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Die toten Seelen. Nikolai Gogol
Читать онлайн.Название Die toten Seelen
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Nikolai Gogol
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
Unser Held war aber schon in mittleren Jahren und von einem kühlen und umsichtigen Charakter. Er versank zwar in Gedanken, doch diese waren nicht so phantastisch, sondern gründlich und mehr positiver Natur. »Ein nettes Mädel!« sagte er, indem er seine Tabaksdose öffnete und eine Prise nahm. »Was ist aber an ihr so schön? Schön ist an ihr, daß sie soeben aus einer Pension oder einem Institut kommt und daß ihr noch alles Weibische fehlt, also gerade das, was an den Frauen am unangenehmsten ist. Sie ist jetzt wie ein Kind; alles an ihr ist einfach: sie sagt, was ihr in den Sinn kommt, und lacht, wenn sie eben lachen will. Aus ihr kann man alles machen: sie kann zu einem wahren Wunder heranwachsen und auch zu einem Ekel, und es wird aus ihr auch sicher ein Ekel werden! Wenn nur alle die Mamachen und Tantchen sie in Behandlung nehmen – in einem einzigen Jahre werden sie sie dermaßen mit allerlei Weibereien vollstopfen, daß ihr eigener Vater sie nicht mehr erkennen wird. Sie wird plötzlich aufgeblasen und geziert werden, wird sich darüber den Kopf zerbrechen, wie, wie lange und mit wem sie sprechen darf und wen sie anschauen soll; sie wird jeden Augenblick fürchten, mehr zu sagen, als nötig; sie wird sich in allen diesen Dingen verstricken und zuletzt ihr ganzes Leben zu einer Lüge machen; weiß der Teufel, was aus ihr werden wird!« Tschitschikow hielt in seinen Gedanken inne und fuhr dann fort: »Es wäre doch interessant, zu wissen, aus welcher Familie sie ist? Was mag ihr Vater sein? Ist er ein angesehener reicher Gutsbesitzer oder einfach ein wohlgesinnter Mann mit einem im Staatsdienste erworbenen Vermögen? Wenn dieses Mädchen so an die zweihunderttausend Rubelchen mitbekäme, wäre sie ein recht leckerer Bissen. Dann könnte sie sozusagen ein Glück für einen anständigen Menschen bilden.« Die zweihunderttausend Rubelchen malten sich so verlockend in seinem Kopfe, daß er sich schon zu ärgern begann, daß er während der Geschichte mit den Equipagen vom Vorreiter oder Kutscher nicht erfragt hatte, wer die durchreisenden Damen waren. Das Gut Ssobakewitschs, das bald vor ihm auftauchte, zerstreute jedoch seine Gedanken und lenkte sie auf den einzigen, ihn immer interessierenden Gegenstand.
Das Dorf erschien ihm recht groß; zwei Wälder – ein Birken- und ein Fichtenwald – faßten es wie zwei Flügel – der eine dunkler, der andere heller – von rechts und links ein: in der Mitte ragte das hölzerne Herrenhaus mit einem Mezzanin, einem roten Dach und Wänden von dunkelgrauer, oder richtiger, unbestimmter Farbe – ein Haus, wie man sie bei uns für Militärsiedlungen und deutsche Kolonisten zu bauen pflegte. Es war ihm anzusehen, daß der Baumeister bei seiner Arbeit ständig mit dem Geschmack des Hausherrn zu kämpfen hatte. Der Baumeister war ein Pedant und strebte nach Symmetrie; der Hausherr dachte aber nur an Bequemlichkeit und hatte wohl infolgedessen alle Fenster an der einen Seite vernagelt und an ihrer Stelle nur ein einziges durchbrochen, das er wohl für eine dunkle Kammer brauchte. Auch das Fronton kam trotz aller Bemühungen des Baumeisters nicht in die Mitte des Hauses, denn der Hausherr hatte ihm befohlen, eine der seitlichen Säulen zu beseitigen, und so standen statt der beabsichtigten vier Säulen nur drei da. Der Hof war von einem festen und ungewöhnlich dicken Holzgitter eingefriedigt. Der Besitzer legte anscheinend überhaupt das größte Gewicht auf Dauerhaftigkeit. Die Pferdeställe, Schuppen und Küchengebäude waren aus schweren, dicken Balken errichtet, als sollten sie Ewigkeiten überdauern. Auch die Bauernhäuser waren wunderbar fest gezimmert; es gab an ihnen zwar kein Schnitzwerk und sonstige Verzierungen, dafür waren die Balken fest und ordentlich aneinandergefügt. Selbst das Brunnengehäuse war aus festem Eichenholz gemacht, wie man es nur für Mühlen und Schiffe verwendet. Mit einem Wort – alles, was Tschitschikow auch sah, stand unwankbar und solide in einer festen und plumpen Ordnung da. Als sein Wagen vorfuhr, erblickte Tschitschikow zwei Gesichter, die fast gleichzeitig zum Fenster hinaussahen: ein weibliches, lang und schmal wie eine Gurke, mit einer Haube bekleidet, und ein männliches, rund und breit wie ein moldauischer Kürbis, aus dem man in Rußland die zweisaitige, leichte Balalaika macht, den Stolz und die Freude eines forschen zwanzigjährigen Bauernburschen, der den Mädchen mit weißem Busen und weißem Hals, die sich versammelt haben, um dem leisen Klimpern zu lauschen, keck zupfeift und zublinzelt. Nachdem die beiden Gesichter hinausgeschaut hatten, verschwanden sie gleich wieder. Ein Lakai in grauer Joppe mit blauem Stehkragen trat auf den Flur hinaus und führte Tschitschikow ins Vorzimmer, wo ihn schon der Hausherr erwartete. Als er den Gast sah, sagte er kurz: »Ich bitte!« und geleitete ihn in die inneren Gemächer.
Als Tschitschikow Ssobakewitsch von der Seite ansah, erschien er ihm diesmal wie ein Bär von mittlerer Größe. Die Ähnlichkeit wurde noch dadurch vervollständigt, daß er einen Frack von der Farbe eines Bärenpelzes mit sehr langen Ärmeln trug, sehr lange Hosen anhatte und seine Füße beim Gehen so schief voreinander setzte, daß er den anderen beständig auf die Füße trat. Seine Gesichtsfarbe war glühend rot wie die einer Kupfermünze. Bekanntlich gibt es auf der Welt viele solche Gesichter, bei deren Vollendung sich die Natur nicht allzu viele Mühe machte und keinerlei feinere Instrumente, wie Feilen, Bohrer usw., gebrauchte, sondern einfach mit einer Axt ausholte. Mit einem Hieb machte sie die Nase, mit einem anderen die Lippen, dann machte sie mit einem großen Bohrer die Augen und ließ den Menschen, ohne weitere Bearbeitung, mit den Worten: »Er lebe!« in die Welt laufen. So ein kräftiges und wunderbar fest gefügtes Antlitz hatte auch Ssobakewitsch: er hielt es eher gesenkt als aufrecht, bewegte den Hals gar nicht und blickte infolgedessen denjenigen, mit dem er sprach, nur in seltenen Fällen an; meistens sah er auf die Ofenecke oder auf die Tür. Als sie durch das Speisezimmer gingen, sah ihn Tschitschikow noch einmal von der Seite an: ein Bär! ein richtiger Bär! Der Zufall wollte es noch, daß er auch Michailo Ssemjonowitsch hieß, wie man in Rußland die Bären zu nennen pflegt. Da Tschitschikow seine Angewohnheit, den Leuten auf die Füße zu treten, kannte, bewegte er die seinigen äußerst vorsichtig und ließ ihn vorausgehen. Auch der Hausherr selbst schien diese seine Untugend zu kennen und fragte ihn sofort: »Habe ich Sie nicht belästigt?«
Worauf Tschitschikow dankend versicherte, er habe nicht die geringste Belästigung gespürt.
Als sie ins Gastzimmer traten, zeigte Ssobakewitsch auf einen Sessel und sagte wieder: »Ich bitte!« Nachdem Tschitschikow Platz genommen, musterte er die Wände und die Bilder, die an diesen hingen. Es waren Stiche, die lauter tapfere griechische Feldherren in ganzer Figur darstellten: den Maurokordato in roter Hose, Uniformrock und einer Brille auf der Nase, den Miauli und den Kanari. Alle diese Helden hatten so starke Schenkel und so mächtige Schnurrbärte, daß man beim bloßen Anblick erzitterte. Unter diesen herkulischen Griechen hing aus unbekanntem Grunde der schmächtige, magere Fürst Bagration, mit kleinen Fahnen und Geschützen am unteren Rande des Stiches, der in einem ganz schmalen Rahmen steckte. Dann folgte wieder die griechische Heldin Bobelina, deren Bein allein viel größer schien als der ganze Rumpf jener Stutzer, die die heutigen Salons füllen. Der Hausherr, der selbst ein rüstiger und kräftiger Mann war, schien Gewicht darauf zu legen, daß auch sein Zimmer von lauter kräftigen und stämmigen Menschen geschmückt werde. Neben der Bobelina hing dicht am Fenster ein Käfig, aus dem eine dunkle Amsel mit weißen Pünktchen hervorschaute, die gleichfalls große Ähnlichkeit mit Ssobakewitsch hatte. Der Gast und der Hausherr hatten kaum zwei Minuten geschwiegen, als die Tür aufging und die Hausfrau, eine große Dame in einer Haube mit hausgefärbten Bändern, ins Gastzimmer trat. Sie bewegte sich mit großer Würde und hielt den Kopf aufrecht wie eine Palme.
»Das ist meine Feodulia Iwanowna«, sagte Ssobakewitsch.
Tschitschikow küßte Feodulia Iwanowna die Hand, die sie ihm fast in den Mund stopfte, wobei er Gelegenheit hatte, die Wahrnehmung zu machen, daß ihre Hände mit Gurkenwasser gewaschen waren.
»Herzchen, ich empfehle dir den Pawel Iwanowitsch Tschitschikow!« fuhr Ssobakewitsch fort. »Ich hatte die