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Adams Söhne. Adolf von Wilbrandt
Читать онлайн.Название Adams Söhne
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Adolf von Wilbrandt
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
»Gehört der Hund zu Ihnen?« fragte Saltner trocken.
»Nein; ich weiß nichts von einem Hund. Der da? Ich kenn’ ihn nicht. Hat der mich etwa gerettet? Dann möcht’ ich ihm – — Wir werden ihm nachher eine große Wurst kaufen«, setzte der junge Mann hinzu, statt den andern Satz zu vollenden, und lächelte wieder. Er erhob sich dann langsam auf die Füße. Seine Gestalt war klein neben der des Riesen, aber schlank, aristokratisch; nur die Schultern etwas hoch und spitz. Ein Brillant glänzte auf seiner farbigen Krawatte. Die etwas abgetragenen Handschuhe waren stark mit Erde bedeckt. Er sah das, lachte auf und schlug sie mehrmals stark gegeneinander, wie wenn er Beifall klatschte; dann nickte er dem jungen Berthold, den er verwundert betrachtete, in drolliger Heiterkeit zu und zog den Schuh wieder an, den er verloren hatte.
»Wie kamen Sie denn hierher?« fragte Wittekind.
»Ja, wie kommt man zu solchen Dummheiten!« erwiderte der andre, der sich nun auch den Bart von einigen Erdkrumen reinigte; denn ein lichtbrauner, schöngeformter Schnurrbart kräuselte sich über der Oberlippe. »Ich war da drüben in Salzburg; hatte einen Brief bekommen, dass ich da nichts zu tun hätte, dass ich anderswo – — na, kurz, einen Brief. Ich steige also auf den Mönchsberg, eh’ ich wieder abreise; sehe auf die Stadt hinunter und in die Natur. Und da fallen mir hier so ein paar sonderbare, verrückte Felsen auf; die willst du besteigen! Dacht’ ich. Denn was sollt’ ich sonst? Ich hatte ja nichts zu tun! – Das war heute früh. Ich fuhr auf der kleinen neuen Bahn bis an die Berge, kletterte dann herauf. Und zu guter Letzt – bin ich hier eingeschlafen. Aber die Vorsehung, ohne die bekanntlich kein Sperling vom Dache fällt – — Kurz, da steh’ ich. Ein nützliches, wichtiges Leben ist gerettet. Und da ist ja auch noch mein Hut … Alles ist gerettet!«
Er lachte wieder auf. Es war ein etwas mühsam leichtsinniges Lachen, das Wittekind nicht gefiel. Dagegen erstaunte er, wie schön und dem Ohr sich einschmeichelnd der Fremde sprach; fast ein wenig zu gut, wie oft Schauspieler oder Prediger sprechen. Er fühlte sich an Waldenburgs Art zu reden erinnert. Der junge Mann verzog auf einmal das Gesicht, ward blass, und fragte nach dem nächsten Wirtshaus; es hungere ihn heftig. Auch die Rettungs-Prämie für den Hund, die Wurst, müsse ja gekauft oder gesotten werden.
»Nun, so geh’n Sie mit uns«, sagte Saltner; »zur ›Gemse‹. Da sorgt man für Mensch und Hund!«
»Ich schließe mich Ihnen also an, wenn Sie erlauben«, entgegnete der Fremde und machte sich sogleich auf den Weg.
Im Geh’n fiel ihm ein:
»Ich hatte doch einen Überrock. Wo ist der geblieben? Wo ich lag, da liegt keiner. Ah! Der ist also statt meiner —«
»Hinuntergerollt«, ergänzte der Alte.
»So scheint es. Der Glückliche!« sagte der junge Mann, mit einem verzerrten, unsinnigen Lächeln, das Wittekind sonderbar ergriff. Dann zuckte er die Achseln, und blickte einen der Männer nach dem andern mit jugendlicher Heiterkeit an.
»Jetzt bin ich der weise Bion – oder wie hieß er —: Omnia mea mecum porto! Denn mein bisschen Gepäck, das hab’ ich schon unterwegs verloren, eh’ ich nach Salzburg kam; in irgendeinem Coupé. Ich behalte nichts. Das ist schon mein Schicksal. Also auf zur ›Gemse‹! Ich vergesse«, setzte er hinzu und blieb wieder steh’n: »ich habe mich den Herren noch nicht vorgestellt. Dorsay ist mein Name. Eugen Dorsay. Vierundzwanzig Jahre alt; gegenwärtig – Reisender, oder was Sie wollen.«
Er schob die Füße und die Knie aneinander und verneigte sich mit vollendeter Grazie; die Schönheit seiner Gestalt, seiner Bewegungen war noch auffallender als zuvor. Die Herren erwiderten seine Höflichkeit Als er Wittekinds Namen hörte, stutzte er und betrachtete ihn aufmerksam; aber er blieb stumm.
»Wo ist der Hund?« fragte er nach einer Weile, da sie weitergingen.
Der ›Lebensretter‹ hatte sich ihnen anfangs angeschlossen, stand nun aber hinter ihnen still, wo zwei Waldwege sich kreuzten, und schien noch zu schwanken, wohin er sich wenden sollte.
»Heda!« rief Dorsay. »Her zu uns! – Die Wurst! Vergiss nicht: die Wurst! Der Lohn deiner Tugend!«
Der Rattler ließ sich aber nicht locken; den Schwanz zwischen die Beine nehmend wandte er sich langsam und trabte in anderer Richtung davon.
Dorsay hob die Arme, und mit pathetischen Bewegungen, als stände er auf der Bühne, rief er dem Flüchtling nach:
»He, Romeo! Mein Vetter Romeo! —
Bei Rosalindens hellem Aug’ beschwör ich dich,
Bei ihrer hohen Stirn, den Scharlachlippen…«
Der Hund lief nur umso hurtiger in den Wald hinein. Endlich lachte Dorsay auf. Er wandte sich zu Berthold:
»Sehen Sie«, sagte er, »das ist der Lauf der Welt! Die Tugend geht ohne Lohn davon; und das Laster – — nun, das Laster setzt sich an die Tafel!«
»Bei alledem gestatten Sie mir die Frage«, sagte Saltner mit einem fast grimmigen Gesicht, da er die dicken Brauen tief herunterzog: »was für ein starker, süßer Teufelsduft kommt denn da von Ihnen? Er ist gar nicht übel, aber von einer Gewalt – — Er liegt in der Luft, wie Weihrauch in der Kirche; man riecht ja den Wald nicht mehr.«
Statt zu antworten, griff der junge Mann in die Brusttasche, zog einen mit Golddruck verzierten Brief heraus und hielt ihn dem Alten vors Gesicht.
»Sie meinen, von dem Brief da kommt’s? Nun ja, von dem Brief. Das ist eben der, von dem ich vorhin sagte. Von einer Dame natürlich…«
Er lächelte, gar liebenswürdig leichtfertig, und steckte ihn wieder ein.
»Aber erlauben Sie«, brummte der Alte: »von so einem Brief in der Tasche wird nicht eine ganze Gegend lasterhaft; denn das ist wirklich ein lasterhaft süßer Wohlgeruch. Wenn die Sünde als Weib herumginge, das wär’ ihr richtiger Duft!«
Dorsay lachte laut. Es wirbelte wie eine Art von Musik zu den Wipfeln hinauf; denn diesem etwas bedenklichen Gesellen steckte ein eigener goldener Zauber in der Kehle.
»Sie haben übrigens Recht«, sagte er darauf. »Mein ganzer Rock – — Mir fällt jetzt ein: von demselben Duft hatt’ ich noch einen Rest, den hab’ ich mir, eh’ ich nach Salzburg kam, auf den Rock gegossen. Davon riech’ ich nun so nach Sünde. Pardon! Wie alles vergeht, wird auch das vergeh’n. Sie werden in der ›Gemse‹ staunen, werter Herr, wie tugendhaft ich auch sein kann. Wären wir nur erst dort! Ich hab’ eine Sehnsucht nach allerlei Labsal – und nach Ruhe – nach Kühle – — Mir wird gar nicht gut!«
Er sagte das noch scherzend; es war aber eine letzte Anstrengung, mit der es zu Ende ging. Da sie aus dem Wald in eine Lichtung hinausgetreten waren, die in der Sonne glühte, schien sich dem Fremden ein Druck auf die Augen, auf das Hirn zu legen, wie in zu heißem Bad; er hob seine Hand zum Kopf, sein Gesicht überfüllte sich mit Blut, er begann zu seufzen. Endlich stand er still. Er schwankte.
Saltner und Wittekind, schnell entschlossen und in schweigendem Einverständnis, fassten ihn rechts und links und führten ihn, so eilig wie sie konnten, über die Lichtung fort; der eine mehr als mannesstark, der andre von Riesenkraft: so trugen sie die schlanke, leichte Gestalt fast mehr, als sie sie führten. Er widerstrebte nicht, er sprach auch nicht; mit geschlossenen Augen seufzte er zuweilen leise vor sich hin.
Als sie dann in neuem Wald, auf dem Wege, der Wittekind gestern zur ›Hedwigsruhe‹ geführt hatte, vollends abwärts stiegen, schien die Schwäche von ihm zu weichen; er beteuerte mit freilich noch matter Stimme, er könne allein gehen, er bedürfe keiner Hilfe mehr. Doch in der Nähe der ›Gemse‹, da ihm die Sonne wieder auf den Scheitel brannte, begann er in erschreckender Weise zu stöhnen, und seine Glieder wurden wie Binsen, alle Kraft verließ ihn. Sie schleppten ihn noch eine Weile auf der Straße fort; etwa zwanzig Schritte vom Wirtshaus sank er ihnen bewusstlos aus den Armen.
Kathi