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Der Held von Garika. Adolf Mützelburg
Читать онлайн.Название Der Held von Garika
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Adolf Mützelburg
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
Und nach einer Pause fügte er hinzu:
»Was meinst Du, Johnny, Miss Mary muss jetzt eine stattliche Dame sein? Mr. Hywell wird daran denken, sie zu verheiraten. Sollte sie vielleicht in Ostindien einen Nabob gefunden haben?«
Er versuchte dabei zu lächeln. Johnny schüttelte leicht den Kopf.
»Miss Mary lässt sich nicht so ohne weiteres verheiraten«, sagte er. »Die hat ihren Willen für sich. Und Mr. Hywell ist ja selbst ein kleiner Nabob. Nach Geld braucht Miss Mary nicht zu heiraten.«
Am folgenden Morgen verließen George und Johnny Sinope. Mr. Wiedenburg, der vielleicht die Pläne Georges erriet, hatte vergebens versucht, den jungen Mann zurückzuhalten und ihm dann, als George unerschütterlich auf seinem Vorsatz beharrte, nicht nur versprochen ihm, sobald er etwas über Mr. Hywell erfahren, Nachricht nach Tschefketil nachzusenden, sondern auch für alle Fälle, wie er sagte, die Namen einiger Deutschen und Engländer in Tiflis und in Eriwan genannt, an welche sich George wenden sollte, wenn er Beistand bedürfe.
Ungefähr vierundzwanzig Stunden, nachdem es in die kleine schützende Bai eingelaufen, verließ das türkische Boot den sichern Zufluchtsort. Als es, mit dem nördlichen Winde kämpfend, die Höhe des Meeres zu erreichen suchte, sank George auf die Knie und flüsterte in stiller Erregung ein Gebet.
Auf der Reede von Sinope lagen noch die russischen Kriegsschiffe und ließen ihre Banner lustig und triumphierend herüberwehen.
II. Ein kolchisches Paradies
Im Süden des Kaukasus, in einer dem russischen Zepter unterworfenen Provinz, liegt Schloss und Stadt Garika1, einst die Hauptstadt eines Königreichs gleichen Namens. Die unbedeutenden Häuser der Stadt ziehen sich am Fuße eines Felsens längs eines kleinen Flusses hin der den im Orient häufig wiederkehrenden Namen Karassu (Schwarzwasser) führt und der nur im Winter reißend, im Sommer aber gewöhnlich so seicht ist, dass man ihn durchwaten kann. Hoch auf dem Felsen, der steil nach dem Flusse abfällt, liegt Schloss oder Burg Garika, mit einer entzückenden Rundsicht auf die schneebedeckten Gipfel des Kaukasus im Norden das herrliche Flusstal mit seinen Weinbergen jenseits des Flusses und die schönen Wälder im Süden und Westen. Es mag einst sehr fest gewesen sein; die Außenmauern sind aber längst geschleift, und einige im modernsten russischen Geschmack errichtete Pavillons und Nebenhäuser zeigen deutlich, dass hier eine neue Zivilisation unter den Fittigen des russischen Adlers eingezogen.
Es war in den ersten Tagen des Dezember, und die Wälder prangten noch in ihrem glühendsten herbstlichen Schmuck, als ein junger Reiter Schloss Garika verließ und den sanften Abhang hinabritt, der sich südlich vom Schlosse nach den Wäldern hinzieht und mit den herrlichsten Baumgruppen bedeckt ist. Er ritt ein prächtiges Pferd von echter Rasse und trug die Uniform eines russischen Milizoffiziers, jedoch nicht nur mit dem Abzeichen eines höhern Ranges, sondern auch mit einigen selbsterfundenen malerischen Verzierungen, wie der Orientale sie liebt und die russischen Generale sie gern gestatten, da Glanz und Schmuck des Offiziers dazu beitragen, sein Ansehen bei den eingeborenen Truppen zu erhöhen. Es war ein schöner junger Mann, noch nicht dreißig Jahre alt, mit vollem, schwarzem Schnurrbart und von mehr schlanker als kräftiger Gestalt. Das etwas blasse, aber noch jugendlich frische Gesicht zeigte einen träumerischen Ausdruck; auch war die Haltung des Reiters nachlässiger, als man sie bei europäischen Offizieren findet. Der Orientale lässt sich gehen, bis der Augenblick seine ganze Kraftanstrengung verlangt. Der Schnitt des Gesichts zeigte den Kaukasier oder Circassier.
Der junge Offizier ritt langsam unter den schönen Buchen hin, in Gedanken verloren, als plötzlich ein Mann in der ärmlichen Tracht der eingeborenen Bauern hinter einem Baumstamme hervortrat. Da er waffenlos war und seine spitze Mütze demütig in der Hand trug, so hatte der Offizier nicht nötig, nach seinem Säbel oder nach den Pistolen zu greifen, deren goldverzierte Schäfte aus den Halftern hervorglänzten. Er wollte auch ruhig, ohne auf den Bauer zu achten weiterreiten, als er sah, dass dieser ihm ein Papier hinhielt.
»Was willst Du? Eine Bettelei?« fragte der Offizier in der Sprache der Eingeborenen.
»Nein, hoher Herr! Ein Brief, der von weit, weit her kommt.«
Der Offizier nahm den Brief, der die Spuren langer Wanderung trug, nicht ohne den Ausdruck eines gewissen Missbehagens, in den sich Verwunderung mischte. Die einfache Aufschrift in französischer Sprache lautete: »An Daniel Garika in Garika.«
Der Offizier blickte nach dem Siegel, aber es war zerknittert und unkenntlich geworden. Endlich öffnete er den Brief und las nur die wenigen Zeilen:
»Ich lebe und denke an das Vaterland und vergangene Zeiten. Was denkst Du? Sei bereit, mir zu antworten, wenn ich Dich wiedersehe.
George Garika.«
Der Offizier stieß einen kurzen Ruf des Erstaunens aus und seine Wangen färbte ein helleres Rot. Dann wandte er sich mit dem Rufe: »Woher hast Du das?« an den Bauer. Aber dieser war verschwunden. Überrascht, fast bestürzt, hielt Daniel Garika auf seinem Pferde und las teils den Brief wieder und wieder, teils blickte er um sich, ob der Bauer nicht noch einmal erscheine. Aber er blieb allein unter den einsamen Bäumen deren rotes Laub im Winde rauschte und zuweilen ein glutfarbenes Blatt auf den herbstlichen Rasen niedersandte.
»George lebt – er lebt!« flüsterte er vor sich hin.
»Und was bedeuten diese seltsamen Worte? Vaterland, vergangene Zeiten – ich soll bereit sein, ihm zu antworten! Seit zwölf Jahren glaubte ich ihn tot! Wo war er denn? Wo ist er? Hier, in der Nähe?«
Und er blickte abermals um sich, als ob er eine fremdartige Erscheinung erwartete. Aber alles blieb still.
Nur in weiter Ferne ließ sich der Hufschlag eines Pferdes vernehmen. Daniel untersuchte noch einmal das Siegel, fand es aber auch diesmal unkenntlich und zerriss nun den Brief in eine Menge kleiner Stücke und warf sie in den Wind, der sie verwehte.
Ein Reiter wurde unter den Bäumen sichtbar, ein junger Eingeborener. Sobald Daniel ihn erkannte, nahm sein Gesicht einen erwartungsvollen Ausdruck an, und er ritt dem Reiter entgegen, der demütig grüßte und ihm einen Brief überreichte, einen zarten Brief auf rosafarbenem Papier und mit frisch geschriebener Aufschrift: »Dem Prinzen Daniel Garika.«
Daniel erbrach ihn hastig und las die Worte in französischer Sprache:
»Mein lieber Prinz!
Nina und Michael besuchen eine Familie in der Stadt. Ich bin zurückgeblieben. Darf ich Sie erwarten?
Sophia.«
Daniel, freudig erregt, warf dem Reiter ein Geldstück zu, das dieser auffing, und rief.
»Ich komme!«
In demselben Augenblick erschien jedoch ein anderer Reiter auf schaumbedecktem Pferde und überreichte Daniel einen zweiten Brief, dessen Form und Aufschrift dieselbe Schreiberin bekundete. Daniel öffnete ihn diesmal zögernd und las die Zeilen:
»Mein lieber Prinz! Soeben kommt Paul. Ich melde es Ihnen in aller Eile, um Ihnen nicht unwahr zu scheinen. Wird dies ein Hindernis für Sie sein?
Ich hoffe nicht.
Sophia.«
Der zweite Bote erhielt keinen Lohn. Düster blickte Daniel Garika vor sich hin und gab dann den beiden Boten ein Zeichen, sich zu entfernen.
»Verwünscht!« rief er vor sich hin. »Immer dieser Paul! Soll das Spiel ewig dauern? Erst die Einladung, dann diese Nachricht hinterher! Der Teufel traue ihr! Gehe ich? Gehe ich nicht? Es ist mir eine Qual, mit dem hochmütigen Russen zusammen zu sein, mit ihm die Blicke und Worte Sophias zu teilen! Vorwärts – ja, ich will! Habe ich den Russen zu scheuen? Entweder Sophia oder – George, wenn Du kommst, werde ich Dir eine Antwort geben! Sie liegt in Sophias Hand. Du hast mich an die Vergangenheit erinnert, an die Zeit, in der unsere Ahnen Könige waren! Gut, wir wollen sehen, ob ein Kosakenhäuptling den Enkel eines Königs aus dem Felde schlägt!«
Und mit glühendem Antlitz
1
Unserer Erzählung liegen außer den allgemeinen historischen noch einige andere wirkliche Ereignisse zugrunde. Wir erwähnen dies mit dem Bemerken, dass nicht nur die Namen der betreffenden Personen, sondern auch die Ereignisse selbst nach eigener und freier Erfindung geändert und dem Plane zu dieser Erzählung angepasst worden sind. D. V.