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zu entfliehen.«

      »Hernach?« fuhr der junge Mann in seinem fragenden Tone fort.

      »Hernach.« sprach der alte Gefangene; »es geschehe der Wille Gottes!«

      Und ein Ausdruck tiefer Resignation verbreitete sich über die Gesichtszüge des Greises.

      Dantes schaute diesen Mann, welcher mit so viel Philosophie auf eine seit langer Zeit genährte Hoffnung Verzicht leistete, mit einem mit Bewunderung gemischtem Erstaunen an.

      »Wollen Sie mir nun sagen. wer Sie sind?« fragte Dantes.

      »Oh! mein Gott, ja, wenn es Sie noch interessieren kann, jetzt, da ich zu nichts mehr für Sie gut bin.«

      »Sie können mir dazu gut sein, daß Sie mich trösten und aufrecht erhalten, denn Sie scheinen mir ein Starker unter den Starken zu sein.«

      Der Abbé lächelte traurig und sprach:

      »Ich bin der Abbé Faria. Gefangener seit 1811, wie Sie wissen, im Castell If, war jedoch drei Jahre lang in der Festung Fenestrelle eingesperrt. Im Jahre 1808 brachte man mich von Piemont nach Frankreich. Damals erfuhr ich, daß das Schicksal, welches ihm zu jener Zeit unterthan zu sein schien, Napoleon einen Sohn gegeben hatte, und daß dieser Sohn in der Wiege zum König von Rom ernannt worden war. Ich war weit entfernt, zu vermuten, was Sie mir vorhin sagten, nämlich, daß vier Jahre später der Koloß eingestürzt wäre. Wer regiert denn in Frankreich? Napoleon II.?«

      »Nein. Ludwig XVIII.«

      »Ludwig XVIII. der Bruder Ludwig XIV. Die Beschlüsse des Himmels sind seltsam und geheimnisvoll. Was war die Absicht der Vorsehung, als sie den Mann erniedrigte, den sie erhoben hatte, und denjenigen erhob, den sie erniedrigt hatte?«

      Dantes folgte mit den Augen diesem Manne, welcher einen Moment sein eigenes Schicksal vergaß, um sich mit dem Geschicke der Welt zu beschäftigen.

      »Ja,« fuhr er fort, »es ist wie in England: nach Karl I. Cromwell, nach Cromwell Karl II. und vielleicht nach Jacob II. irgend ein Schwiegersohn, ein Verwandter, ein Prinz von Oranien, ein Stathouder, der sich zum König machen wird und dann neue Einräumungen für das Volk, dann eine Constiution, dann die Freiheit! Sie werden dies sehen, junger Mann,« sprach er, wandte sich gegen Dantes und schaute ihn mit glänzenden, tiefen Augen an, t wie sie die Propheten haben mußten. »Sie sind noch in einem Alter, um zu sehen, und werden es sehen.«

      »Ja, wenn ich von hier wegkomme.«

      »Ah! das ist richtig,« sprach der Abbé Faria, »wir sind Gefangene; es gibt Momente, wo ich es vergesse, und wo ich mich in Freiheit glaube, weil meine Augen die Wände durchdringen, die mich umschließen.«

      »Aber warum sind Sie eingesperrt?«

      »Ich? weil ich im Jahre1807, von dem Plane träumte, den Napoleon im Jahre 1811 verwirklichen wollte, weil ich, wie Macchiavell mitten unter diesen Fürstlein, welche aus Italien ein Nest tyrannischer, schwacher Königreiche machten, ein einziges und großes, compaktes und festes Reich wollte, weil ich meinen Cesare Borgia in einem einfältigen gekrönten Haupte zu finden glaubte, das sich den Anschein gabt als verstünde es mich, um mich besser erraten zu können. Es war der Plan von Alexander VI. und von Clemens VII.; er wird ewig scheitern, da sie diese Suche vergeblich unternommen haben und Napoleon dieselbe nicht zum Ende fuhren konnte; Italien ist offenbar verflucht.«

      Und der Greis neigte sein Haupt.

      Dantes begriff nicht, wie ein Mensch sein Leben für solche Interessen wagen konnte. War ihm Napoleon bekannt, weil er ihn gesehen und mit ihm gesprochen hatte, so wußte er dagegen allerdings nichts von Clemens VII. und Alexander VI.

      »Sind Sie nicht,« sprach Dantes, der die Meinung seines Gefangenenwärters, welche die allgemeine im Castell If war, zu teilen anfing, »sind Sie nicht der Priester, den man für . . . krank hält?«

      »Den man für verrückt hält, wollen Sie sagen, nicht wahr?«

      »Ich wagte es nicht,« versetzte Dantes lächelnd.

      »Ja, ja,« fuhr Faria mit einem bittern Lachen fort, »ja, ich gelte für einen Narren. Ich belustige seit geraumer Zeit die Gäste dieses Gefängnisses, und würde die kleinen Kinder belustigen, wenn es Kinder an diesem Wohnorte des trostlosen Schmerzes gäbe.«

      Dantes blieb einen Augenblick unbeweglich und stumm vor Erstaunen.

      »Sie leisten also Verzicht auf die Flucht?« fragte er.

      »Ich sehe, daß die Flucht unmöglich ist. Das versuchen, was nach Gottes Willen nicht geschehen soll, hieße Gott versuchen.«

      »Warum lassen Sie sich entmutigen? Mit dem ersten Schlage siegen zu wollen, wäre zu viel von der Vorsehung verlangt. Können Sie nicht in einer andern Richtung wieder anfangen, was Sie in dieser getan haben?«

      »Wissen Sie, was ich getan habe, daß Sie von Wiederanfangen sprechen? Wissen sie daß ich vier Jahre brauchte, um die Werkzeuge zu verfertigen, welche ich besitze? wissen Sie, daß ich seit zwei Jahren eine Erde auskratze und aushöhle, die so hart ist wie Granit? Wissen Sie, daß ich Steine lösen mußte, welche ich früher nicht bewegen zu können glaubte, daß ganze Tage in dieser Titanenarbeit vergingen, und daß ich zuweilen am Abend glücklich war, wenn ich einen Quadratzoll von diesem alten Cement weggebrochen hatte, das so hart geworden war, wie der Stein selbst? Wissen Sie, daß ich um alle diese Erde und alle diese Steine unterzubringen, das Gewölbe einer Treppe durchbrechen mußte, unter welchem nach und nach alle diese Trümmer begraben wurden, so daß der früher leere Raum gänzlich voll ist, und daß ich nicht wußte, wohin ich nur noch eine Handvoll Staub legen sollte? Wissen Sie endlich, daß ich das Ziel aller meiner Arbeiten zu berühren glaubte, daß ich gerade nur die Kraft in mit fühlte, dieser Aufgabe zu entsprechen, und daß Gott dieses Ziel nicht nur zurück rückt, sondern es, ich weiß nicht wohin versetzte? Ah! ich wiederhole Ihnen, ich werde fortan nichts mehr versuchen, um meine Freiheit zu erringen, da sie nach dem Willen Gottes auf immer verloren sein soll.«

      Edmond senkte den Kopf, um nicht diesem Manne zu gestehen, daß die Freude, einen Gefährten zu haben, ihn verhinderte, Mitleid mit dem Schmerze zu fühlen, den der Gefangene darüber empfand, daß er sich nicht hatte flüchten können.

      Der Abbé Faria ließ sich auf das Bett von Edmond nieder, Edmond aber blieb stehen.

      Der junge Mann hatte nie an die Flucht gedacht. Es gibt Dinge, welche so unmöglich erscheinen, daß man nicht einmal den Gedanken hat, sie zu versuchen, und daß man sie instinktartig vermeidet. Fünfzig Fuß unter der Erde graben, dieser Operation eine Arbeit von drei Jahren widmen, um, wenn sie gelingt, an einen senkrecht nach dem Meere laufenden Absturz zu gelangen: sich fünfzig, sechzig, hundert Fuß vielleicht hinabwerfen, um sich beim Fallen den Schädel auf irgend einem Felsen zu zerschmettern, wenn man nicht bereits von der Kugel der Schildwache getötet worden ist; entgeht man allen diesen Gefahren, schwimmend eine Meile zurücklegen müssen, das war zu viel, um nicht darauf Verzicht zu leisten, und wir haben gesehen, daß Dantes seine Resignation beinahe bis zum Tode trieb.

      Jetzt aber, da der junge Mann einen Greis erblickte, der sich so mächtig an das Leben anklammerte und ihm ein Beispiel verzweiflungsvoller Entschlüsse gab, fing er an nachzudenken und seinen Mut zu messen. Ein Anderer hatte versucht, was zu tun ihm nicht einmal in den Sinn kam; ein Anderer, minder jung, minder stark, minder gewandt als er, hatte sich durch Geschicklichkeit und Geduld alle die Werkzeuge verschafft, deren er für seine unglaubliche Arbeit bedurfte, die nur eine schlecht getroffene Maßregel scheitern machen konnte; ein Anderer hatte alles dies getan, es war also Dantes nichts unmöglich: Faria hatte fünfzig Fuß durchgraben, er würde hundert durchgraben, Faria hatte in einem Alter von fünfzig Jahren drei Jahre zu seinem Werke verwendet, er war nur halb so alt als Faria und wurde sechs dazu verwenden. Faria, ein Abbé, ein Gelehrter, ein Mann der Kirche, hatte sich nicht vor dem Wagniß gefürchtet, schwimmend vom Castell If die Insel Daume, Ratonneau oder Lemaire zu erreichen; er, Edmond, der Seemann, der kühne Taucher, der so oft einen Korallenzweig auf dem Grunde des Meeres gesucht, sollte zögern, eine Meile schwimmend zurückzulegen? Wie viel bedurfte man, um eine Meile weit zu schwimmen? eine Stunde. War er nicht oft ganze Stunden im Meer geblieben, ohne am Ufer Fuß zu fassen! Nein, nein, Dantes bedurfte nur der Ermutigung durch ein Beispiel. Alles,

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