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Traume preisgegeben glaubte.

      »Nun wohl« ja. Ich begreife, daß Sie mich für todt gehalten haben, doch ich bin es nicht.«

      »Sind Sie schon zweimal heute hier gewesen?«

      »Und ich komme zum dritten Male . . . Ich wäre zehnmal gekommen; Sie begreifen, es lag mir daran, daß Sie mich nicht fortwährend für todt hielten.«

      »Doch warum eher heute, als an einem andern Tage?« fragte maschinenmäßig der Abbé, indem er den Mörder mit starren Augen anschaute.

      »Sie haben also die Zeitungen nicht gelesen?« sagte Herr Gérard.

      »Doch, ich habe sie gelesen,« antwortete mit dumpfer Stimme der Mönch, der den Abgrund, vor dem er sich fand, zu ermessen anfing.

      »Wenn Sie sie gelesen haben, so müssen Sie den Zweck meines Besuches begreifen.«

      Dominique begriff in der That, und ein kalter Schweiß floß über seinen ganzen Leib.

      »Da ich lebe,« fuhr Herr Gérard, die Stimme dämpfend, fort, »so ist meine Beichte nichtig.«

      »Richtig?« wiederholte maschinenmäßig der Mönch.

      »Ja, ist es nicht den Priestern bei Strafe ewiger Verdammnis verboten, die Beichte zu offenbaren, ohne die Erlaubnis des Beichtenden erhalten zu haben?«

      »Diese Erlaubnis haben Sie mir gegeben,« rief der Mönch.

      »Wenn ich todt wäre, ja, allerdings: doch da ich lebe, nehme ich sie zurück.«

      »Unglücklicher!« rief der Mönch, »und mein Vater ?«

      »Er vertheidige sich, er klage mich an, er beweise; doch Sie Beichtvater, Stille!«

      »Es ist gut!« sagte Dominique, einsehend, daß er sich nicht gegen ein Verhängniß sträuben konnte, das sich ihm unter der Form von einem der Grunddogmen der Kirche bot , »es ist gut, Elender! Ich werde schweigen!«

      Und mit der Hand Gérard zurückstoßend, machte er eine Bewegung, um wieder in seine Wohnung hinaufzugehen.

      Doch Herr Gérard klammerte sich an ihn an.

      »Was wollen Sie noch von mir?« fragte der Mönch.

      »Was ich will?« sagte der Mörder. »Ich will das Papier, das ich Ihnen in einem Augenblicke des Deliriums gegeben habe.«

      Dominique drückte seine beiden Hände an seine Brust.

      »Sie haben es,« rief Gérard; »es ist da . . . geben Sie es mir zurück.«

      Und der Mönch fühlte aufs Neue an seinem Arme den Druck der eisernen Hand, während der ausgestreckte Finger des Mörders beinahe das Manuscript berührte.

      »Ja, es ist da,« sprach der Abbé Dominique; »doch wo es ist, da wird es, ich schwöre es bei meinem Priesterworte, auch bleiben.«

      »Sie würden also Ihren Eid brechen? Sie würden also die Beichte offenbaren?«

      »Ich habe Ihnen gesagt, ich nehme den Vertrag an, und so lange Sie leben, werde ich schweigen.«

      »Warum behalten Sie dann dieses Papier?«

      »Weil Gott gerecht ist; weil es, durch Zufall oder durch Gerechtigkeit, sein kann, daß Sie während des Processes meines Vaters sterben, weil ich endlich, ist mein Vater verurtheilt, auf dem Schaffot zu sterben, dieses Papier gegen Gott erheben und sprechen werde: »»Herr, der Du das höchste Wesen und der gerechte Gott bist, schlage den Schuldigen und rette den Unschuldigen!«« Das, Elender, ist mein Menschen- und Priesterrecht, und ich werde von meinem Rechte Gebrauch machen.«

      Hierauf schob er Herrn Gérard, der sich vor ihn gestellt hatte, als wollte er ihm den Weg versperren, heftig beiseit, ging die Treppe hinauf, dem Mörder durch eine gebieterische Geberde verbietend, ihm zu folgen, trat in seine Wohnung ein, deren Thüre er schloß, fiel vor einem Crucifix auf die Kniee und sprach:

      »Mein Gott und-Herr, Du, der Du Alles siehst, Du, der Du Alles hörst, Du hast so eben gesehen und gehört, was vorgefallen ist; mein Gott und Herr, es wäre eine Ruchlosigkeit, die Hand der Menschen bei Allein dem anzurufen . . . Dir die Gerechtigkeit!«

      Dann fügte er mit dumpfem Tone bei:

      »Und übst Du nicht Gerechtigkeit, mir die Rache!«

       XIII

      Eine Soirée im Hotel Marande

      Einen Monat nach den Ereignissen, die wir in den vorhergehenden Kapiteln erzählt haben, am Sonntag den 30..April, bot die Rue Lafitte, – oder nennen wir sie vielmehr mit dem Namen, den sie damals trug, – die Rue d’Artois einen ungewohnten Anblick.

      Man denke sich in der That das Boulevard des Italiens und das Boulepard des Capucines bis zum Boulevard de la Madeleine, das Boulevard Montmartre bis zum Boulevard Bonne-Nouvelle, und andererseits, parallel, die ganze Rue de Provence und . die anliegenden Straßen buchstäblich von Equipagen mit funkelnden Laternen überströmt; man denke sich die Rue d’Artois beleuchtet von zwei mit Lämpchen beladenen riesigen Eibenbäumen, die sich auf jeder Seite der Thüre eines reichen Hotels erhoben; zwei Dragoner zu Pferde diese Thüre bewachend, zwei andere auf dem durch das Durchkreuzen der Rue de Provence gebildeten Scheidewege stationierend; – und man wird eine Idee von dem Schauspiele haben, das den Vorübergehenden die Umgebungen des Hotels Marande bieten, wenn seine schöne Herrin einigen Freunden eine von den Soiréen gibt, wobei ganz Paris sein will.

      Folgen wir einer von den Equipagen, welche die Reihe bilden, und treten wir mit ihr in den Ehrenhof ein: bleiben wir sodann in diesem Ehrenhofe stehen, in Erwartung von Einem, der uns einführt, und während wir warten, betrachten wir das Innere des Hotels.

      Das Hotel Marande lag, wie gesagt, in der Rue d’Artois« zwischen dem Hotel Cerutti, – das bis 1792 seinen Namen der Straße gegeben hatte, – und dem Hotel de l’Empire.

      Drei Corps de Logis bildeten, mit der Facademauer, ein ungeheures Rechteck. Rechts waren die Zimmer des Banquier, vorne die Salons des Politikers; links die Gemächer der schönen Person, die unsern Lesern schon mehrere Male unter dem Namen Lydie von Marande erschienen ist. Diese drei Corps de Logis standen so mit einander in Verbindung, daß der Herr das Auge überall haben konnte, – zu jeder Stunde des Tages, wie zu jeder Stunde der Nacht.

      Die Empfangsalons nahmen den ersten Stock dem Thorwege gegenüber ein. Doch an den großen Tagen öffnete man die Verbindungsthüren, und die Eingeladenen konnten dann ohne Indiskretion in die eleganten Boudoirs der Frau und in die strengen Orte der Zurückgezogenheit des Mannes dringen.

      Das ganze Erdgeschoß diente, der linke Flügel für Küche und Officin; das Centrum als Speisesaal und Vestibule; der rechte Flügel für Bureaux und Kasse.

      Steigen wir die Treppe mit marmornem Geländer und mit Stufen bedeckt mit einem Teppich von Sallandrouze hinauf und sehen wir, ob unter dieser ganzen Menge, welche die Vorzimmer füllt, nicht ein Freund existiert, der uns der schönen Wirthin des Hauses vorstellen kann.

      Wir kennen die bedeutendsten Eingeladenen; doch wir stehen nicht in so enger Verbindung mit ihnen, um einen solchen Dienst von ihnen zu verlangen.

      Höret, man meldet sie.

      Es ist Lafayette, es ist Casimir Perrier, es ist Reiher-Collard, es ist Béranger, es ist Pajol, es ist Köchlin, es ist endlich Alles das, was in Frankreich die in der Mitte zwischen der aristokratischen Monarchie und der Republik liegende Meinung vertritt; es sind diejenigen, welche mit dem Worte Charte im Munde dumpf an der großen Geburt von 1830 arbeiten, und hören wir unter allen diesen Parteichefs, die wir genannt haben, Lafitte nicht melden, so ist dies so, weil er sich in Maisons befindet und mit der Ergebenheit, welche der treffliche Banquier für seine Freunde hegt, den kranken Manuel pflegt, der binnen Kurzem sterben wird.

      Doch sieh, da ist Einer, der uns einführen wird, einmal die Schwelle überschritten, so werden wir gehen, wohin es uns beliebt.

      Es ist dieser junge Mann von mittlerer, eher großer, als kleiner, wunderbar gebauter Gestalt; dieser junge Mann nach der Mode der Zeit gekleidet, und zugleich mit jenem gewissen Etwas, das den Künstler bildet.

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