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L. gewann.

      Und an diesem Tage war es, wo die Marquise sich genöthigt sah, sich der Equipage eines alten Freundes zu bedienen, um sich an einen Ort, wo sie erwartet wurde, zu begeben.

      Der Graf von Rhinville, seit langer Zeit mit den traurigen Gedanken der Marquise vertraut, und das Vorurtheil ahnend, welches sie beunruhigte, wünschte angelegentlich, eine peinliche, traurige Erinnerung durch eine schone Hoffnung zu verdrängen und sagte langsam:

      »Man sagt – auch – daß dieses junge Mädchen – einst vier Millionen erben wird.«

      »Wenigstens!« erwiderte die Marquise lächelnd.

      »Und die Heirath ist gewiß?« fragte der Graf.

      »So ziemlich,« antwortete die Marquise.

      »Und die Millionen wurden erworben von. . .«

      Die Marquise ließ ihn seine Rede nicht vollenden und fügte hinzu:

      »Eine einzige Tochter – sechzehn Jahre – die Mutter Witwe —«

      »Welche wünscht, daß ihre Tochter Herzogin werde,« sagte der Graf lächelnd.

      »Sehen Sie, mein Freund,« sagte mit leichter Bitterkeit die Marquise, »wenn unser Recht, unsere Tugenden und Geistesgaben uns nichts mehr helfen können, müssen wir die Fehler und Verkehrtheiten Anderer zu unserem Vortheil benutzen.«

      »Und ungeachtet dessen, was man seit Jahrhunderten gesagt und gethan hat,« fuhr der Graf mit spöttischem Lächeln fort – »sind ein Titel – ein Name —«

      »Reize, die den Reichthum aller Zeiten aufwiegen,« fragte die Marquise hinzu; »die bürgerliche Eitelkeit widersteht ihnen nicht, sie ist noch eben so schwach, oder wenn Sie wollen, noch eben so stark, als zu der Zeit, wo Moliere den zum Edelmann gewordenen Bürger verspottete; sie äußert sich nur jetzt anders. – O! jetzt macht man sich auf andere Weise lächerlich, was aber Niemand verhindert, auch die alten Schwächen beizubehalten.«

      Beide lachten, die gute Laune war wieder hergestellt. Der Graf von Rhinville, aus langer Gewohnheit Freund der Marquise, lachte über ihre don-mots – schmeichelte ihren Hoffnungen, stimmte in alle Pläne ein, wohingegen sie seine Neigungen theilte, welche sich übrigens alle auf ihn selbst bezogen. Auf dieser gegenseitigen Nachgiebigkeit und Fügsamkeit beruhte eine innige Verbindung, die schon vierzig Jahre bestanden hatte – ohne Unruhe und ohne Empfindlichkeit, vielleicht, weil sie ohne Leidenschaft und ohne Zärtlichkeit war.

      Der Graf von Rhinville war ein Egoist, der aus Liebe zur Ruhe und aus Furcht vor der Sorge, welche eine Familie veranlaßt, unverheirathet geblieben war, alle Empfindungen seines Herzens und alle Scharfe seines Geistes in der Sorge für sich selbst vereinigend. Niemand konnte dem Dasein, welches der Himmel ihm geschenkt hatte, eine größere Sorgfalt widmen, und nie hatte Gott das Geschenk seines Ebenbildes in Hände gelegt, die würdiger gewesen wären, den Werth einer solchen Gabe zu erkennen, und besorgter für ihre Erhaltung, ihr Wohlsein und ihre Sicherheit.

      Alle Begebenheiten, alle Ereignisse berührten ihn nur in Bezug auf sich selbst, ein für sein Vaterland unglücklicher Krieg würde ihn weniger betrübt haben, als ein Unfall, der seinen täglichen Spaziergang verhinderte; seine Freunde warfen ihm vor; in der Revolution von 1830 nur eine Umwälzung gesehen zu haben, die, weil die beiden äußersten Enden der Straße, in der er wohnte, verbarrikadiert waren, ihn einige Tage verhinderte, auszufahren und ihn zwang, sich einem Platzregen auszusetzen. Sie gaben ihm Schuld, daß er um nichts Theil nähme, nichts liebte, daß er in allen seinen Ansichten und Meinungen wandelbar sei, sobald sein Vortheil es erheischte – sie hatten Unrecht, – er wechselte niemals, er hatte immer denselben Hauptgedanken, immer dieselbe Theilnahme – nämlich seine ausschließliche Liebe zu dem Grafen von Rhinville.

      Seine Wohnung war bequem, warm, hatte eine vorzügliche Lage, und ein Thermometer diente dazu, die Veränderungen der Atmosphäre anzuzeigen, damit dieselbe immer gleiche Wärme haben möge; dieses, wie die Sorge, daß seine Kleidung den Orten, die er besuchte, wie auch der Jahres- und Tageszeit immer genau angemessen war, gab zu hinreichenden und beständigen Geschäften Veranlassung.

      Wie wäre ihm eine Minute geblieben, um sich mit Anderen beschäftigen zu können! Hatte er doch kaum Zeit, für sich selbst Alles, was er für nöthig hielt, zu besorgen. Wie aber jedes, auch noch so materielle Wesen irgend eine Art von Leidenschaft hat, so hatte der Graf von Rhinville den sehr lebhaften-Wunsch, für einen Mann von sehr hoher Geburt zu gelten. Sein etwas zweifelhafter Adel wurde in seinen Augen durch seine genaue Verbindung mit der, allen neuen Adel so sehr verachtenden Marquise außer allen Zweifel gesetzt. Die Aufmerksamkeiten, die er ihr bewies, vereinigten sich vortrefflich mit den täglichen Gewohnheiten einer verarmten Dame und sie hatte ihn bei den vornehmsten und stolzesten ihres Gleichen eingeführt.

      Es bestand also eine stillschweigende Uebereinkunft zwischen ihnen, – sie hatten sich über diesen Punkt niemals ausgesprochen, aber immer vortrefflich verstanden. Der Graf von Rhinville lebte in und für sich selbst, die Marquise hingegen lebte außer sich selbst, und vielleicht paßten diese, in vieler Hinsicht so ungleichen Personen eben sowohl wegen ihrer Verschiedenheit so gut zusammen, als wegen der gleichen geselligen Interessen, die sie vereinigt hatten.

      Nachdem sie einige Minuten geschwiegen hatte, rief die Marquise lebhaft:

      »Endlich sind wir da – und werden sie sehen!«

      In demselben Augenblicke hielt der Wagen vor einem Kloster in der Poststraße.

      Es ist jetzt mit den Sprachzimmern und Gittern eines Klosters, wie mit manchen Einrichtungen aus einer früheren Zeit, deren Gestalt und Name sich noch erhalten haben, während der Geist, der sie stiftete und die Resultate dieser Stiftung, nicht bis auf unsere Zeit gekommen sind.

      Das Kloster hatte seine Gitter, seine Sprachzimmer, seinen Thurm, seine Clausur, aber wahrscheinlich nur zur Erinnerung, denn sie schlössen nicht gegen den Willen der hier Eingeschlossenen eine Thür, welche das Gesetz offen hielt, und hinderten auch nicht die Unterhaltung mit Fremden und den Bewohnern des Hauses.

      Kaum waren die Marquise und der Graf eingetreten, als eine Nonne ihnen entgegen kam und sie bat, mit ihr in den Salon zu gehen, welcher im Innern des Klosters lag und wo die Superiorin sich in einigen Minuten einfinden wollte; man mußte über einen Hof gehen, um dahin zu gelangen und indem sie die Schwelle überschritten, kam ein alter Mann, der hier wie zu Hause zu sein schien, aus einer der kleinen Thüren, die auf den Hof führten, blich stehen, und dann sich der Marquise nahend, grüßte er sie mit größter Demuth, indem er sagte:

      »Sie ist hier, Frau Marquise – ich habe sie her geführt.« Alsdann grüßte er eben so demüthig den Grafen von Rhinville; aber dieser, statt den Gruß zu erwidern, zog seine Hand, die aus Gewohnheit schon nach dem Hute gegriffen hatte, zurück und erwiderte, sich noch mehr als gewöhnlich emporrichtend, weder mit Blick noch Geberde die so demüthige und angelegentliche Begrüßung des alten Mannes. Die Marquise schien hierüber mehr verdrießlich als verwundert zu sein, und die beiden Greise wechselten einen unerklärbaren Blick, in welchem Seitens des Grafen eine grausame Verachtung, Seitens des Andern ein tiefes Gefühl schmerzlicher Ergebung lag.

      Der Graf zog die Marquise, ohne ihr Zeit zu lassen, mehr als einige Worte zu erwidern, mit sich fort zum Salon, und ließ den, der sie auf diese Weise angeredet hatte, allein, mitten im Hofe, wo er einige Augenblicke nachdenkend und unbeweglich stehen blieb; dann legte er langsam seine magere Hand an Stirn und Augen, als wolle er seine Gedanken sammeln, er sprach darauf mit schwacher Stimme einige unzusammenhängende Worte aus und kehrte mit langsamen Schritten und gesenktem Haupte in das Haus zurück.

      Welcher Unterschied zwischen dem geputzten, lächelnden, geschmückten Grafen und dem verlassenen, traurigen und muthlosen Unbekannten. Wenige, ganz weiße Haare, eine tödtliche Blässe, ein Mund, der nicht mehr lächeln, aber Augen, die noch weinen konnten; eine Niedergeschlagenheit und Nichtbeachtung seiner selbst, welche bewies, daß er von Anderen nichts mehr erwarte; Alles an ihm zeigte von tiefer und schmerzlicher Empfindung, während die Sicherheit und Selbstzufriedenheit, die von dem Gesichte des Grafen strahlte, das gänzliche Nichtvorhandensein aller und jeder Gefühlswärme anzeigte.

      Im Salon angelangt, wollte die Marquise ihre Bekanntschaft mit dem fremden Greise entschuldigen,

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