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er hob sie hoch und einsam über all die Leute, hoch und höher, weit hinauf zu Gott.

      Baron von Sterben war ein sehr guter und auch ein schlechter Mensch. Er wußte nichts davon. In ihm tat das Gute alle jene edeln Capricen und Feinheiten, die er selbst zuweilen an sich liebte, und das Schlechte wurde gemein und schmutzig in seiner Seele mit einer gewissen nachdrücklichen Besonderheit, die er oft nicht begreifen konnte. Er selbst rührte keinen Finger zu dem allen. Er wehrte sich nicht gegen das Arge in ihm und tat dem Schönen keinen Gefallen. Er war zwanzig Jahre alt und hatte dem Leben bis auf den steinernen Grund gesehn. Und nun machte er eben alles mit, was eine eigene und einsame Gebärde hatte, jedes Abenteuer, wenn es kostspielig war, jede Sünde, die ihn noch schauern machte. Das heißt, er war es gar nicht, der das alles tat, es waren die Dinge selber, die ihr Leben durch das seine trugen und durch ihn hindurchgingen wie durch eine offne Tür. Seine Seele tat manchmal etwas, seine Hand oder ein Fremder. Aber niemals er selbst, den er verloren zu haben glaubte in den ungesunden Träumen seiner Knabenjahre. Er war ein passiver Mensch, mit dem die Tage machten, was sie gerade wollten.

      Er liebte Hagar, die junge Zigeunerin. Auf einem Jahrmarkt vor der Stadt hatte er sie vor einigen Wochen gefunden, wie sie den Leuten für braunes Kupfergeld kindische Kapriolen schenkte. Sie hatte ihm gefallen, weil sie mit bloßen Füßen tanzte und klein und mager war wie eine Wildkatze. Und als er ihr eine Viertelstunde zugesehn hatte, da schüttelte ihn schon der Frost, und er wußte nun, daß alles vergebens war und daß ihn sein armer, von der Liebe gefolterter Leib zwingen werde, sie zu besitzen. Sie hatte große und schmale Goldringe in den Ohren, über die das Haar wie ein dunkler Vorhang fiel. Diese großen, dünnen Ringe bei blassen Frauengesichtern waren sein Fetisch schon seit Jahren. Es kam ein wilder, verregneter Vorfrühlingstag, und seine Zähne schlugen im Taumel aneinander. Er fühlte leise und hoffnungslos, daß Gefahrvolles und Böses in den Augen Hagars lauerte, und daß sein junges Leben darunter büßen werde wie unter einer Rute. Aber eben das war ein schwerer, siegender Zauber für ihn, dem er nicht entrinnen konnte.

      So wurde Hagar die Maitresse des Barons.

      Stumm und staunend war sie damals mit ihm gegangen. Sie begriff nicht recht, was sie mit ihm beginnen sollte, der sie mit zuckendem Munde ansprach und über dessen verlebtes Gesicht das Fieber wie der Wind über die Felder ging. Er freute sich darüber, daß sie Hagar hieß, er hatte diesen Namen schon in der Schule sehr lieb gehabt, und das Schicksal dieses Weibes hatte ihn immer gerührt wie das seiner Mutter. Jetzt war sie seine Geliebte geworden, und er führte sie in sein Haus. Für hundert silberne Gulden hatte er sie einem schmutzigen Komödianten abgekauft, der sie wohl für zwanzig auch gegeben hätte, denn er war hungrig und hatte schon seit Tagen kein Fleisch gegessen.

      Sie ging still und folgsam mit ihm durch die Straßen, wo die Leute sich umsahn und lächelnd den Baron erkannten. Sie trug ein dunkelrotes, verschossnes Kleid und hatte bloße Füße. Daheim nahm er sie in seine Arme und sang eine kleine, ein bischen ironische Melodie, die er einmal von einer Frau in einer seltsamen Stunde gehört hatte. Mit der Spitze seines Lackschuhs stieß er eine wunderschöne breite Tür auf und legte die stumme Hagar in sein seidnes Bett. Ein tiefblaues und trauriges kostbares Kopfkissen schob er ihr unter den braunen Hals, und dann kniete er nieder vor dem Bett und begann sie Stück um Stück langsam atmend zu entkleiden.

      Hagar wandte ihren Kopf zu ihm und sah ihn an. Und dann sagte sie etwas, das wie eine Liebkosung über sein heißes Gesicht flog. Fr schrie auf und küßte sie mit der kranken Inbrunst seines Leibes, den die Liebe zerbrach. Er küßte sie, bis ihr das Blut von den Lippen auf das weiße Eisbärenfell niederrann, auf dem er kniete, und da nahm er sie mit beiden Händen und riß ihr das Hemd über der keuchenden Brust vom Leibe, daß sie nackt vor ihm da lag und ganz sein war.

      Nun hatte sie ihn schon viele Wochen mit ihrer Liebe gequält und ihn zum Sklaven ihres kleinen, mageren Körpers gemacht, an dem er zu Grunde ging. Hagar war gnadenlos und ohne Erbarmen. Sie grub ihre braunen, zitternden Finger in sein weiches Fleisch und biß ihm die Brust wund wie eine Katze. Ihre heischende und zuchtlose Liebe umgab ihn wie ein schwerer Traum, aus dem er nicht erwachen konnte.

      Bis eines Tages Daniel Jesus kam und sie mit der Peitsche aus dem Hause des Barons Sterben jagte. Er wollte nicht, daß sein junger Freund dieser verkommnen Hexe erliege. Es war etwas Großes und Phantastisches in dem Herzen des Barons, das er ihm bewahren wollte und das ihm die Zigeunerin stahl, in jeder Nacht, In der er verzweifelt mit ihrem Leibe kämpfte wie mit einem Tier.

      Erst schrie er auf und wollte Daniel Jesus die Peitsche entreißen, dann warf er sich auf den Boden und hüllte den Teppich um seinen Kopf und ließ ihn gewähren.

      Hagar kam wieder, aber sie marterte ihn nicht mehr. Sie saß am Tage schweigend und finster in einer Ecke, und in der Nacht sprach sie mit ihren Träumen. Einmal bat sie ihn, er solle ihr aus einem alten, rostfleckigen Buche etwas vorlesen, und da las er mit Verwunderung Gebete und Sprüche und Lieder darin und eine uralte Litanei zu einem lange vergessenen Heiligen. Es war eine starre und blinde Brunst in diesen Liedern, eine wüste Sehnsucht und so etwas wie eine letzte mit dem Kreuze gezeichnete Station.

      Er fragte.

      Da sagte sie trotzig, daß sie jetzt zum Schuster Anton gehe, zu dem heiligen Mann, der draußen hinter dem Bahnsteig wohne, in der langen Straße mit den hundert Laternen. Sie sei eine Sünderin und müsse beten, stundenlang und alle Tage, damit Gott ihr verzeihe und sie den Frieden finde.

      Den Frieden? Das Wort machte ihn betroffen.

      Den Frieden? Verspricht den der Schuster?

      Ja.

      Und jetzt sprach sie eine Stunde lang von dem Messias. Wie er groß und mächtig sei und wie ein König unter allen Leuten. Wie neben seiner Stimme jede Sünde fällt. Wie hoch seine Hände zu Gott emporreichen. Und wie er das tausendjährige Reich verkündet. Die Menschen sollen fliehen vor einander, denn die Gemeinsamkeit ist die Sünde. Und wo zwei neben einander stehn, da sei Gott mitten zwischen ihnen, daß sie ihre nackten Augen nicht sehn und sich nicht schämen müssen. Damit wir nicht arm und gehetzt sind wie heute und mit uns selber kämpfen und mit dem Leben. Damit wir nicht in Krämpfen und Begierde unterliegen. Daß wir keine Sehnsucht mehr haben, außer Gott. Und keinen Wunsch außer ihn. Fluch aller Liebe, die an Gott vorbei will. Ihr nimmt er das Bewußtsein und macht sie irre. Daß sie am Ende nur ihre eigene Marter lallen kann.

      Sie hatte sich heiß geredet, und ihre Wangen brannten. Ihr Haar war aufgegangen und fiel ihr ins Gesicht. Sie war schon in dieser Stunde, die Zigeunerin. Er nahm sie um den Leib und wollte sie küssen. Seit jenem Tage, da Daniel Jesus sie mit der Peitsche schlug, hatte er sie nicht berührt. Die Gier erwachte in ihm, und er schauerte wieder wie damals, als er sie zum ersten Male gesehn hatte an jenem wilden, verregneten Frühlingstag, als sie mit nackten Füßen vor ihm tanzte.

      Hagar – stockte er und wollte sie küssen.

      Aber sie wandte sich ab und stieß ihn zurück. Und als er ihren Leib faßte, schrie sie wie im Schrecken. Da kam eine leuchtende, hellrote Welle von Blut, die ging durch sein Gehirn wie ein Eisenbahnzug und brauste. Er nahm die Zigeunerin bei den Füßen und warf sie zur Erde. Dann setzte er das Knie auf ihren bäumenden Leib und wollte ihr wie damals das Kleid über der Brust zerreißen. Doch sie hob die Hand und schlug ihm ins Gesicht, hart, blind, drei-, viermal. Er gab sie frei und sah entsetzt und bleich zu ihr hin – wie zu einem Tier.

      Dann lachte er auf und höhnte:

      Du bist in deinen Schuster verliebt und magst mich nicht mehr. Geh hin, er ist stark und groß, und sein Bett ist breit, dort kannst du beten.

      Sie lag noch immer auf dem Boden.

      Das ist nicht wahr! schrie sie laut. Und da kam eine Pause, in der sie sich ansahn und beide das Blut des andern flüstern hörten. Ein Moment, wo ihre Augen groß und schmerzhaft wurden mit vielen Tränen, in denen noch der traurige Schimmer ihrer verwundeten Seele leuchtete.

      Das ist nicht wahr! heulte sie noch einmal wie ein Hund, und dann warf sie den Kopf auf die Erde und weinte.

      Es war ihr eben ein Glück genommen worden, an das sie viele Tage geglaubt hatte. Das war in ihr zusammengebrochen und stand nie mehr auf. Sie wußte mit einem Male, daß sie niemals nach Gott gesucht hatte in diesen Stunden. Daß es doch wahr sei und

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