zwei von ihnen spielen Domino, es ist der Commandant Durantin und der Doktor Maréchal.

      Der Dritte lies’t, den Kopf aus die rechte Hand und den Ellenbogen auf den Tisch gestützt, auf der sein Buch liegt.

      Der Vierte thut eigentlich Nichts, aber er scheint in so tiefe Betrachtungen versunken zu sein, daß er leicht von Allen Vieren am Meisten beschäftigt sein könnte.

      Der Commandant ist ein Mann von ungefähr fünfundvierzig Jahren, ein gewöhnlichen Schiffsanzuge, ein ächter Seemann mit freiem Blick. einer Adlernase und weißen Zähnen.

      Der Doktor kann etwa zweiunddreißig Jahre alt sein; er hat ein offenes Gesicht, ein klares, sanftes Auge, wie das eines Mannes sein muß, dessen Herz, dessen Magen und dessen Kopf gesund ist.

      Ost Lesende ist ein junger Mann, den man höchstens für fünfundzwanzig Jahre halten kann; sein Name ist Felician Pascal, sein Gesicht ist bleich, seine von hohen. schwarzen Brauen beschatteten Augen haben einen außerordentlich sanften Ausdruck und sein gern lächelnder Mund scheint ihm nur gegeben zu sein, um fromme Worte zu sprechen; obgleich er keine Priesterkleidung trägt, so hat er doch schon die Tonsur erhalten und besitzt die ganze evangelische Milde eines jungen Dieners des Herrn. Wenn seine Hand sich auf das Buch legt, um ein Blatt >umzuwenden, so kann man sich nicht enthalten, die weibliche Zartheit und die aristokratische Form dieser Hand zu bemerken. Er ist ganz schwarz gekleidet, von mittlerem Wuchse und mehr schwächlicher als kräftiger Gestalt. In dem Augenblicke-, wo wir seine Bekanntschaft machen, ist sein auf der Hand ruhendes Gesicht, das von langen, schwarzen Haaren eingerahrnt und von der über ihm hängenden Lampe zur Hälfte beleuchtet wird, das angenehmste und gewinnendste, welches man sehen kann; es spricht aus ihm die Ruhe der Seele, der lebendige Glaube, das reine Gewissen.

      Der Vierte, welcher in einiger Entfernung von den Uebrigen auf einem an der Wand der Kajüte stehenden Sopha sitzt oder vielmehr liegt, befindet sich völlig im Halbdunkel. Er ist dreißig Jahre alt, aber Jedermann würde ihn für fünf Jahre älter halten; es ist eine große, kräftige Gestalt, und seine Züge, sowie seine Kleidung, sind ein Gemisch von angeeigneter Distinction und von angeborener Alltäglichkeit. Wir wollen diesen Mann näher in’s Auge fassen und mit dem Kopfe beginnen. Ein etwas dunkler, von der tropischen Sonne gebräunter Teint, schwarze, wie die Flügel des Raben glänzende Haare, die in natürlichen Locken herabfallen und mit der größten Sorgfalt geordnet sind, eine wie Elfenbein glatte Stirn, mit den Erhöhungen der Entschlossenheit und des festen Willens, in reinen, ununterbrochenen Halbkreisen gebogene Brauen über einem Paar forschender Augen, welche mit außerordentlicher Beweglichkeit den Blicken Anderer ausweichen, die aber die Spuren einer- nicht durch physische Ausschweifungen, sondern durch innere Aufregung ermatteten Lebenskraft tragen; dies ist es, was an dem Gesicht dieses Mannes zuerst ausfällt. Die Nase ist gerade und wohlgeformt, aber die übrigen Theile des Gesichts können den prüfenden Blick leicht täuschen, denn ein dichter, an den Ohren beginnender Bart läßt Nichts davon sehen, als ein paar blasse Lippen, welche eine Doppelreihe weißer Zähne bedecken.

      Im Gegensatze zu dem jungen Manne, den wir vorher schilderten, hat der, von dem wir fest sprechen, starke Hände mit muskulösen Fingern; er widmet ihnen eine große Sorgfalt, aber obgleich es ihm gelungen ist, sie weiß zu erhalten, so hat er ihnen doch keine elegante Form geben können. Sie sind zur Hälfte von feingefalteten Battistmanschetten bedeckt und an dem kleinen Finger der rechten Hand funkelt ein werthvoller Diamant.

      Dieser Mann trägt eine weiße seidene Cravatte, die nachlässig um seinen Hals geschlungen ist, ein Gilet von englischem Stoffe, mit großen rothen, gelben und grünen Carreaus, in dessen linker Tasche sich eine dicke goldene Kette, welche quer über das weiße Hemd läuft, nebst der daran befestigten Uhr, verliert. Den Anzug vervollständigt eine Art Jäckchen von schwarzem Sammet, ein Beinkleid von braunem Cashemir, weißseidene Strümpfe und Tanzschuhe, welche dem Fuße Feinheit geben sollen. Dies ist das vollständige Bild dieses Mannes, der jenen durchdringenden Geruch von Ambra oder Moschus um sich verbreitete, mit dem die Bewohner der Kolonien sich so gern, aber zu ihrem Nachtheil umgeben.

      Ist dieser Mensch gut oder schlecht? Das ist schwer zu sagen. Sind die Blässe und der scheue Ausdruck seines Gesichts und besonders die unangenehmen Linien, die ihm seinen hauptsächlichsten

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