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sich ihrer verschiedenen Verpflichtungen zu fremder und eigener Zufriedenheit zu entledigen. Sie antwortete daher so kurz sie konnte, was sie einmal von ihrem Manne gehört: Klugheit ist, immer das Rechte zu thun zur rechten Zeit.

      Leonie dachte ein wenig nach. So jung sie war, wußte sie doch manchen Fall, wo das Rechte thun dem Thäter übel bekommen war; aber dann lag es vielleicht daran, weil er die rechte Zeit nicht abgewartet.

      Wann ist die rechte Zeit, das Rechte zu thun? fuhr sie fort.

      Immer – sagte die Pfarrerin. Das Mädchen schüttelte den Kopf. Wenn wir aber Verdruß davon haben, das Rechte zu thun?

      Man muß es dennoch thun.

      Aber warum?

      Weil Gott es befohlen hat.

      Aber warum hat er es befohlen?

      Weil es so recht ist.

      Aber warum ist es recht? fuhr Leonie, die nicht aus dem Kreise heraus kam, zu fragen fort.

      Weil Gott es befohlen hat, ist es recht.

      Aber er hätte auch das Gegentheil befehlen können, war des Mädchens kecker Schluß.

      Kind, rede nicht so gottlos, sagte die fromme Frau, die an dem Ende ihrer theologischen Weisheit angelangt war und in ihre früheren Gedanken versank. Aber in Leonieʼs regem Geist blieb die ungelöste Frage und beschäftigte sie, bis sie an dem Orte ihrer Bestimmung aus dem Wagen stieg.

      Hier indessen schwanden die letzten Eindrücke sehr bald vor den Ueberraschungen, die sie erwarteten, und die für Leonie den vollen Reiz der Neuheit besaßen. Die Frau Pfarrerin hatte Auftrag bekommen, dem kleinen Fräulein eine standesmäßige Toilette zu verschaffen, und die etwas rohen Stoffe, die bis jetzt ihre Garderobe ausgemacht, wurden durch die feinen und glänzenden Gewebe ersetzt, mit welchen der Luxus seine Auserkorenen bedeckt. Niedliche kleine Schuhe umschlossen die zierlichen Füßchen, durch welche zwar das Herumsteigen in Feld und Wald, wie es ihnen bis jetzt eigen gewesen, so ziemlich zur Unmöglichkeit gemacht wurde, die aber Leonieʼs eitles Mädchenherz schnell genug durch ihre Zierlichkeit zu versöhnen versprachen. Auch hatte die Frau Pfarrerin Erlaubniß, Leonie einige Mal inʼs Theater zu führen, und so flogen die Paar Wochen, die der bezaubernde Aufenthalt dauerte, wie ein seliger Traum dahin.

      Die Überraschungen, die sie bei der Rückkehr auf dem Schlosse erwarteten, waren indessen weniger angenehmer Art. Leonie erstaunte nicht wenig, als ihr in dem Salon, zu dem sie hinaufging, ihren Vater zu begrüßen, eine ältliche Dame entgegentrat, die ihr der Graf als ihre Gouvernante vorstellte, und welcher er die volle Macht einer Mutter auf das erschrockene Mädchen übertrug. Als sie sich nach Otto erkundigte, erfuhr sie, er sei fort, auf die Schule geschickt, und erst nach Monaten werde sie ihn wiedersehen. Auch eine Kammerfrau war angenommen worden, deren besondere Aufgabe es war, das Fräulein auf ihren Spaziergängen zu begleiten; wenn Fräulein Pertold einmal daran verhindert wurde und Leonie glaubte, ja einmal den günstigen Moment zu, erhaschen, um unbemerkt aus dem Schlosse zu entwischen, so eilte stracks ein baumlanger Bediente nach, welcher der kleinen Dame unterthänig Schirm und Ueberwurf trug.

      Und so ging denn Leonie in ihren kostbaren Kleidern und eleganten Schuhen allem Zwang entgegen, der das gewöhnliche Erbtheil der Kinder der privilegirten Kaste ist, und der für Leonie, nach der Freiheit, die sie bis dahin genossen, nur eine erhöhte Marter war.

      Sie wußte jedoch, daß ihres Vaters Wille unwiderruflich sei; ihr Widerstand, wenn sie einen wagte, durfte nur ein verborgener sein, und so fügte sie sich mit scheinbarer Gelassenheit in ihr verändertes Geschick und rächte sich so gut sie konnte für die beständige unleidliche Aussicht durch ein unruhiges, still-trotziges Wesen, bei dem ihre Studien nur wenig Fortschritte machten.

      Fräulein Therese Pertold war indessen keine gewöhnliche Gouvernante, und die Personen, die sie dem Grafen empfohlen, hatten Grund zu der Empfehlung gehabt. Sie verstand ihr Fach und hatte nicht nur Gelegenheit gehabt, Charaktere zu studiren, sie hatte sie wirklich studirt, und was nicht immer damit verbunden ist, sie verstand es auch, aus diesen Studien Nutzen zu ziehen, und wenn sie dabei im Grunde mehr an sich, als an ihre Zöglinge dachte, wer wird es ihr verargen? Sie wurde ja nicht für die Liebe, sondern für den Unterricht bezahlt. Sie hatte denn sehr bald herausgebracht, mit welcher Geistesrichtung sie es hier zu thun hatte. Sie sind ein adeliges Fräulein, sagte sie daher eines Tages zu Leonie, die sich eben einer besonderen Unliebenswürdigkeit befliß. Sie sind ein adeliges Fräulein und gehören einer alten berühmten Familie an; auch werden Sie reich sein, wie es sich zu Ihrem Stande schickt. Was ist aber das Alles, wenn Sie nicht auch durch Ihre Manieren sich von dem gewöhnlichen Menschentroß unterscheiden? Manieren und Kenntnisse, die den Geist entwickeln, und die man lernen muß, mit Klugheit zu benützen, das ist die einzige wahre Auszeichnung, in der unsere Macht gesichert ist.

      Es war das zweite Mal, daß Leonie die Klugheit rühmen hörte, als Mittel zum Ziele. Die Erklärung der Pfarrerin hatte sie nicht vergessen und seitdem im Stillen manche Bemerkung darüber gemacht. Wenn Klugheit nichts Anderes war, als immer das Rechte zu thun, so haben wir gesehen, daß ihr die oft üblen Folgen nicht entgangen waren, und das schien ihr wenig beneidenswerth.

      Was ist Klugheit? frug sie jetzt wiederum.

      Klugheit, erläuterte Fräulein Pertold, ist die Kunst, jeden Menschen nach der ihm eigenen Weise zu behandeln und ihn auf diese Art nach unserem Willen zu lenken. Diese von jener der Pfarrerin sehr verschiedene Erklärung leuchtete Leonie auch viel besser ein.

      Und kann man Klugheit lernen? fuhr sie mit plötzlichem Interesse zu fragen fort. Zum Theil kann man sie lernen, zum Theil muß sie freilich eigene Begabung sein; auch gehört ein großer Verstand dazu, immer deutlich zu unterscheiden, was man zu thun und zu lassen hat. Aber anmuthige Manieren und ein feiner, gebildeter Geist erleichtern die Sache sehr und sichern uns überall ein Uebergewicht.

      Leonie war nachdenklich geworden und blickte in Gedanken hinaus. Ihr Vater kam so eben in den Hof hereingesprengt..– Da ist mein Vater, dachte sie; wäre ich klug, so thäte er Alles, was ich will. Mit Otto und den anderen Knaben ist es leicht genug; nur mit dem Vater ist es schwer. – Sie stützte den Kopf in die Hand und sah träumerisch vor sich nieder.

      Von nun an war es nicht mehr nöthig, Leonie zum Lernen anzuspornen. Sie kam selbst mit Büchern und Zeichenmappe; keine Arbeit war ihr zu schwer oder zu langwierig, und mit einer wunderbaren Begabung ausgestattet, überwand sie leicht jede Schwierigkeit. Sie befliß sich eines ernsten Ganges, und die früheren Vertraulichkeiten mit der Dorfjugend schienen bis auf die letzte Spur aus dem Gedächtniß des kleinen Fräuleins verwischt. Fräulein Pertold hatte sich nicht getäuscht und erntete überall bei den wenigen Nachbarn, die Zeuge von der Umwandlung ihres Zöglings waren, viel Lob und Ehre ein. Nur in dem Grafen selbst brachten die glänzenden Fortschritte seines Töchterchens keine Aenderung hervor; er blieb still und kalt wie immer und verfolgte die rastlose Thätigkeit des Mädchens mit demselben räthselhaft forschenden Blicke, mit dem er einst den Spielen des Kindes zugesehen.

      Von Thomas und seinem Hause, so wie von der fremden Frau war nicht mehr die Rede. Leonie war seit jenem Nachmittage nicht mehr hingekommen. Fräulein Pertold wich nicht von ihrer Seite; aber seitdem blinder Gehorsam gegen ihren Vater eine Triebfeder ihrer kleinen, schon so reifen Politik geworden war, schien der ganze Vorgang von ihr vergessen zu sein. Schien, sagen wir; denn wie ein schlummernder Keim lag er in ihrer Seele und wartete des Anstoßes, der ihn zu neuem Leben wecken sollte, und dieser blieb nicht aus.

      Sechs Jahre waren auf diese Weise verflossen, Leonie hatte das fünfzehnte Jahr erreicht, und die erste Morgenröthe der Jungfräulichkeit übergoß ihre Stirne mit einem erhöhten Zauber.

      Sie saß am Klaviere, über dessen Tasten unter Fräulein Pertoldʼs Leitung ihre feinen Finger in glänzenden Trillern flogen. Von dem frühern Wildfang war nichts mehr an ihr zu sehen. Ihre Kleidung war gewählt, ihre Haltung elegant und fein, und das goldige Haar schmiegte sich in glänzender Fülle um das junge, geistvolle Haupt.

      Um dieselbe Stunde des Nachmittags ging es lebhafter als sonst in dem kleinen Hofe am Walde her. Die fremde Frau lag im Sterben. Seit sechs Jahren hatte die Krankheit in ihrer Brust rastlose, wenn auch langsame Fortschritte gemacht, und eigentlich war es ein Wunder, daß sie noch nicht gestorben war. Aber mit eiserner Willensfestigkeit

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