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Gewissheiten darstellten. Der Zerfall klassisch-kirchlicher Autorität in der Moderne habe zum Entstehen innerweltlicher Religionen geführt, die an die Stelle eines transzendenten Gottes immanente Phänomene setzten, welche für die Anhänger dieser „Politischen Religionen“ nun aber eben jenen religiösen Stellenwert besitzen, wie er einstmals den kirchlichen Glaubensinhalten zukam.

      Politische Religionen verkörpern für Voegelin also Heilslehren, die, wie die klassischen Religionen, das Ganze der Geschichte erklären, anders als sie aber ein in der Geschichte erreichbares Endziel der Geschichte vorstellen. Diese Erreichbarkeit rechtfertigt nun aber absolute Gewalt, nicht als Ausbruch roher Leidenschaften, sondern als kalte Exekution einer erkannten Logik, als „Säuberung“ und „Befreiung“. Politische Religionen seien also nicht einfach ein Rückfall in frühere Grausamkeiten, sondern Ausdruck eines neuen immanenten, aber absoluten Glaubens.

      Voegelins Ansatz wurde von Anfang an kritisch diskutiert. Die Einwände gegen Voegelin laufen darauf hinaus, seinen weiten Religionsbegriff zu kritisieren, der letztlich nur rein Immanentes umfasse, zudem absolut Grausames, ja Grausamstes, und bei der Anwendung auf den Nationalsozialismus davon ausgehe, dass dieser ein halbwegs geschlossenes, in sich konsistentes System gewesen sei.

      Genau diese drei Voraussetzungen Voegelins – dass es sinnvoll ist, auch von rein immanenten Religionen zu sprechen, dass Religionen nicht nur das Höchste, sondern auch das Grausamste umfassen und dass der Nationalsozialismus zwar ein primitives, aber zumindest bei Hitler ein in sich relativ kohärentes System darstellt – dürften heute wieder plausibler geworden sein. Die totalitären politischen Projekte des 20. Jahrhunderts können als Risikovarianten einer aufgeklärtmodernen Trennung von Religion und Politik verstanden werden, insofern sie diese Trennung wieder zurücknehmen, Politik also resakralisieren, diesmal aber von der unabhängig gewordenen Sphäre des Politischen aus. Darauf wird noch einzugehen sein.

      Dennoch: Der Ansatz dieser Untersuchung ist im gewissen Sinne bescheidener. Es geht hier nicht darum, Voegelins universalhistorischen Ansatz fortzuschreiben, sondern Hitlers Texte auf ihre theologischen Kategorien hin zu analysieren.

       6. Zum verwendeten Theologiebegriff

      Freilich, von einer „Theologie“ bei Hitler zu sprechen, provoziert. Es provoziert Theologen, denn sie finden sich plötzlich in einer Nachbarschaft, die schrecklicher nicht sein könnte. Es provoziert aber auch Christen und andere gläubige Menschen, denn das, woran sie glauben, Gott, wird scheinbar in die Nähe eines der größten Verbrecher der Weltgeschichte gerückt.

      Nun wissen Theologen, dass „Theologie“ kein geschützter Begriff ist und es viele höchst unterschiedliche Theologien gab und gibt. Nach langen Jahrhunderten, da die christliche(n) Kirche(n) bestimmte(n), was Theologie ist und sein darf, öffnete sich das Feld der „Theologien“ im 18. Jahrhundert nach und nach wieder über das Christentum hinaus, zuerst für die Gelehrten, im 19. Jahrhundert aber in der Weite der Gesellschaft. Heute, nach dem definitiven Ende der kirchlichen Sanktionsmacht und der endgültigen Freisetzung zu religiöser Selbstbestimmung39, ist das „theologische Feld“ trotz der nach wie vor starken institutionellen Stellung der christlichen Kirchen breit, offen und vielfältig besetzt.

      Gläubige können aus der Geschichte zudem lernen, dass Religion und ihre theoretischen Konzepte weder harmlos noch gewaltfrei sind. Eher im Gegenteil. „Die unkritische Gleichsetzung von Religion und Güte wird durch schlichte Fakten direkt widerlegt. Religion kann das Hauptinstrument des Fortschritts sein und ist es auch gewesen. Wenn wir aber das gesamte menschliche Geschlecht in Betracht ziehen, müssen wir betonen, dass es sich im Allgemeinen nicht so verhalten hat.“ Ja: „Religion ist die letzte Zuflucht menschlicher Grausamkeit.“40 Die aktuelle Remilitarisierung des Religiösen in spezifischen Weltgegenden lehrt zudem, dass dies keineswegs nur ein Phänomen der Vergangenheit ist. Im Gegenteil, Religion ist zurück und zeigt dabei, neben ihrem gütigen Antlitz, immer wieder auch ihr hässliches Gesicht: Scheinheiligkeit, Lieblosigkeit und Gewalttätigkeit. Die liberale Illusion jedenfalls, man ginge einer global säkularisierten Weltgesellschaft mit harmlos-friedlich individualisierter Religionspraxis entgegen, ist verblasst.

      Theologie und Religion sind weder christliche Reservate noch an und für sich etwas Gutes. Von „Hitlers Theologie“ zu sprechen setzt also voraus, den Begriff Theologie nicht für ein Reden und Denken über Gott zu reservieren, dem man zustimmen kann, sondern für alles Reden über Gott und auch und gerade seine Folgen.

      Es setzt zweitens voraus, dass man unter „Theologie“ nicht nur wissenschaftlich-akademische Theologie versteht. Die hat Hitler natürlich nicht betrieben, wenn er auch mit seiner berühmt-berüchtigten Halbbildung immer wieder selbst seinen wissenschaftlichen Gesprächspartnern imponieren konnte und, wie noch zu zeigen sein wird, der Ansicht war, dass seine Theologie auf wissenschaftlicher, letztlich naturwissenschaftlicher Basis stünde. Hitlers Theologie weist aber eben doch, bei aller Vulgarität und Primitivität, eine gewisse innere Konsistenz und Kohärenz auf.

      Den Begriff „Theologie“ nicht nur für ein zustimmungsfähiges Reden über Gott zu reservieren und auch nicht auf wissenschaftlich-akademisches Reden über Gott einzuschränken ist heute eher unüblich. Das war aber nicht immer so. Im gewissen Sinne war es ganz am Anfang der Christentumsgeschichte sogar umgekehrt. Die frühe Christenheit etwa hat den Theologiebegriff ausdrücklich zurückgewiesen. Im ganzen Neuen Testament findet er sich nicht und noch bei den frühen Kirchenvätern wird er negativ-kritisch gebraucht. Denn so, wie er in der griechischen Umwelt vorlag, war er für die christliche Reflexion des Glaubens schlicht nicht annehmbar. Es war die Nähe zu nicht-christlichen, mythisch-kultischen Zusammenhängen, welche die frühen Theologen des Christentums davon abhielt, den Theologiebegriff auf sich und das, worum es ihnen ging, zu beziehen.41

      Theologie wird im Folgenden wörtlich verstanden als „Rede von Gott“, allerdings, und das entspricht wieder heutigem Allgemeinverständnis, als Rede von Gott mit individueller Relevanzoption, mit persönlichem Konsequenzpotential, auch bis hin zur Rede zu Gott, also dem Gebet. Denn gerade dies kann man Hitler nicht absprechen.

      Natürlich ist Hitler kein christlicher und auch kein wissenschaftlicher Theologe, aber er verkündigt sein Politikprojekt im Namen eines Gottes, und das vom Beginn seines öffentlichen Redens bis zu seinen letzten dokumentierten Äußerungen. Die Theologie dieser Verkündigung kann man erheben. Die Texte Hitlers verkörpern einen genuinen theologischen Diskurs im genannten Sinne. Leider verkörpern sie mehr als bloß eine wirkungslose Privatmythologie.

       7. Nur Rhetorik?

      Dass Hitlers Rhetorik42 zentral mit Stilelementen der religiösen Sprache43 und mit theologischer Begrifflichkeit arbeitete, wurde ebenfalls früh notiert. Kenneth Burke, der amerikanische Kommunikationstheoretiker, stellte bereits 1939 in seinem brillanten Essay über „Die Rhetorik in Hitlers ‚Mein Kampf‘ “ fest: „Hitlers Denkschemata sind nichts anderes als pervertierte oder karikierte Formen religiösen Denkens.“44 Hitler habe „deshalb so große Wirkung“ erzielt, „weil er sich auf eine Bastardisierung ursprünglich theologischer Denkschemata stützt“45. Von der nationalsozialistischen Propaganda selbst wurde übrigens auch die mediale Form der Verbreitung Hitlerscher Reden unter theologischen Kategorien erfasst: „Was das Gebäude der Kirche für die Religion, das wird der Rundfunk für den Kult des neuen Staates sein.“ Der Rundfunk sei „nun nicht länger im physikalisch-technischen Sinne, sondern endlich im geistigen Sinne ‚Sendung‘. Jeder Funkschaffende ist Träger nationalsozialistischer Sendung, ein Propagandist und Apostel der Idee“, so Eugen Hadamovsky, „Reichssendeleiter“ von 1933 bis 1942.46

      Vor allem aber der österreichische Kulturhistoriker und Publizist Friedrich Heer wies dann in den späten 1960er Jahren die theologische Herkunft vieler Versatzstücke des Hitlerschen Diskurses detailliert nach.47 Natürlich war auch der chiliastische Hintergrund48 vieler Begriffe Hitlers, etwa des von Hitler allerdings zunehmend misstrauisch betrachteten Terminus „Drittes Reich“, immer schon aufgefallen. Hitlers Wissenschaftsgläubigkeit allerdings lässt es freilich geraten

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